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Matthias Inderst
Veröffentlicht
am 25.07.2024
LebenInterview mit Ulrike Herrmann

Zwischen Dürren und grünem Wachstum

Veröffentlicht
am 25.07.2024
Die Wirtschaftsexpertin und Autorin Ulrike Herrmann war mit ihrem neuen Buch zu Gast in Meran. BARFUSS hat nachgefragt, wie es mit dem Kapitalismus im Zeitalter des Klimawandels weitergeht.
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Als Wirtschaftskorrespondentin und -expertin der taz und Bestsellerautorin nimmt Ulrike Herrmann – selbst gelernte Bankkauffrau und Journalistin – immer wieder an politischen Diskussionen in Radio und Fernsehen teil. In fünf veröffentlichten Büchern hat sie verschiedene Seiten des Kapitalismus und des Klimawandels unter die Lupe genommen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „AutorInnen in Meran – Appuntamento a Merano“ war Herrmann mit ihrem neuesten Buch „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben“ kürzlich zu Gast in Meran. Warum beschäftigt sie sich mit diesem Thema und wie sieht sie die Zukunft des Kapitalismus?

BARFUSS: Was war Ihre Motivation hinter diesem Buch?
Herrmann: Ich fand, dass es bei der ganzen Diskussion um die Klimapolitik eine Lücke gab. Es gibt zwei große Lager. Das eine Lager sagt: „Ja, grünes Wachstum ist möglich. Wir können mit technischen Mitteln die Klimakrise lösen.“ Das ist aus meiner Sicht falsch. Die andere Gruppe waren die Wachstumskritiker. Die haben völlig richtig gesagt, dass es mit technischen Lösungen nicht gehen wird – und haben die ökologische Kreislaufwirtschaft entworfen, in der nur noch das verbraucht wird, was man recyceln kann, und bei der die Ökoenergie reicht, um das Gesamtsystem zu befeuern. Aber sie haben nie gesagt, wie man in diese ökologische Kreislaufwirtschaft wechseln kann. Der jetzige Kapitalismus ist gigantisch groß und braucht zudem weiteres Wachstum, um stabil zu sein. Mein Buch ist als Analyse gedacht. Ich wollte erstmal, dass die Debatte richtig läuft. Man kann ja keine Mehrheiten organisieren, wenn schon die Analyse falsch ist – dann bringt das mit den Mehrheiten nichts.

Wir sind am Anfang der Energiewende und nicht am Ende.

Sie haben in der Vergangenheit erwähnt, dass Sie sich den Erfolg des Buches nicht erwartet haben. Aber es ist dann auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste gelandet. Warum glauben Sie, ist das trotzdem passiert?
Ich muss sagen, dass mich der Erfolg echt überrascht hat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand ein Buch lesen will, wo am Ende steht, dass es auf Kriegswirtschaft rausläuft. Was genauso erstaunlich und unerwartet ist, ist, dass ich auch von Automanager:innen, Banken, KI-Expert:innen, Ingenieur:innen und so weiter eingeladen werde. Also von einer Zielgruppe, von der man sich nicht erwarten würde, dass sie sich für britische Kriegswirtschaft interessieren. Der Fakt, dass sie überhaupt mein Buch lesen und mich einladen, zeigt: Das Verlangen nach Plan B unter Manager:innen wächst. Auch sie ahnen, dass  grünes Wachstum und technische Lösungen nicht das Zukunftsmodell sind. Sie wollen natürlich keine Kriegswirtschaft, sondern lesen mein Buch in der Hoffnung, dass sie dadurch auf neue Ideen kommen. Das zeigt mir, dass im Hintergrund schon sehr viel in Bewegung ist – gerade in der Wirtschaft. 

Ulrike Herrmann zu Gast bei der Veranstaltungsreihe „AutorInnen in Meran – Appuntamento a Merano“

Ihr Buch heißt ja „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben“. Sind Sie eine Kritikerin des Kapitalismus?
Nein, ich bin keine Kritikerin. Ich finde den Kapitalismus ganz toll, denn das ist das einzige dynamische Sozialsystem, das es in der Menschheitsgeschichte jemals gab. Das einzige System, das Wachstum pro Kopf erzeugt und dadurch Wohlstand. Davon haben wir alle profitiert. Das einzige Problem ist, dass der Kapitalismus nicht nur Wachstum erzeugt, sondern auch Wachstum benötigt, um stabil zu bleiben und keine Arbeitslosigkeit mit sich zu bringen. Man kann aber in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen. Das ganze System kommt jetzt an seine Grenzen – an Rohstoffgrenzen und Umweltgrenzen.

Also würden Sie sagen, Wachstum und Klimaschutz sind nicht vereinbar?
Ja, genau. Wenn man Wachstum und Klimaschutz vereinbaren will, muss man alle fossilen Brennstoffe durch Ökostrom ersetzen, um die ganzen Maschinen und Technik zu betreiben. Dass man aber genug Ökostrom haben wird, ist extrem unwahrscheinlich. Das klingt seltsam, da die Sonne mehr Energie zur Erde schickt, als wir Menschen im Augenblick brauchen. Das Problem ist, diese Sonnenenergie einzufangen. In Italien und Deutschland macht die erneuerbare Energie momentan etwa zehn Prozent vom gesamten Energieverbrauch aus.

