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Valentina Gianera
Veröffentlicht
am 27.04.2023
LabernTheaterstück in der Dekadenz in Brixen

Widerstand des Absurden

Veröffentlicht
am 27.04.2023
„Zwischenfälle“ begibt sich auf den Spuren des russischen Widerständlers Daniil Charms auf die Suche nach dem Absurden. Das Lachen des Publikums zieht sich wie ein roter Faden durchs Stück – und bleibt einem dann doch wieder im Halse stecken.
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Dekadenz – Zwischenfaelle – 100 1

Soll die Vase lieber auf dem Tisch oder rechts neben ihm stehen? Der junge russische Herr, der seine Wohnparzelle akribisch für die bevorstehende Ankunft seiner Liebschaft schmückt, überlegt laut. Er streckt die Hand mit der Vase dann nach rechts und lässt sie hüfthoch über dem Boden baumeln. Die Finger fest um den Hals der Blumenvase geschlungen, hat er sich – aller Logik zum trotz – wohl für rechts daneben entschieden und wird die Vase nun, so scheint es, aus dieser Höhe zu Boden stürzen lassen, anstatt sie, denkrichtig, links auf den Tisch zu stellen.

In einer Eigenproduktion des Kleinkunsttheaters Dekadenz in Brixen widmet sich der Südtiroler Theatermacher Dietmar Gamper dem Werk und Wirken des widerständigen russischen Schriftstellers Daniil Charms. Charms, 1905 in Sankt Petersburg geboren, war Schriftsteller, Künstler, Exzentriker und Teil der „Vereinigung der realen Kunst“, die 1931 als antisowjetische Gruppe verboten worden war. Die Dekadenz greift Charms Werk in Zeiten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dabei nicht von ungefähr auf: „Die Geschichte der russischen Kultur, ist eine Geschichte des verzweifelten Widerstands gegen eine verbrecherische Staatsmacht, vernichtenden Niederlagen zum Trotz”, wird der russisch-schweizerische Autor Mikhail Shishkin im Programmheft zitiert. Dieser Widerstand ist bei Daniil Charm der Widerstand des Absurden, der sich durch eine „umgestülpte Welt” der Realität des Stalinismus entgegensetzt. Dabei wird das Absurde von genauester Präzision begleitet, die immer wieder neue Erwartungen schafft, die es mit neuen Absurditäten zu durchbrechen gilt.

So stellt der junge Herr auf der Bühne – unbeeindruckt von der Erwartung des Publikums (Blumenvase links auf den Tisch oder aus Hüfthöhe am Boden zerschellen lassen?) – die Vase dann, nachdem er den Tisch ganz einfach nach rechts unter die Vase gezogen hat (!), auf die nun passend positionierte Tischfläche und kümmert sich weiter um die bevorstehende Verabredung mit Maria Ivanovna. Trotz der akribischen Vorbereitungen trifft die Dame bei ihrer Ankunft auf das reine Chaos; und auf den Onkel des Herrn, der sich, anstatt der erwarteten Grußworte einen Hammer aus dem Mund zieht.

Dann folgt eine plötzliche Verneigung. Was ein mehr oder weniger intimes Abendessen hätte sein sollen, wird zum Theaterstück, das – sobald es sich als solches outet und damit die Verschwiegenheit der Kommunalka (einer gemeinschaftlichen Wohnform der Sowjetunion) verlässt, sofort der Zensur der sowjetischen Behörden ausgesetzt wird: In dunkle mit dem typischen Bauchriemen verschlossene Mäntel und schwere Schnürstiefel gekleidet, drängen sich die Bolschewiken (ihrerseits interpretiert durch die eben noch auf der Bühne stehende Ensemble, das insgesamt nur drei Personen umfasst und als solches in eine Vielzahl an Figuren schlüpft) durch das lachende Publikum der Dekadenz. Die sowjetischen Ordnungshüter wischen ebendieses Lachen mit knapper Brutalität aus den Gesichtern der Darstellenden. Das Lachen des Publikums wird unter Beobachtung gestellt.

So springt das Stück von einem Sketch zum nächsten, immer wieder unterbrochen durch die bolschewistische Diktatur und gleichzeitig nur durch sie zusammengehalten: Wie auch Daniil Charms Werk verliert jegliche Alltagslogik, die unsere dramaturgischen Erwartungen prägt, ihre Geltung; was bleibt ist der Widerstand gegen die engen Mauern der Diktatur.

Das Stück ist noch bis zum 6. Mai in der Dekadenz in Brixen zu sehen.

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