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Sara Gostner
Veröffentlicht
am 19.08.2024
LebenEmotionale Bindung

Was uns (ver)bindet

Veröffentlicht
am 19.08.2024
Wie ein unsichtbares Band: Warum eine vertrauensvolle Eltern-Kind-Bindung so wichtig ist und wie man als Eltern mit Erfahrungen aus der eigenen Kindheit umgehen lernt.
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Ein Elternteil entfernt sich vom Kind und – wie bei einem gespannten Gummiband – läuft das Kleine hinterher. Verantwortlich dafür ist ein Grundbedürfnis, das wir alle in uns tragen: Bindung. Dieses emotionale Band ist unsichtbar und man kann es nicht anfassen, aber eines ist sicher: Fühlen kann man es.

Was ist Bindung überhaupt? 
Wenn Eltern diesen Begriff hören, entsteht oft ein gewisser Druck. Denn Bindung klingt an und für sich schön. Sie klingt nach wohliger Wärme und Harmonie, nach ständiger Verbundenheit – aber sie ist weit mehr als das. Bindung ist komplex. Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist sein Überleben und Wohlbefinden vollständig von seiner Bindungsperson abhängig. Es nutzt seine angeborenen Kommunikationszeichen, wie Weinen oder Schreien, und teilt somit unmissverständlich mit, dass es gerade ein existenzielles Bedürfnis hat. Dies kann es noch nicht selbst befriedigen, es benötigt externe Unterstützung. Das in uns Menschen evolutionsbiologisch verankerte Fürsorge- und Bindungsverhaltenssystem springt an: Wir nehmen das Baby auf den Arm, füttern, trösten, liebkosen und beruhigen es. 

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts glaubten Forscher, Bindung entstehe rein durch die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse (zum Beispiel laut Sigmund Freuds „Hemmung, Symptom und Angst“, 1926). John Bowlby, ein britischer Kinderarzt, Kinderpsychiater und Pionier der Bindungsforschung, veröffentlicht im Jahre 1951 im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Studie, die diese These widerlegt: Die Ausbildung einer – ebenso überlebensnotwendigen – vertrauensvollen Bindungsbeziehung zwischen Eltern und Kind wird von der regelmäßigen Verfügbarkeit und Feinfühligkeit der Bindungsperson bestimmt. Diese muss nicht notwendigerweise für die körperliche Versorgung (zum Beispiel das Stillen) des Kindes zuständig sein und auch nicht unbedingt biologisch verwandt sein. Ohne die Möglichkeit auf eine solche Bindungsbeziehung zu mindestens einer Person können sich Babys physisch und psychisch nicht optimal entwickeln. Die Bindungstheorie nach Bowlby gilt heute noch als Basis vieler psychotherapeutischer Ansätze.

Daniela Pirhofer kann in ihrer Arbeit als Still- und Laktationsberaterin, Fachberaterin für Erste Emotionelle Hilfe und als Eltern-Baby-Therapeutin in Ausbildung Bowlbys Aussagen bestätigen – der heute vor allem unter dem Begriff Bonding bekannte Prozess sei ein menschliches Grundbedürfnis. „Es findet seine Anfänge nicht erst bei der Geburt, sondern bereits im Bauch der Mama.“ Im Mutterleib und bei der Geburt finden bereits starke Prägungen statt und während der ganzen Schwangerschaft wird bewusst und unbewusst über verschiedene Wege mit dem Baby kommuniziert, erklärt Pirhofer. Diese vorgeburtlichen Bindungsprozesse helfen den emotionalen Raum vorzubereiten, in den das Kind hineingeboren wird.

Was aber, wenn uns das nicht gelingt?

Ich habe mich nicht gespürt und somit war es für mich auch unmöglich, ihn zu spüren.

