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Philip Haselrieder, 22, sitzt in einem grauen Hoodie vor dem Rechner – 350 Kilometer von seinem Heimatort Völs am Schlern entfernt in Ulm. Im vergangenen Jahr zog er dorthin: „Um näher an den Clubs und Festivalorten zu sein“, sagt er. Als DJ Why Not gewann er einige DJ-Wettbewerbe und teilte sich die Bühne mit Szenengrößen wie dem israelischen DJ-Duo Vini Vici und dem Berliner Musiker Frans Zimmer alias Alle Farben. Dann kam Corona – und seitdem liegt die Clubszene brach.
Corona trifft die Veranstaltungsbranche hart. Wie sehr leiden Sie als Musiker darunter?
Es ist nicht einfach, weiterzumachen. Vor acht Monaten legte ich das letzte Mal in einem Club auf – von jetzt auf gleich sind meine Einnahmen weggebrochen. Über einhundert Veranstaltungen, bei denen ich in diesem Jahr hätte auftreten sollen, wurden gecancelt. Es sind aktuell auch keine weiteren Auftritte geplant. Ich lebe von meinen Ersparnissen und versuche die Zeit so sinnvoll wie möglich zu gestalten. Ich stehe um 7 Uhr morgens auf, arbeite an meinen Songs, versuche über die sozialen Netzwerke und durch Live-Streaming meine Musik mit anderen zu teilen. Aber es fühlt sich ein wenig so an, als würde ich für einen Marathon trainieren, von dem mir keiner sagen kann, wann und in welcher Form er stattfinden wird. Und so ist die Krise natürlich nicht bloß eine finanzielle, sie belastet mich auch emotional. Aber ich will mich nicht im Negativen verlieren. Auch wenn wir in einer schwierigen Zeit leben, will ich doch nur positive Vibes in die Welt tragen – gerade auch in die virtuelle.
Haben Sie in den vergangenen Monaten nie darüber nachgedacht, aufzugeben?
Ich brenne für meine Arbeit. An den Turntables zu stehen, zu sehen wie die Menschen vor mir feiern und alles, was sich außerhalb des Clubs abspielt vergessen, zu sehen wie viel Freude ihnen meine Musik macht und die Energie, die ich dadurch von meinem Publikum zurückbekomme: das alles lässt mich weitermachen. Wenn ich zweifle, sehe ich mir Mitschnitte vergangener Auftritte an, um mich an dieses Gefühl zu erinnern.
Gibt es keinen Plan B?
Einige meiner Bekannten, die auch in der Veranstaltungsbranche gearbeitet haben, mussten sich tatsächlich nach einer Alternative umsehen, weil sie keine Perspektive mehr sahen und die laufenden Kosten teilweise nicht mehr decken konnten. Ein Szenario, das ich mir gar nicht vorstellen mag. Ich bin ein Solo-Unternehmer und so kann ich meine Fixkosten relativ niedrig halten. Gleichzeitig bin ich nicht weltfremd oder gar eitel; sollte ich weiterhin nicht auftreten können, werde ich über kurz oder lang einen Nebenjob annehmen müssen. Aber egal, ob Essen ausliefern oder in einem Laden jobben – solange ich so weiterhin Musik machen kann, geht es mir gut.
Waren Sie mit den von der Regierung getroffenen Maßnahmen immer einverstanden?
Doch, ja, ich hatte eigentlich immer Verständnis dafür. Die Situation ist ernst und entsprechend müssen auch schwierige Entscheidungen getroffen werden. Auch wenn die Konsequenzen schlimm sind. Es ist schon merkwürdig – alle reden über einen zweiten Lockdown, aber die Veranstaltungsbranche befindet sich tatsächlich immer noch im ersten Lockdown. Monatelang warteten wir darauf, dass es endlich losgeht und viele Clubbetreiber legten auch gut durchdachte Hygienekonzepte vor, um wieder arbeiten zu können, aber die Auflagen für eine Wiedereröffnung waren hoch und viele Lokale blieben weiterhin geschlossen.
