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Thomas Thiede (*1967) beschäftigt sich als Künstler mit Zeichnungen und Installationen und geht immer wieder Kooperationen mit anderen Künstler:innen ein. Seine Zusammenarbeit mit dem deutschen Filmemacher, Fernsehproduzent, Autor, Künstler und Jurist Alexander Kluge, geboren 1932, hält bereits seit über sieben Jahren an. Wie es dazu gekommen ist, warum die beiden ein gemeinsames künstlerisches Schaffen so bereichernd finden und womit sie sich bei ihrer Ausstellung im Palais Mamming in Meran beschäftigen, verraten sie im Interview.
Sarah Meraner: Sie beide stehen seit 2017 in einem künstlerischen Dialog. Wie ist es dazu gekommen?Alexander Kluge: Ich wurde im Museum Brandhorst auf diesen hochbegabten jungen Mann aufmerksam gemacht und habe Herrn Thiede dann einfach angerufen. Wir haben uns getroffen und künstlerische Freundschaft geschlossen. Wir haben sehr verschiedene Sachen gemacht – ich habe damals gerade ein Buch über Napoleon geschrieben und Herr Thiede hat daran angeknüpft und einen Lampenschirm entwickelt.
Wie passen denn Napoleon und ein Lampenschirm zusammen?
Kluge: Der große Regisseur Stanley Kubrick gehört zu meinen Idolen. Er wollte einen Film über Napoleon machen, konnte ihn jedoch nicht finanzieren. Er wollte den Film trotzdem umsetzen und kam – um Geld zu sparen – auf die Idee, die Uniformen der bulgarischen Truppen aus Papier anstatt aus Stoff zu fertigen. Ich als Filmemacher kann garantieren: Das sieht gut aus. Aber wenn ein Regenguss kommt, dann sind die Soldaten plötzlich nackt. Diese nackten Hintern hat Herr Thiede in einen Lampenschirm gekleidet.
Aus Kubricks Film wurde dann meines Wissens nichts … Herr Thiede, wie war für Sie die Begegnung mit Thiede?
Thomas Thiede: Ich kenne Herrn Kluge schon jahrzehntelang. Als ich sowas wie ein intellektuelles Erwachen hatte und seine Arbeit entdeckte, dachte ich: Eines Tages möchte ich diesem Kosmos angehören und dieser Wunsch ist durch einen Zufall in Erfüllung gegangen, den Herr Kluge eben beschrieben hat. Ich schwimme nun wie ein Fisch im Wasser und genieße die Zusammenarbeit. Sie inspiriert mich sehr und ich hoffe, dass es noch lange so bleibt.
Wir öffnen diesen Fächer: Mensch-Maschine.
Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
Kluge: Wir passieren in unserem Dialog verschiedene Stationen. Mal interessiert ihn etwas und ich antworte darauf, mal interessiert mich etwas und er antwortet darauf. Sehr oft sitzt er im Kino, guckt sich einen Film von mir an und zeichnet. Das Zeichnen dauert länger als der Film läuft, es sind schon andere Bilder da, die ihn beeinflussen. Das ist das, was im Kopf eines Zuschauers vorgeht. Das Kino besteht aus zwei Teilen: dem, was die Leinwand zeigt und dem, was im Kopf des Zuschauers entsteht – das ist das Lebendige.
Thiede: Im dauerhaften Dialog werfen wir uns gegenseitig Themen und Werke zu, tauschen uns aus und sind produktiv – daher ist ein Fluchtpunkt wie eine Ausstellung immer wertvoll, weil man dann all diese Dinge zusammenschnürt.
In Dialog treten Sie ja auch mit den Räumlichkeiten, in denen Sie Ihre Werke präsentieren. Wie ist das im Palais Mamming?
Thiede: Wir haben uns sehr mit den Räumen vor Ort auseinandergesetzt, in denen wir unsere Installationen und Objekte anordnen. Das Haus ist durch seine Geschichtsträchtigkeit und Architektur ein schöner Anklang dafür, was wir darauf antworten. Der Raum per se trägt schon sehr viel Inspiration in sich. Wenn man Momente im Fluss der Zeiten und der Information zulässt, passiert es automatisch, dass man mit vielen Bildern angereichert wird, sodass es oft schwierig ist, zu sagen: Ok, das nehme ich jetzt. Aber das Gefühl, das dabei entsteht, ist der Zugang der Welt. Das sind am Ende eine Offenheit und eine positive Einstellung, die man fruchtbar machen kann.
Was erwartet die Besucher:innen Ihrer Ausstellung „Auf der Schotterpiste der Moderne“?
Thiede: Unsere Werke sind Objekte, die während unseres Dialogs entstanden sind. Das können zum Teil auch nur Fragmente und Skizzen sein, die unüblicherweise am Boden in einem Haufen Sand angeordnet werden. Der Sand als Urstoff unserer Erde fungiert als Metapher für Digitalität und Baustoff.