Karin

Karin (Name von der Redaktion geändert) ist genau das passiert. Sie wird mit 26 Jahren ungeplant schwanger und während sich in ihr vieles verändert, tut es das auch um sie herum. Sie zieht aus ihrer Heimat weg und hat Beziehungsprobleme. Zu ihrem Baby einen Bezug aufzubauen fällt ihr bereits in der Schwangerschaft schwer. „Ich erinnere mich heute noch an diese Nacht, als ich weinend aus dem Bett stieg und in die Küche ging. Ich fasste an meinen Bauch und sagte meinem Baby, dass ich es einfach nicht spüre. Körperlich, ja, aber nicht mit meinem Herzen.“ Die Hoffnung, dass es nach der Geburt besser wird, trägt Karin durch die restliche Schwangerschaft. Doch auch nach der Geburt bleibt es schwierig.

Karins Sohn kommt zwar gesund zur Welt, aber die komplizierte Geburt hinterlässt bei ihr Spuren. „Es ging mir sehr schlecht … Ich stillte ihn, wickelte ihn, trug ihn viel bei mir, aber es fühlte sich so mechanisch an. Ich habe mich nicht gespürt und somit war es für mich auch unmöglich, ihn zu spüren.“ Lange überlegt Karin, ob sie abstillen soll. Für eine Frau, die eh schon das Gefühl hat, als Mutter zu versagen, keine leichte Entscheidung. „Schlussendlich habe ich abgestillt und mein Sohn suchte daraufhin viel Körperkontakt, wollte viel kuscheln. Das hat uns beiden sehr gut getan, mein Herz war zum ersten Mal voller Liebe.“ Je besser es ihr wieder ging, desto besser wurde auch die Verbindung zu ihrem Sohn. 

Die sichere Bindung und woran man sie erkennt
Laut Bindungsexperten John Bowlby können Kinder ihre eigenen Gefühle noch nicht selbst regulieren, sondern brauchen dafür externe Hilfe. Eine sichere Bindung zwischen Bindungsperson und Kind entsteht dann, wenn dessen Bedürfnisse zeitnah erkannt, richtig interpretiert und feinfühlig darauf reagiert wird. Ein sicher gebundenes Kind hat verinnerlicht: Ich weiß und kann darauf vertrauen, dass ich mich in Stresssituationen an dich wenden kann, um Trost und Sicherheit zur Bewältigung meiner beunruhigenden Gefühle zu erfahren, um mich danach wieder meinen Spielaktivitäten zuzuwenden. Die Bindungsperson fungiert dabei als eine Art „Container“, der jedes Gefühl des Kindes tragen und halten kann. Dabei hat Traurigkeit genauso seinen Platz wie etwa Fröhlichkeit. Dem Kind wird vermittelt: Ich bin für dich da und habe dich lieb, egal in welchem emotionalen Zustand du dich gerade befindest.

In Stresssituationen zeigen sich die verinnerlichten Bindungsmuster aus der eigenen Kindheit – eine große Herausforderung. Eltern bringen immer eine persönliche Geschichte und ihre Erfahrungen mit, die sich nun – oft unbewusst – auf die Beziehung zu ihren eigenen Kindern auswirken. Um das zu vermeiden, sollte man ein gewisses Maß an Selbstreflexion besitzen. Wenn ein bestimmtes Verhalten des eigenen Kindes einen triggert, ist es hilfreich, kurz innehalten und sich zu fragen: Warum reagiere ich gerade so und welches Bedürfnis steckt überhaupt hinter meiner Reaktion? 

Es erfordert viel Mut sich mit seinen Schattenseiten und (unterdrückten) Emotionen zu befassen – Bowlby sieht darin aber eine wunderbare Heilungsfläche. Für einen selbst, für das Kind und das gesamte Familiensystem. Wenn eine Bindungsperson sich selbst – in ihrer Gesamtheit – kennt und akzeptiert und auch dazu imstande ist, ihre eigenen Gefühle und Reaktionen aktiv zu reflektieren, schafft sie eine gute Grundlage für eine sichere Bindungsbeziehung. 

Wer einmal sich selbst gefunden hat, der kann nichts auf dieser Welt mehr verlieren.

Stefan Zweig

Diese tief in uns verankerten Bindungsmuster sind nicht statisch, sondern können durch positive wie negative emotionale Erfahrungen im Laufe des Lebens verändert werden. Bindung ist somit nicht als ein einmal aufgebauter und dann unveränderlicher Zustand zu betrachten, sondern als ein Prozess, der sich von der Wiege bis zum Grab weiterentwickelt.

