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Im großen Saal des Bozner Stadttheaters wird gehämmert und gebaut. „Passt das hier?“, ruft Bühnenbauerin Verena Mairhofer vom Bühnenbild herunter, dessen Segmente sie mit ihrem Kollegen und Werkstattleiter Gottfried Mair in der Werkstatt der Vereinigten Bühnen Bozen in der Industriezone angefertigt hat und nun vor Ort gerade zusammenbaut. Die Frage geht an den Bühnenbildner und Künstler Ivan Bazak, der von unten das Geschehen beobachtet und schaut, dass seine Arbeit, die bisher nur auf Papier und als Modell existierte, Form annimmt. Die Idee ist an ein Lido angelehnt und „eigentlich dürfen die Zuschauer:innen ihre ganz eigene Interpretation abgeben, was sie da sehen“, sagt Bazak, der in Kiew Bildende Künste und Architektur sowie an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Denn ein Bühnenbild soll immer etwas Raum für die eigenen Ideen lassen – und es soll überraschen. Das dürfte dieses Mal schon alleine deshalb gelingen, weil die Bühne nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauersaal steht.
Das Stück
Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“, weltbekannt und künstlerisch schon häufig inszeniert, erzählt von Gustav Aschenbach, einem leistungsorientierten, gebildeten und gut funktionierenden, aber gleichzeitig physisch labilen Schriftsteller, der im Laufe der Geschichte vom „Erfolgreichen“ zum „Herabgesunkenen“ beschrieben wird: Aschenbach reist nach Venedig, wo er sich in den schönen Jüngling Tadzio verliebt, den er von Weitem anhimmelt und durch den er seine Vernunft verliert und all seine bisherigen Prinzipien über Bord wirft. Trotz der ausbrechenden Cholera hat Aschenbach nicht vor, Venedig zu verlassen – damit er dem Jungen weiterhin nah sein kann. Diese fatale Entscheidung führt nach und nach zu seinem Verfall und – wie es der Titel verlauten lässt – seinem sicheren Tod.
Der Perspektivenwechsel
Die Zuschauer:innen dürfen bei der neuesten Darbietung der Vereinigten Bühnen Bozen auf der eigentlichen Bühne Platz nehmen – die Struktur für die Schauspieler:innen wird auf einem Podest über den Zuschauerreihen aufgebaut. Das wird bereits vor dem Stück für einen Überraschungsmoment und einen ganz besonderen Perspektivenwechsel sorgen. Die sogenannte „vertauschte Bühne“ hat es im Stadttheater Bozen so noch nie gegeben und sei auch mit einem extremen Aufwand verbunden, berichtet Tobias Demetz, technischer Leiter. Im Saal, in dem sonst um die 700 Menschen reinpassen, wird durch die vertauschte Bühne ein Rahmen geschaffen, der intimer sei, maximal 300 Leute hätten auf der Bühne Platz.
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„Wir wussten sofort, dass uns hier der große Saal interessiert“, so Regisseur Alexander Charim, der als Regisseur die Novelle Thomas Manns neu interpretieren wird. Dabei war es ihm und Ivan Bazak aber wichtig, ein Staunen zu erzeugen über etwas, das schon bekannt ist. Zudem sei der Bühnentausch ein einfaches Mittel, um die Perspektive zu wechseln, den Blickwinkel zu ändern. Diese Entscheidung bringe nicht nur Vorteile mit sich – es wird eine Herausforderung für alle, gerade auch für das Haydn Orchester, das seinen Platz nicht im Graben einnehmen kann. Spannend wird also auch der musikalische Part: Die Musiker:innen müssen während des Stücks wandern, mal seien sie direkt in den Zuschauerreihen, mal werde die Musik hinter der Bühne „eingespielt“. Die Kompositionen Gustav Mahlers werden für Charims Interpretierung von Komponist Michael Rauter in einem Stilmix aus Orchestermusik und elektronischen Elementen begleitet.
„Thomas Manns Geschichte passt sehr gut in die heutige Zeit.“
Das Gespräch
Das vertauschte Bühnenbild war eine Grundentscheidung, ergänzt Charim, der Schauspielregie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst studierte. Dann wirft der mehrfach ausgezeichnete Regisseur nochmal einen Blick auf das, was schon auf der Bühne steht, und gesellt sich zum BARFUSS-Interview gemeinsam mit seinem Kollegen Ivan Bazak. Die Beiden kennen sich schon viele Jahre und haben bereits öfter gemeinsam an Produktionen gearbeitet – ihre erfolgreiche Zusammenarbeit führen sie auf hundertprozentiges Vertrauen füreinander zurück, erzählen sie. Darauf, dass sie sich aufeinander verlassen können. Erst wenn es ein gutes Zusammenspiel aller am Stück beteiligten gibt, käme es auch zu diesem besonderen „Theatermoment“, sagt Bazak.
BARFUSS: Ivan, meistens ist das Bühnenbild ja ein Kompromiss aus der Ursprungsidee und der Umsetzung. Wird dieses Bühnenbild so, wie du es im Kopf hattest?