Wir werden auch neue Porträts zeigen – sie sind eine Mischung aus KI-generierten Bildern, die dann in gedruckter Variante wieder übermalt werden. Es handelt sich dabei um Porträts von Kluge, die mit Porträts von mir kombiniert wurden. So wird es auf der einen Seite sehr persönlich, auf der anderen Seite sehr abstrakt. Wir öffnen diesen Fächer: Mensch-Maschine.
Kluge: Die Ausstellung zeigt einen Ausschnitt dessen, was uns gerade interessiert.
Wenn wir uns in unserer Zusammenarbeit mit Sand beschäftigen, dann beschäftigen wir uns erstmal mit drei Bildern: Das erste ist Sand in der Wüste. Die Wüste lebt. Sie glauben gar nicht, was in der Wüste alles lebendig ist. Das zweite Bild ist der Gazastreifen. Wenn Drohnen und Raketen schießen, wenn Explosivstoff auf Beton und verbauten Raum trifft, dann entsteht ein mehliges Gemisch, so dicht – darin lebt gar nichts, da können Sie sich sicher sein. Damit kann man nichts machen und es ist sogar schwer zu entsorgen. Der dritte Ansatz ist Silizium, also Sand in Form von Chips. Das ist die Grundlage unserer digitalen Welt.
Diese drei Bilder nebeneinander stellen kann man nur im Museum – im öffentlichen Raum, wo die Menschen geduldig hingehen und Kontakt auch zu anderen Werken haben. Im Kino und Fernsehen haben sie immer diese Ungeduld, sie konsumieren kurze Häppchen an Informationen, die ihnen das Gefühl geben, etwas anderes zu versäumen – das nennt man Zeitgeiz. Die Kunst aber ist generös.
Thiede: Die Ausstellung kann auch als Blick in die Werkstatt verstanden werden, als ein Prozess, der weitergeht. Es ist keine hermetische White-Cube-Situation, die alles andere ausschließt. Es soll atmen und lebendig bleiben. Deshalb verwenden wir Bauzäune, Sand und Unfertiges. Ich bin selbst gespannt, wie es vor Ort dann wird.
„Auf der Schotterpiste der Moderne“ ist auch der Name einer Ihrer gemeinsamen Arbeiten sowie der Titel Ihres neuen Buches, das im Herbst erscheint und am Ende der Ausstellung präsentiert wird. Es ist quasi eine gemeinsame philosophische Auseinandersetzung mit Ihren Arbeiten. Welche Werke wurden dafür ausgewählt und warum? Welche Themen werden behandelt?
Thiede: Ausgangslage war das gleichnamige gemeinsame Werk von 2019. Entstanden ist dieses in der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz, Mensch und Maschine. Es geht um ein Nebeneinanderlegen von Medien zu eben diesen Themen. Weil in diesem Zusammenhang etwas Neues entsteht, hat „Auf der Schotterpiste der Moderne“ für uns eine gewisse Einzigartigkeit und ist repräsentativ. Ich hatte bis dahin so etwas noch nicht gesehen und ich glaube, Kluge war auch überrascht. Also haben wir versucht, weitere mediale Begegnungen zu schaffen – analog, digital, durch Film und Materialität. So sind die Werke, die im Buch zu sehen sind, entstanden. Themen wie die Orgel, das Zeichnen, Arbeit und Krieg haben vorgegeben, was im künstlerischen Prozess geschieht.
Zwei, drei Arbeiten aus dem Buch werden bei der Ausstellung auch gezeigt.
Kluge: Die „Schotterpiste der Moderne“ bezeichnet ja im Grunde eine schlechte Wegstrecke – und die Moderne läuft über diese schlechte Wegstrecke und das ist gut so. Eine Autobahn oder nur ein Waldweg sind nicht gut für die Moderne, aber eine Schotterpiste ist eine Herausforderung. Dies wollen wir in der Mitte der Ausstellung präsentieren. Das ist unser Magnet, mit dem wir alles zusammenhalten.
Jede digitale Neuerfindung braucht einen Anker.
Sie verbinden Neues mit Altem …
Kluge: Ja, es war eine gute Idee von Thiede, einen alten Rahmen zu nehmen und ein fragmentiertes Bild reinzustellen. Der alte Rahmen verbindet sich dann mit einem aufgeklebten Smartphone, auf dem ein Film gezeigt wird. Was der Film kann, ist Zeiten versetzen und sie auch wieder zusammenbringen. Gleichzeitigkeit erzeugen – das kann ein Bild alleine nicht. Diese Rückkopplung der Moderne gefällt uns. Jede digitale Neuerfindung braucht einen Anker. Wir könnten mühelos ein gutes Bild aus dem italienischen Futurismus aussuchen und mit etwas konfrontieren, das wir jetzt entdecken. Auch damit würden wir Zeiten verbinden.