Die Erfahrung, dass sich Bindung entwickeln darf, hat auch Anna aus Bozen gemacht. Sie ist Mutter von drei Kindern, die grundverschieden sind. Genauso unterschiedlich war auch ihr Weg hin zu einer sicheren Bindungsbeziehung: „Mein erstes Kind kam mit großen gesundheitlichen Problemen zur Welt, monatelang konnte ich es nicht stillen oder halten, nur ansehen. Ich machte mir enormen Druck, hatte solche Angst, niemals eine Bindung aufbauen zu können.“ Das Gegenteil war der Fall: Mit jedem Tag wurde die Liebe größer.
Bei ihrer zweiten Geburt hält Anna nach einem Kaiserschnitt ihr Kind in den Armen und „alles fühlte sich irgendwie komisch an“, erzählt sie. Sie spürt keine Liebe. Die Schuldgefühle waren groß, aber auch dieses Mal wuchs die Liebe. Die Bindung wuchs. Beim dritten Kind dann endlich eine spontane und natürliche Geburt. Es war Liebe auf den ersten Blick. „Ich liebe meine drei Kinder so sehr. Mal hat es mit der Bindung länger gedauert, mal ging es schneller. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass sie auch wachsen darf. Das hätte mir viele Tränen gespart“, sagt die junge Frau heute. 

In meiner Jugend fiel mir auf, dass einige meiner Freundinnen ein viel engeres Verhältnis zu ihren Müttern hatten als ich zu meiner.

Maria

Es kommt auch vor, dass Eltern in bestimmten Lebensphasen Schwierigkeiten haben, den richtigen Zugang zu ihrem Kind zu finden. So hat es auch Maria (Name von der Redaktion geändert) bei ihrer Mutter empfunden, als sie in die Pubertät kommt. „In meiner Jugend fiel mir auf, dass einige meiner Freundinnen ein viel engeres Verhältnis zu ihren Müttern hatten als ich zu meiner.“ Ihre Mama sei sehr konservativ aufgewachsen, über gewisse Themen wurde einfach nicht gesprochen. „Bei meinem ersten Frauenarztbesuch hat sie mich zwar begleitet, aber den Raum verlassen, als es um Verhütung ging.“ Ihre Mama wäre, unter anderem wegen ihres streng katholischen Glaubens, strikt gegen die Pille und könne generell schwer andere Blickwinkel einnehmen als ihren eigenen. Ihre unterschiedlichen moralischen Kompasse hätten es oft schwierig für sie gemacht, eine tiefe Beziehung zueinander aufzubauen. 
Heute nimmt es Maria ihrer Mutter aber nicht übel – diese habe es schließlich nicht anders gelernt. Trotzdem hätte sie sich öfters einen empathischen, mütterlichen Rat gewünscht, den sie sich stattdessen bei Freundinnen oder ihrer älteren Schwester holte. „Für meine Mama tut es mir manchmal leid, sie weiß gar nicht wie viel von meinem Leben sie eigentlich verpasst“, sagt Maria. 

Daniela Pirhofer wünscht sich mehr Sensibilisierung zum Thema Bindung – bereits während der Schwangerschaft. Sie rät dazu, das Präventionsangebot zu nutzen. Es zeuge keinesfalls von Schwäche, sich bei Fachleuten Hilfe zu suchen, sondern von enormer Stärke und Mut. „Bindung ist nicht nur ein schönes Gefühl, sondern bedeutet gleichermaßen das Aushalten von schwierigen Gefühlen“, ist sie überzeugt. Dabei auch noch für sich selbst zu sorgen und immer wieder kleine Inseln des Krafttankens zu schaffen, sei eine große Herausforderung in der Elternschaft. Wenn es aber gelingt, Kindern diesen Raum zu bieten, schaffe man die bestmögliche Grundvoraussetzung für Bindungssicherheit, die tragfähig fürs ganze Leben ist.

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