Fehlt den Kunstschaffenden nicht nur das Geld, sondern auch die Anerkennung seitens der breiten Bevölkerung?
Viele Menschen nehmen das kulturelle Angebot, in welcher Form auch immer, zwar gerne an, nehmen aber gleichzeitig nicht wahr, wie viel Mühe damit verbunden ist. Wenn ich am Wochenende in einer Diskothek auflege, kann ich das nur, weil ich an den restlichen Tagen an den Songs feile und mich um die organisatorische Arbeit kümmere. Die Veranstaltungsbranche ist ein hartes Pflaster. Als DJ zu arbeiten heißt nicht, einen Wochenendjob zu haben. Gerade durch die sozialen Medien erreichen mich Kommentare, dass Kunst bloß ein Luxusgut sei. Ich sage: Kunst ist systemrelevant. Wir sprechen, wenn es um die Veranstaltungsbranche geht, auch nicht über eine kleine Gruppe realitätsferner Künstler, die versuchen, sich selbst zu verwirklichen. Es geht um die Existenz von zig Menschen, wie Security-Mitarbeiter, Tontechniker, Reinigungskräfte.
Machen die Kunstschaffenden genug dafür, um diese verzerrte Wahrnehmung zu korrigieren?
Auf den ersten Lockdown reagierten viele Wirtschaftszweige mit Empörung. In der Veranstaltungsbranche blieb es seltsam leise, man äußerte sich nur vorsichtig. Es bräuchte eine starke Interessensvertretung und allerspätestens nach der Krise ist es auch an der Zeit, darüber zu sprechen und dahingehend aktiv zu werden. Auch wenn es sich nicht hip anhören mag, müssen wir Künstler uns darum bemühen, in der Politik gehört und ernst genommen zu werden.
Seit Monaten schon wird in der Clubszene über alternative Formen des Feierns gesprochen – wie Livestream-Konzerte oder virtuelle Festivals. Sie selbst spielten bei einer Autodisco im bayerischen Nördlingen und organisierten mit Kollegen das erste Drive-In Musikfestival Südtirols an der Talstation des Kronplatzes in Reischach …
Unter Einhaltung der allgemeinen Hygienerichtlinien sahen wir darin die einzige Möglichkeit, um nach drei Monaten wieder vor Publikum auflegen zu können – und das war großartig. Finanziell gelohnt hat es sich nicht, aber das war auch nie unsere Absicht. Viele engagierten sich tatsächlich auch ehrenamtlich.
Fühlt es sich denn genauso gut an, vor geparkten Autos zu spielen, wie im Club aufzulegen?
Die Energie, die ich normalerweise bei einem Auftritt fühle, ist natürlich intensiver. Die Nähe, die gerade nicht möglich ist, fehlt. Aber wieder vor Menschen spielen zu können, nicht virtuell sondern real, das war ein wunderbares Erlebnis. Gerade auch, weil ich durch das direkte Feedback merke, was gut ist und dem Publikum gefällt.
Aktuell lebt Philip Haselsteiner alias DJ Why Not in einer Wohngemeinschaft mit einem Musiker. Sein Schlafzimmer nutzt er auch als Tonstudio. Er ist kreativ und hat den unbedingten Willen, es als Künstler zu schaffen. Vor einigen Monaten spielte er eine Session vor einer Horde Alpakas, im Juni veröffentlichte er mit Nic Johnston und Jonas Oberstaller seinen neuen Song „Cinema“. Dass ihn einige einen Träumer nennen, stört ihn nicht: „Jemand zu sein, der an seinen Traum glaubt und alles dafür gibt, um ihn wahr werden zu lassen, stößt nicht immer auf Verständnis und es ist vielleicht auch nicht immer einfach, aber es ist unbeschreiblich schön“, sagt er. Und so will er weitermachen – trotz Krise. Warum auch nicht.
https://youtu.be/umeiFQ-aBYc
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