Viele Dinge von früher sind erschreckend gegenwärtig. Alle Dinge haben Wurzeln in den Vergangenheiten. Und alle Vergangenheiten gibt es längst schon in Form von Zukunft.
Mit meiner Kamera kann ich die Gegenwart sehen und für das, was ich nicht sehen kann, nutze ich die KI. Und die Künste können beides, das Sichtbare und das Unsichtbare erstellen – das ist das Schöne daran. Die Kunst hat daher eine große Aufgabe.
In einem Interview haben Sie, Herr Kluge, mal gesagt, „der Kopf macht, seit er existiert, einen Perspektivenwechsel“. Wie klappt der Perspektivenwechsel denn in Ihrer Zusammenarbeit miteinander?
Kluge: Wir können vier Augen gebrauchen, können sie miteinander oder gegeneinander führen. Wir beeinflussen uns. Mir ist nicht egal, was Thiede macht oder sagt. Manchmal macht er etwas völlig Verqueres, das ich nicht erwartet habe. Das ist das Schönste daran: Dass man sich gegenseitig immer wieder überraschen kann. Der Perspektivenwechsel entsteht automatisch bei der Arbeit, wenn man sich konzentriert.
Thiede: Es ist im Grunde ein 360-Grad-Blick, den wir beide besitzen. Wenn sich die Blicke überschneiden, zündet was.
Herr Thiede, mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich in Ihren Zeichnungen und Installationen?
Thiede: Ich versuche meinen Blick auf die Welt zu sortieren und mich von Kausalitäten, die an mich herangetragen werden, zu befreien und einen eigenen Blick auf die Dinge zu entwickeln. Ich möchte schöpferisch und produktiv sein, arbeite gerne und dafür brauche ich diesen freien Blick nach vorne. Die Themen kommen oft zufällig. Am Ende möchte ich mich nicht langweilen.
Sie beide sind und waren im Laufe Ihrer Karriere immer wieder im intensiven Austausch auch mit anderen Künstler:innen und Denker:innen. Was schöpft man als individueller Kunstschaffender daraus?
Kluge: Wenn die Wirklichkeit der Erzählenden aus vielem besteht und sie wie die Maulwürfe Tunnel bauen, dann müssen sie – also die Menschen, die Kunst machen – ihre Fantasie und Vorstellungskraft teilen. Die Idee des einsamen Künstlers und des einsamen Denkers ist ganz schön überholt. Ich verehre Nietzsche sehr, aber in seiner Produktionsweise ist er ein veralteter Typ. Menschen müssen miteinander arbeiten, sonst kriegen sie den Gegenalgorithmus zur Algorithmen-Welt nicht hin. Das gehört zur Kriegstüchtigkeit eines Künstlers – und die richtet sich gegen keine unsichtbaren Gegner. Wir müssen die Lebendigkeit der Welt verteidigen. Was wir uns gegenseitig geben können, ist Freiheit.
Thiede: Ich lerne wahnsinnig viel dabei und genieße es, dabei inspiriert und zwischendurch auch mal entlastet zu werden. Es gibt Pausen, die man nutzen kann, um alles mal sitzen zu lassen, und der andere arbeitet weiter. Ich glaube, dieses Kooperative ist eine Grundhaltung des Menschen und hat einen sozialen Aspekt. Es geht nicht nur um Kommunikation, sondern auch darum, sich zu versichern, dass man ist und es eine Sinnschöpfung gibt, um überhaupt weiterzumachen. Der andere fungiert auch als Stellvertreter, der Dinge tut, die man selber nicht tun würde, die einem aber trotzdem sinnvoll erscheinen – und von daher ist die Welt dann wertvoller.
Was macht für Sie Kunst aus?
Kluge: Die Künste können mehr – sie erreichen dieses „mehr“ durch die Tiefe und die Spirale, nicht dadurch, dass sie sich bloß steigern. Die Moderne ist nicht die Avantgarde, die davon prescht und keiner kommt hinterher. Sie machen sich albern, wenn Sie Dinge wiederholen. Hans Richter, das Bauhaus usw. müssen sich nicht wiederholen – Sie müssen sie variieren, neu erfinden und darauf antworten. Ein wirkliches Kunstwerk hat seine Entwicklung immer bei sich im Rucksack. Es ist nie nur das Ergebnis, sondern immer der Weg. Die Moderne ist nicht die Wiederholung all dessen, was schon erfunden ist. Es ist immer ein Prozess.
Thiede: Das ist das Schöne an der Ausstellungsreihe im Palais Mamming, die sich über drei Jahre zieht. Wir beginnen mit einem Vorschlag und dann wird sich das Ganze über verschiedene andere Künstler und Medien weiterentwickeln. Wir setzen den Bohrer an und schauen, wo er in drei Jahren herauskommt.
Dieses Interview wurde von unserer Redakteurin Sarah Meraner im Rahmen der literarischen Begleitung der von Ursula Schnitzer kuratierten Ausstellungsreihe „Mamming now: gestern – heute – morgen“ geführt.
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