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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 16.09.2024
LebenSchlafstörungen

Wenn Schlaf zum Stressfaktor wird

Veröffentlicht
am 16.09.2024
Fast jeder vierte Erwachsene leidet an einer Schlafstörung. BARFUSS hat mit Betroffenen und einem Experten über die verschiedenen Arten von Schlafstörungen gesprochen, darüber, wie eng gesunder Schlaf mit Körper und Psyche zusammenhängt und welche Perspektiven es gibt.
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Es ist kurz vor vier Uhr nachts. Bereits zum dritten Mal steht Petra (Name von der Redaktion geändert) in dieser Nacht auf. Sie legt sich aufs Sofa, schaltet den Fernseher ein und wartet darauf, dass sie wieder müde genug wird, um einzuschlafen. Erst gegen 05.30 Uhr ist das der Fall. Für die Boznerin eine Nacht wie jede andere, erzählt sie. Am Morgen schlafe sie meist bis zehn. Inzwischen gehe das, weil sie in Pension ist. Bis vor einem Jahr sei sie nach so einer schlaflosen Nacht in der Früh ganz normal zur Arbeit gegangen. „Ich habe schon so viel versucht, aber es nützt einfach nichts“, sagt Petra, die seit etwa fünf Jahren immer wieder mal mit Depressionen und infolgedessen auch mit Ein- und Durchschlafschlafstörungen zu kämpfen hat. Alleine ist sie damit nicht: Insgesamt leiden über 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung der westlichen Länder, also fast jeder vierte Erwachsene, an Schlafstörungen – damit gehören diese zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden.

Wer nicht gut schläft, ist tagsüber erschöpft, reizbar und antriebslos.

Guter Schlaf ist wichtig
Etwa ein Drittel unserer Lebenszeit verbringen wir mit schlafen. In dieser Ruhephase regeneriert sich unser Körper, das Gehirn verarbeitet die Informationen des Tages. Schlaf ist wesentlich für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Wer nicht gut schläft, ist tagsüber erschöpft, reizbar und antriebslos. Konzentrations- und Koordinationsstörungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Muskelschmerzen und Stimmungsschwankungen sorgen für einen Dauerstress von Körper, Geist und Seele. Schlechter Schlaf kann daher langfristig Auswirkungen auf die Gesundheit haben: Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen. Auch das Risiko für Unfälle steigt. Zwischenmenschliche Beziehungen sind einer höheren Belastung ausgesetzt.

Welche verschiedenen Arten von Schlafstörungen gibt es, wie entstehen sie und: Wie finden Betroffene wieder zu einem qualitativ hochwertigen Schlaf zurück?

Schlaf und Atmung
Schlafmediziner Nikolaus Netzer leitet ein privates Schlaflabor in Bozen und hat in den letzten 40 Jahren in mehreren Schlafkliniken in Deutschland und den USA gearbeitet. „Sogenannte Schlafapnoen sind mit Abstand die häufigste Form der Schlafstörungen, davon sind in Südtirol etwa zehn Prozent behandlungsbedürftig“, erklärt der Pneumologe und Schlafexperte. Bei der Schlafapnoe handelt es sich um eine schlafbezogene Atmungsstörung: Beim Einatmen kommt es durch den Sog zu einem Verschluss des Rachens – dabei setzt die Atmung aus. Das Gehirn sendet ein Aufwachsignal, um das Ersticken zu verhindern. Das kann hunderte Male pro Nacht geschehen, was dem/der Patient:in wichtigen Schlaf raubt – häufig unbewusst. Die Folge: Die Menschen fühlen sich tagsüber ständig schlapp und müde. „Von der Anatomie und Genetik her gibt es Menschen, die eher dazu tendieren, Schlafapnoen zu bekommen. Übergewicht und Geschlecht in Bezug auf Alter hängen stark damit zusammen – das heißt aber nicht, dass es nur alte, dicke Männer betrifft“, so Netzer.

Es gibt zahlreiche Arten von Schlafstörungen. Ein- und Durchschlafstörungen, sogenannte Insomnien – wie bei Petra – gehören mit 15 Prozent ebenfalls zu den häufig vorkommenden Schlafstörungen. Eine Einschlafstörung liegt vor, wenn man länger als eine halbe Stunde benötigt, um einzuschlafen. Bei einer Durchschlafstörung wacht man immer wieder auf und braucht dann wieder längere Zeit, um in den Schlaf zurückzufinden.

Dr. Nikolaus Netzer

„Die Restless Legs, eine schlafbezogene Bewegungsstörung, liegen bei etwa 5 %. Dabei bewegen die Patient:innen die ganze Nacht über die Beine, sie zucken oder strampeln“, erklärt der Experte. Sehr selten seien Parasomnien (Verhaltensauffälligkeiten im Schlaf), wie Schlafwandeln oder die sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung, bei der Betroffene nachts beispielsweise Sachen kaputt machen oder um sich schlagen. 

