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Als ich im Büro der Politikwissenschaftlerin Sylvia Kritzinger Platz nehme, weiß ich, dass es schnell gehen muss. Kritzinger, die ursprünglich aus Thuins bei Sterzing kommt, ist derzeit eine gefragte Expertin zur österreichischen Innenpolitik. Nach der Nationalratswahl am Sonntag geht bei ihr deswegen alles Schlag auf Schlag, vor allem, wenn die Wahl so ungewohnt wie heuer zustande kommt.
Brachten diese Wahlen Überraschungen?
Wenn man sich die Skandale und Auseinandersetzungen der letzten Monate anschaut, dann ist das ein Ergebnis, das durchaus den Erwartungen entspricht. Dass die ÖVP als klarer Wahlsieger hervorgeht, dürfte bereits schon lange klar gewesen sein. Einige weitere Prozentpunkte sind durch den FPÖ-Spesenskandal der letzten Woche sicher noch von Blau in Richtung Türkis gewandert.
Die FPÖ landete somit auf knapp 16 Prozent. Ist das angesichts all der Skandale nicht ein immer noch erstaunlich starkes Ergebnis?
Das liegt daran, dass die FPÖ, genauso wie die beiden Volksparteien ÖVP und SPÖ, inzwischen eine Stammwählerschaft hat. Diese Stammwählerschaft ist in den vergangenen Jahren größer geworden. Sie lässt sich auch von Krisen und Skandalen nicht abschrecken, häufig mit der Begründung, auch in anderen Parteien gehe es ähnlich zu – ob das nun stimmt oder nicht.
Gefreut haben sich außer der ÖVP auch die Grünen, die um 10 Prozentpunkte zugelegt haben. Ein europaweiter Trend?
Wenn man das vergleicht mit der Europa-Wahl im Mai, dann gibt es tatsächlich in vielen Ländern eine grüne Welle. Aber längst nicht in allen. Man kann ein West-Ost-, aber auch ein Nord-Süd-Gefälle feststellen. Die aktuelle Themenlage ist für die Grünen jedenfalls sehr vorteilhaft, sie haben bei Fragen des Klimawandels und des Umweltschutzes die Hoheit – in der Politikwissenschaft nennt man das auch „issue ownership“.
Ist jetzt eine konservativ-grüne Koalition möglich?
Theoretisch gehen sich drei Koalitionen aus. Die ÖVP hat angekündigt, dass sie mit allen drei Parteien, die infrage kommen, Gespräche führen wird. Die werden es aber ihrerseits der ÖVP – trotz ihres starken Ergebnisses – nicht leicht machen. Die FPÖ hatte schon zuvor angekündigt, in die Opposition zu gehen, dadurch kann sie sich jetzt teuer verkaufen. Mit der SPÖ sehe ich atmosphärische Schwierigkeiten, die sich während des Wahlkampfs nicht abgebaut haben, im Gegenteil. Übrig bleiben die Grünen, aber da gibt es zum einen organisatorische Schwierigkeiten, weil die Grünen auf keinen Mitarbeiterstab zurückgreifen können und sich erst formieren müssten; zum anderen gibt es zu den Grünen schwerwiegende inhaltliche Differenzen. Was die Themen angeht, steht man der FPÖ deutlich näher.
Eine wiederholte Koalition mit der FPÖ, nachdem die vorherige Regierung wegen ihr geplatzt ist?
Das ist eine Frage, die dem baldigen Bundeskanzler Kurz des Öfteren gestellt wurde. Viel hängt aber davon ab, wie man eine solche Entscheidung rhetorisch verpackt. Wenn Koalitionsgespräche mit den Grünen und der SPÖ scheitern, dann könnte Kurz eine Neuauflage von Türkis-Blau gut als einzige Alternative verkaufen.
Unter Kurz hat die ÖVP ein Rekordergebnis eingefahren. Wie groß ist sein persönlicher Anteil daran?
Das ist schwierig zu bemessen, der Anteil muss aber bedeutend sein. Das kann man allein daran ablesen, welchen Aufschwung die Partei in den Wahlumfragen erlebt hat, als Kurz im Mai 2017 die Parteiführung übernommen hat. Kurz hat die damalige Themenlage geschickt genutzt, indem er auf eine restriktive Migrationspolitik gesetzt hat.