Was bedeutet das konkret?
Wir müssen noch wahnsinnig viele Solarpaneele und Windräder installieren, da sich die Erde sonstzu stark erwärmen wird. Aber das ist ein gigantisches Infrastrukturprojekt. Wir sind am Anfang der Energiewende und nicht am Ende. Zudem scheint die Sonne nicht immer und der Wind weht nicht immer. Wir haben aber ein Wirtschaftssystem, das immerzu Energie braucht, man muss also enorme Mengen an Strom zwischenspeichern. Dazu gibt es nur zwei Technologien, nämlich Batterien und Wasserstoff, und beide Technologien sind teuer. Daran erkennt man, dass der Ökostrom nicht im Überfluss und billig vorhanden sein wird. Das klimaneutrale Gesamtsystem wird teurer sein als das fossile, was nichts anderes heißt, als dass die Effizienz sinkt. Das ist ökonomisch betrachtet das Gleiche wie Schrumpfen. 

Sie können sich ganz sicher sein, dass Sie das Ende des Kapitalismus erleben. 

Denken Sie, dass Sie noch etwas anderes als Kapitalismus erleben werden?
Ich bin jetzt 60. Mit Glück werde ich 80. Ich denke, dass sich in den nächsten 20 Jahren die Klimakrise extrem verschärfen wird. 2024 hat klimatisch nichts mehr mit 2010 zu tun. Das werden wir nicht unbeschadet überstehen. Sie sind ja viel jünger als ich. Sie können sich ganz sicher sein, dass Sie das Ende des Kapitalismus erleben. 

Würden Sie sagen, dass es beim Kapitalismus Verlierer gibt?
Ich würde Nein sagen, aber man muss das differenziert betrachten. Damit sage ich nicht, dass es keine Ungleichheit gibt. Natürlich gibt es Ausbeutung. Es gibt Leute, die viel zu wenig verdienen, in der Vergangenheit gab es Kolonien. Die Frage ist: Sind das zwingende Voraussetzungen des Kapitalismus oder politische Fehler? Der Kapitalismus funktioniert eigentlich am besten, wenn alle profitieren. Die Fabrikbesitzer sind reicher als die Arbeiter, klar. Aber das System funktioniert nur, wenn auch die Löhne der Arbeiter steigen. Die Gehälter  müssen mit dem technischen Fortschritt steigen – sonst fehlt die Massenkaufkraft und die  Unternehmer:innen werden ihre Waren und Dienstleistungen nicht los. Viele Unternehmen haben nicht begriffen, dass die Löhne für sie zentral sind und dass sie nur Gewinne machen, wenn die Löhne steigen. 

Wenn wir weitermachen wie bisher, wird sich die Klimakrise ständig verschärfen und das Klimachaos am Ende so groß sein, dass es Rationierung und staatliche Planung braucht, um alle durchzubringen.

Wie realistisch ist es, dass das von den Wachstumskritikern vorgeschlagene grüne Schrumpfen durchgesetzt wird?
Dass es freiwillig und rechtzeitig umgesetzt wird, ist im Augenblick eher unwahrscheinlich. Dazu fehlen die Mehrheiten. Es wäre aber das einzige System, das ökonomisch funktionieren würde. Es kommt auf jeden Fall. Wenn wir weitermachen wie bisher, wird sich die Klimakrise ständig verschärfen und das Klimachaos am Ende so groß sein, dass es Rationierung und staatliche Planung braucht, um alle durchzubringen. Das erste Gut, das wir rationieren müssen, ist Wasser. Dürren und Hitzeperioden werden ständig zunehmen, und wenn das Wasser knapp wird, werden alle wissen wollen, wer das Wasser jetzt kriegt. Sind das die Haushalte, die Industrie oder die Landwirtschaft? Das ist kein abstrakter Gedanke von mir – in Deutschland gibt es bereits eine nationale Wasserstrategie, in der Rationierung vorkommt. 

Denken Sie, ein Übergang zum grünen Schrumpfen ist ohne soziale Unruhen möglich?
Das ist offen. Eine Variante ist, dass die große Mehrheit erkennt, dass die Klimakrise sehr gefährlich wird. Man versucht, die Klimaprobleme demokratisch zu lösen und alle zu versorgen. Die andere Variante ist jene, die in schweren Krisen meist gewählt wurde: Man kehrt zurück in eine Art Warlord-System, wie es jetzt in Afghanistan herrscht oder wie es früher im Mittelalter in Europa mit den Raubrittern existierte. Güter werden knapp, und einige besitzen Waffen. Sie reißen sich die knappen Güter unter den Nagel und versprechen: Wenn ihr mir gehorcht, bekommt ihr etwas zu essen. Das wäre das Ende der Staatlichkeit und Demokratie, das Ende der Gerechtigkeit. Ein Kampf „alle gegen alle“. Noch leben wir in einer Überflussgesellschaft, so dass diese Szenarien sehr seltsam wirken. Aber bei der Klimakrise geht es ums Überleben.

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