Bazak: Nein, mein Entwurf sah eigentlich ganz anders aus, ich hatte sogar zwei Häuser angedacht, jetzt steht da nur eines (lacht). Aber wir haben schon gleich bei der Präsentation festgestellt: Das braucht es manchmal nicht – und dann haben wir es halt weggelassen. Zu dem Ergebnis, das ich mir vorgestellt habe, muss es eigentlich gar nicht kommen, das ist mir überhaupt nicht wichtig.
Was war die Grundidee des Bühnenbildes für „Der Tod in Venedig“?
Neben dem Haus soll das Ganze eine Art Trümmerhaufen darstellen. Ich wollte eine Landschaft aus mehreren Stufen und Schrägen kreieren und wollte auf jeden Fall mit Farben und Collagen spielen, Kunst und Malerei fließen also schon etwas mit ein, in diese Arbeit. Wenn man sich das Bühnenbild genau anschaut, erkennt man Elemente und Farben, die ich vom Raum hier übernommen habe. Ich habe Fotos von Wänden gemacht, sie zerschnitten und collagiert.
Außerdem habe ich mich sehr mit dem Zustand Aschenbachs befasst, der in Alexanders Fassung ja schon krank ist … und habe mich an einen eigenen Fieberrausch erinnert, den ich als Kind hatte. Ich hoffe, dass man dieses bedrückende Gefühl dann auch während der Aufführung wahrnehmen kann.
Wie hast du dich auf die Arbeit zu dem Stück vorbereitet?
Ich habe es natürlich gelesen und noch wichtiger: viel drumherum gelesen, Filme und Dokumentationen angeschaut. Das ist ein Prozess, der mit mir lebt – mein Professor in der Uni hat das damals als Schwanger-Sein bezeichnet (lacht), aber das trifft es ganz gut. Die Idee und das Projekt wächst mit einem mit – in diesem Fall gut ein bis zwei Jahre. Ich hatte auf dieses Stück auf jeden Fall sehr viel Lust, denn ich finde, Thomas Manns Geschichte passt sehr gut in die heutige Zeit.
„Ich wollte einen Stoff schaffen, der jenseits von Nostalgie ist.“
Wie ist das bei dir, Alexander? Wie hast du dich mit dem Stück beschäftigt?
Charim: Ich muss mir ein Stück im Vorfeld so oft durchlesen, bis es mich langweilt – dieses habe ich bestimmt 25 Mal gelesen. Zudem lese ich thematisch ganz viel parallel dazu – dann entstehen so Wellenbewegungen im Kopf. Ich überlege: Was können wir in der Dramaturgie noch zusätzlich leisten? Mein Anspruch ist es dabei immer, dass von der ursprünglichen Prosa noch etwas da ist.
In Manns Novelle werden sehr viele Themen behandelt: Sehnsucht und Begehren, Homosexualität, Schönheit, Tod und Vergänglichkeit, die verbotene Liebe zu einem Jungen und natürlich die Seuche, die in Venedig ausbricht und die Menschen dahinrafft. Viscontis Film aus den 1970er-Jahren, den die meisten kennen, behandelt vor allem das Thema Homosexualität. Welches Thema hast du aufgegriffen?
Für mich ist Thomas Manns Stück heute noch historischer, als es damals zu seiner Zeit tatsächlich war. Das Thema Tod und die Auseinandersetzung damit ist für mich sehr wichtig. Aschenbach ist ein Charakter, der sich zunächst immer unter Kontrolle hat, der genauestens darauf achtet, wie er gesehen wird. Von außen gesehen passiert vermeintlich gar nicht viel – wenn man neben Aschenbach frühstücken würde, würde man gar nicht merken, was in ihm alles passiert. Aber es ist dieses langsame Verlieren von all dem, was das Leben ausmacht.
Er sieht Tadzio, der ihn begeistert, der letztlich aber seinen Kontrollverlust bedeutet. Das bringt ihn am Ende um. Mir war es wichtig, dieses Grundgefühl, dieses „State of Denial“, das in unserer Gesellschaft so vorherrschend ist, beizubehalten.
Was meinst du damit genau?
Dieses Wissen darum, dass – in diesem Fall durch die Seuche – alles zu Ende geht und unsere Gesellschaft so auch nicht weiter existieren kann, das also zwar zu erfassen, aber trotzdem zu verdrängen. Das erleben wir ja ganz oft, auch aktuell. Ich wollte einen Stoff schaffen, der jenseits von Nostalgie ist, deshalb fand ich dieses Thema spannend, aber nicht im Sinne des „Weltuntergangsrausches“, sondern im Sinne der Frage: Warum führen wir etwas weiter, das eigentlich in die Katastrophe führt?
Die Aufführungen
30.09. – 20 Uhr (Premiere)
01.10. – 18 Uhr
03.10. – 10 Uhr (Schulvorstellung)
04.10. – 10 Uhr (Schulvorstellung)
04.10. – 20 Uhr
05.10. – 20 Uhr
07.10. – 20 Uhr
08.10. – 18 Uhr (Dernière)
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