„Schatz, du schnarchst“
Wer diesen Satz öfters hört, sollte mal genauer hinschauen: Theodor (Name von der Redaktion geändert) ist ein Patient von Nikolaus Netzer. Einmal im Jahr geht er ins Schlaflabor – erst kürzlich war er in Bozen, um sein Schlafverhalten kontrollieren zu lassen. Der ehemalige Journalist bemerkte seine Schlafstörung anfangs gar nicht, sondern seine Ehefrau. Denn Theodor schnarcht. „Außerdem hat meine Frau mitbekommen, dass ich während des Schnarchens Atemaussetzer, also Schlafapnoen, habe. Deshalb bin ich damals, das ist schon über 20 Jahre her, zum ersten Mal ins Schlaflabor“, erzählt der inzwischen 75-Jährige. Obwohl ihm es anfangs gar nicht bewusst war, bemerkte Theodor trotzdem die Auswirkungen: „Ich hatte große Schwierigkeiten, längere Autofahrten zu unternehmen und musste aufpassen, nicht einzuschlafen.“ Durch die Müdigkeit fiel es dem einstigen Journalisten zudem schwer, konzentriert und aufmerksam zu bleiben. Eine große berufliche Einschränkung, die Körper und Geist einiges abverlangt. „Ich hätte nie gedacht, dass das von einer Schlafapnoe kommt“, sagt er rückblickend.

So unterschiedlich die Schlafstörungen der unzähligen Betroffenen sind, so individuell sollte die Behandlung aussehen.

Lange nutzt er eine sogenannte CPAP-Maske – dabei handelt es sich um einen kleinen Ventilator, der durch Druck den Schlund geöffnet hält –, um dem entgegenzuwirken. Seit einiger Zeit leidet er an einer zentralen Schlafapnoe (Anm. d. Red.: Bei dieser Form ist die Atmungssteuerung durch das Gehirn beeinträchtigt. Ursache dafür können neurodegenerative Erkrankungen, entzündliche Hirnerkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinsuffizienz sein) und benutzt aus diesem Grund ein so genanntes Adapted-Servo-Ventilation-Gerät (ASV), das über eingebaute Sensoren verfügt, die die Atmung kontrolliert und Raumluft an Mund und Nase weiterleitet. „Damit schlafe ich wunderbar“, sagt er. Zusätzlich nutzt er einen Sauerstoffgenerator, der die Sauerstoffsättigung in der Nacht hochhält. Damit werde auch der Demenz entgegengewirkt.

Emotional hätte er – im Gegensatz zu Petra – allerdings nie gelitten, sagt Theodor. So unterschiedlich die Schlafstörungen von Petra und Theodor und den unzähligen anderen Betroffenen sind, so individuell sollte die Behandlung aussehen. Als Somnologe kennt Nikolaus Netzer das gesamte Feld der Schlafmedizin – von der Pneumologie über die Neurologie, Psychiatrie, Psychologie und Pädiatrie. Er weiß: Es gibt nicht die eine Behandlungsweise – jede:r Patient:in wird individuell angeschaut und betreut, Netzer spricht von einer „personalisierten Medizin“, die in der Schlaftherapie unablässig ist.

Schlafen im Labor
Wenn Schlafstörungen andauern und ärztliche Behandlungsmethoden erfolglos bleiben, kann eine Untersuchung im Schlaflabor eine Möglichkeit sein, um das Problem in den Griff zu bekommen. Vor der Polysomnographie, also der Untersuchung und Messung biologischer Parameter im Schlaf, werden standardisierte Fragebögen verwendet. Manchmal bestätigen die Untersuchungen eine erste Vermutung, manchmal führen sie aber auch zu überraschenden Ergebnissen, berichtet Netzer – zum Beispiel, dass die Patient:innen mehr schlafen, als sie es selbst glauben. Elektroden an Kopf und Körper, ein Gurt an Bauch und Brustkorb und die ganze Nacht unter Beobachtung stehen: Viele Befürchtungen der Menschen, sie könnten im Schlaflabor nicht gut schlafen, bestätigen sich kaum, meist zeigt sich lediglich ein leicht verzögertes Einschlafen. Nur wenige können kaum schlafen – dann spricht man vom sogenannten First Night Effect, weshalb die Patient:innen auch zwei Nächte im Schlaflabor verbringen und dann den Schlaf in der zweiten Nacht nachholen. So kann in jedem Fall ein gutes Bild der Schlafstruktur gebildet werden.

Die Betten, die es hierzulande gibt, entsprechen nicht einer Medizin auf westeuropäischem Niveau.

Dr. Nikolaus Netzer

Möchte man als Patient:in nicht in ein privates Schlaflabor, kann man das auch über den Südtiroler Sanitätsbetrieb machen. Der Haken: Die Wartelisten sind lang. Laut WHO bräuchte es ein Schlaflabor-Bett pro 50.000 Personen, so Netzer. Das sei allerdings sehr niedrig angesetzt. „Das Bozner Krankenhaus erweitert meines Wissens nach gerade auf vier Betten.“ Die schwersten Fälle von Schlafapnoen würden dort zuerst behandelt werden, Patient:innen mit anderen Schlafstörungen müssten warten. Immerhin: In Brixen hat 2024 ein neues Schlaflabor eröffnet. „Die Betten, die es hierzulande gibt, entsprechen trotzdem nicht einer Medizin auf westeuropäischem Niveau“, kritisiert der Experte.