Kurz‘ Erfolg wird oft auf sein Gespür für mehrheitsfähige Positionen zurückgeführt. Das bringt ihm auch den Vorwurf des Opportunismus ein. Hängt er wirklich nur seine Fahne nach dem Wind?
Kurz vertritt seine Wähler, das ist in einer repräsentativen Demokratie nichts Ungewöhnliches. Beim Migrationsthema war es eindeutig so, dass er viele Wählerinnen und Wähler mit der neuen Position ansprechen konnte. Wie wandelbar Kurz wirklich ist, wird sich zeigen, sobald es zu Koalitionsgesprächen mit den Grünen kommt.
Welche Rolle spielt das Alter?
Er ist sicher ein ganz neuer Politikertyp, allein aufgrund des jungen Alters und das spricht viele Menschen an. Wichtiger aber ist, dass Kurz die politische Kommunikation extrem gut beherrscht.
Zu seiner Öffentlichkeitsarbeit gehört auch die „Message Control“, die absolute Kontrolle über den Auftritt nach außen. Schränkt diese penible Kommunikationskontrolle nicht die Arbeit kritischer Journalisten ein?
Der Journalismus ist in einer Demokratie die vierte Staatsgewalt, seine Aufgabe besteht darin, die Bürger zu informieren. Solange es keine verfassungsrechtlichen Einschränkungen der Medienfreiheit gibt, liegt es also an den Journalisten, auf eine Verhaltensänderung der Politiker entsprechend zu reagieren und die eigene Strategie zu ändern.
Wäre jemand wie Kurz in anderen Ländern genauso erfolgreich? Oder handelt es sich um ein spezifisch österreichisches Phänomen?
Es hängt tatsächlich sehr stark vom jeweiligen Land und seiner politischen Kultur ab. Zum Beispiel: In konkurrenzdemokratischen Staaten, wo eine Partei mit relativer Mehrheit alleine regieren darf, funktioniert politische Kommunikation anders als in einer Konsensdemokratie, wie Österreich eine ist.
Werfen wir einen Blick auf Italien: Könnte auch die Lega bald so eine solide Stammwählerschaft wie die FPÖ haben?
Wenn man sich die Geschichte der FPÖ anschaut, sieht man, dass sie mit Haider einen fulminanten Aufstieg erlebt hat, bis zum Knittelfeld-Debakel im Jahr 2002, wo sie wieder auf knapp 10 Prozent abstürzte. Zwischen Knittelfeld und heute sind weitere 17 Jahre vergangen. Daran erkennt man, dass die Bildung einer Stammwählerschaft doch eine lange Zeit in Anspruch nimmt. Das funktioniert nicht von heute auf morgen.
Also gäbe es noch ein Zeitfenster, um die Lega zu bremsen und ihre Wähler in eine andere Richtung zu mobilisieren?
Das Wort „mobilisieren“ trifft es nicht ganz. Entscheidend ist die Themensetzung. Die Lega konnte mit den Themen Migration und Asyl punkten. Es kann aber sein, dass neue Themen in nächster Zeit dringender werden – Themen, bei denen andere Parteien die Hoheit besitzen.
Das Klima zum Beispiel?
Genau. Auch andere Themen wären möglich: Man stelle sich vor, die Welt stürzt wieder in eine große Wirtschaftskrise und der Sozialstaat wird abgebaut. Dann wäre es auch vorstellbar, dass klassisch linke Parteien wieder Zuspruch finden.
Die Lega ist aber auch wegen ihrer europafeindlichen Haltung beliebt und führt weiterhin die Umfragen. Macht das Italien zu einer tickenden Zeitbombe?
Ich würde das Europa-Thema nicht so hochspielen, überhaupt wird bei nationalen Wahlen über Europa kaum diskutiert. Vor der Europa-Wahl haben wir in Italien eine Umfrage durchgeführt, ob die Italiener einen EU-Austritt befürworten würden. Eine klare Mehrheit war dagegen. Auch in Italien ist man sich bewusst, dass es außerhalb der EU nicht so lustig ist – siehe Brexit.
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