Wunderschöne Qual
Als blutiger Anfänger am Reschenseelauf teilzunehmen, ist ein Erlebnis zwischen Genuss und Qual.
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Bild: Michael Andres/der Vinschger
Laufen ist ein permanenter Widerspruch. Lieber tot umfallen als aufgeben – sagt der Ehrgeiz. Nicht in Leistungskategorien denken, denn dabei sein ist alles – entgegnet die Bequemlichkeit. Wenn man am Startfeld des Reschenseelaufs steht, dann freut man sich tatsächlich einfach nur dabei zu sein. König Ortler und der Grauner Kirchturm, der als stiller Zeitzeuge aus dem Wasser ragt, schaffen eine einmalige Kulisse. Die Platzsprecherin versucht allen gute Laune aufzuzwingen und ruft ins Mikrofon: „Ach, was sind wir heute alle super drauf!“
Dann fällt endlich der Startschuss. Gemeinsam mit den anderen 3.000 Teilnehmern flitze ich los. Erfahrene Läufer haben mir vor dem Start noch gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gegeben: „Renne die ersten Kilometer bloß nicht zu schnell, weil sonst geht dir im letzten Teil die Puste aus." Scheiß auf die Ratschläge. Adrenalin schießt durch meine Adern, Zuschauer feuern mich an. Ich fühle mich hervorragend und laufe in freudiger Aufgeregtheit blind drauflos. Ein Fehler, der später noch bestraft wird.
Als ich noch nicht einmal die Hälfte der 15,3 Kilometer langen Strecke bewältigt habe, brandet auf der anderen Seite des Sees schon Applaus auf. Der Tscheche Milan Kocourek überquert als erster die Ziellinie und stellt trotz der heißen 30 Grad einen neuen Streckenrekord auf.
Voller Zuversicht laufe ich weiter, bis mir das große Missgeschick passiert. Bei einer Trinkstation schütte ich einen Becher Wasser in mich hinein, verschlucke mich und komme völlig aus dem Rhythmus. Es folgt der Albtraum eines jeden Hobbyläufers: Atemnot kombiniert mit Seitenstechen.
Die ersten fünf Kilometer sprintete ich noch wie ein junges Reh den See entlang, jetzt fühlen sich meine Beine so schwer an, als wären sie aus Beton. In solchen Momenten stellt man sich zwangsläufig die Frage, was man hier eigentlich macht. Wieso quäle ich mich, wenn ich genauso gut am Strand von Rimini meine Zehen in feinen Sand stecken und eine Piña Colada schlürfen könnte? Sofort meldet sich mein innerer Drill Instructor zu Wort: Keine Müdigkeit vortäuschen! Bis zum Ende des Rennens schießen mir immer wieder die drei selben Worte in fetten Lettern durch den Kopf: JETZT NICHT AUFGEBEN!
Nach einer Stunde und 22 Minuten taumle ich völlig erschöpft, aber glücklich ins Ziel. Wie man nach so einer Schinderei Glück empfinden kann? Jeder Meter ist hart erarbeitet, deswegen macht auch jeder Meter mächtig stolz. Klingt banal, ist aber so.
Am nächsten Tag überfliege ich die Ergebnisliste und sehe, dass ich auf Platz 1.243 gelandet bin. Achselzuckend werfe ich meine Laufschuhe in die Ecke und haue mich auf die Couch. Die Bequemlichkeit hat wieder über den Ehrgeiz gesiegt.
veröffentlicht am 5. September 2013 2013-09-05T15:48:02+02:00
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