Wird eine Schlafapnoe diagnostiziert, gibt es drei schulmedizinische Wege, um diese zu behandeln. Die sicherste, häufigste und einzige Methode ohne Nebenwirkungen ist die CPAP-Maske, wie bei Theodor.
Eine andere Methode, die vor allem bei bestimmten physiologischen Gegebenheiten zum Einsatz kommt, ist die Zahnschiene oder „Anti-Schnarch-Schiene“. Durch zwei miteinander verbundene Schienen oben und unten am Gebiss, wird der Unterkiefer leicht nach vorne gezogen und dadurch auch die Zunge, sodass der Schlund offen bleibt. 
Bei einer Operation wird dagegen ein Zungenschrittmacher eingesetzt. Dieser registriert das Einatem-Signal und sendet dann ein Signal weiter, sodass der Zungenmuskel bewegt wird und die Zunge nach vorne zieht. Diese Methode ist nicht für jede:n Patient:in geeignet und überdies sehr teuer – die Kosten werden in Italien nicht von der Krankenkasse übernommen. Jene der CPAP-Maske hingegen schon. Von anderen Methoden, die unter anderem im Internet angeboten werden, wie Nasenpflaster oder Anti-Schnarch-Öl, raten Mediziner:innen ab.

Wenn die Seele einen nicht schlafen lässt
Ängste, Sorgen, Ärger oder psychische Erkrankungen begünstigen Schlafstörungen. Patient:innen mit Depressionen sind häufiger von Schlafstörungen betroffen – was zum einen daran liegt, dass durch die Depression selbst Schlafstörungen verursacht und zum anderen diese durch Medikamente hervorgerufen werden. Durch die Einnahme von Schlafmittel und Psychopharmaka sei der Schlaf sehr häufig gestört, so Netzer, der erstaunt ist, wie viele seiner Südtiroler Patient:innen zu solchen greifen: „Ich persönlich sehe die Lösung bei Schlafstörungen oft nicht in der Medikamentengabe. Das kann man mal machen, wenn ein akutes Problem wie eine posttraumatische Belastungsstörung auftritt und man Schwierigkeiten mit dem Ein- und Durchschlafen hat.“ In der Dauermedikation sehe er aber keine Lösung – sie führe lediglich zu Abhängigkeit und paradoxen Wirkungen, zum Beispiel einem noch schlechteren Schlaf. Das merkt auch Petra, die letzthin immer öfter zu Schlaftabletten greift: „Meistens habe ich nur ab und zu eine genommen, wenn es mal ganz schlimm war. Letzthin habe ich öfter eine Tablette eingenommen, aber ich merke, dass sie nicht mehr richtig helfen.“

Von Grübeleien und Sorgen sollte man sich abends frei machen.

Dr. Nikolaus Netzer

Was hilft, das heilt
Gibt es keine medikamentösen Alternativen? Melatonin- oder Baldriantropfen, Mittel aus der Naturheilkunde? Netzer ist der Meinung: Was hilft, das heilt. „Und den Placebo-Effekt dürfe man bei alldem nicht unterschätzen.“ Zudem gibt es viele weitere Faktoren, die zu einer guten Schlafhygiene beitragen: eine gute Matratze, eine ideale und ruhige Schlafumgebung mit optimaler Temperatur – zwischen 18 und 22 Grad. Kälter sollte es nicht sein, weil es den Körper Kraft kostet, die Atemluft aufzuwärmen. Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen rät Netzer zudem zu abendlichen Routinen und erst dann ins Bett zu gehen, wenn ihnen die Augen zufallen. „Sobald der Körper signalisiert, dass er müde ist, sollte man zügig ins Bett gehen. Zähne putzen und dergleichen sollte man vorher schon alles erledigt haben.“ Von Grübeleien und Sorgen sollte man sich abends frei machen und sich auf andere Dinge konzentrieren, wie auf ein Buch oder einen Film. Essen hat übrigens laut bisherigen Studien keine direkten Auswirkungen auf den Schlaf, nichtsdestotrotz sollte man spät abends keine zu schwere Kost zu sich nehmen. Auch große Mengen Alkohol begünstigen Durchschlafstörungen, sollten also unbedingt vermieden werden. Eine Psychotherapie kann bei anhaltenden Insomnien ebenfalls unterstützend wirken.

Nicht einmal ein Drittel der Betroffenen nehmen professionelle Hilfe in Anspruch. Dabei ist Schlaf laut Netzer im Grunde genommen eine relativ stabile Angelegenheit des Körpers. Er ist überzeugt: „Fast jede Schlafstörung lässt sich behandeln.“

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