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In Turnschuhen und sportlich-eleganten schwarzen Anzugjacken treten die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr albanischer Gegenüber Edi Rama am 5. Juni in Shengijn (Albanien) vor die Kamera. Ein leichter Wind verfängt sich in den Haaren der Ministerpräsidentin und bringt die Fahnen in ihrem Rücken zum Schwingen: links das Grün-Weiß-Rot der italienischen Flagge, rechts der schwarze Adler auf rotem Grund, zwischen den beiden die gelben Sterne der Europäischen Union. Die noch skizzenhaft vorhandenen Containergebäude, die den Grund für Melonis Besuch in Albanien darstellen, bilden die Kulisse für die gemeinsam einstudierte Pressekonferenz: Schon ab August sollen hier (sowie in weiteren zwei Zentren in Gjader) die Asylanträge von Tausenden von der italienischen Küstenwache abgefangenen Migranten abgewickelt werden – ohne dass sie das italienische Territorium auch nur einmal betreten. Albanien stellt in Freundschaft (und mit Aussicht auf Unterstützung für einen möglichen EU-Beitritt) den Boden zur Verfügung; Italien erzielt den Anschein, die Zahl der an den italienischen Küsten anlaufenden Migranten zu minimieren. Dabei ist der Plan teure politische Propaganda auf Kosten der Asylsuchenden.
Sortieren, dann retten
Der erste Schritt des im März 2024 beschlossenen Ablaufs wird auf offener See durchgeführt: Die Asylsuchenden werden aussortiert. Rückt die italienische Küstenwache für eine Rettung aus, müssen etwa die Hälfte der Asylsuchenden direkt nach Italien überführt werden: Frauen, Minderjährige und andere vulnerable Personen aus nicht sicheren Drittstaaten. Alle anderen, also männliche, nicht-vulnerable Personen aus von der italienischen Regierung als „sicher“ klassifizierten Ländern werden in die Auffangzentren in Albanien gebracht. Vulnerabilität und Herkunft der Personen, die ohne Papiere unterwegs sind, werden also noch auf dem Meer festgestellt. Die aussortierten Migranten sollen dann für die Erstaufnahme nach Shengjin und von dort für Asylverfahren und Abschiebung nach Gjader gebracht werden, wobei die insgesamt drei Zentren (gleich einer Botschaft) als außerterritoriales Staatsgebiet zählen. Das heißt: Es gelten italienische Gesetze und Verfahren und auch das Personal wird vom italienischen Staat gestellt und bezahlt.
Laut der Ministerpräsidentin sollen die Zentren in Albanien als Drehtüren fungieren: Pro Monat treten 3.000 Personen ein, werden registriert, identifiziert und festgehalten und stellen einen Asylantrag. Innerhalb von 28 Tagen (dies der Zeitraum für das 2023 eingeführte Schnellverfahren, das im Videoanruf mit Italien durchgeführt wird) soll die Entscheidung über den Asylantrag stehen: Nach 7 Tagen fällt die erste Entscheidung. Wird der Antrag abgelehnt, haben die Asylsuchenden 14 Tage Zeit, um Rekurs einzulegen. In weiteren 7 Tagen wird die endgültige Entscheidung gefällt. Wird einer Person internationaler Schutz gewährt, muss diese regulär nach Italien überführt werden. Wird der Asylantrag abgelehnt, wird die Person in ihr Herkunftsland abgeschoben und so Platz für weitere 3.000 Personen geschaffen.
Eingeklemmt
Neben den Schwierigkeiten, Migranten von einem Land ins andere zu bringen und ihre Rechte auf extraterritorialem Staatsgebiet zu garantieren, passiert ab dem Moment eines negativen Asylbescheids jedoch genau das, was in Italien und der gesamten Europäischen Union passiert: Ein Großteil von ihnen kann gar nicht abgeschoben werden. Auch wenn Migranten aus als „sicher“ klassifizierten Ländern stammen, braucht es für die Abschiebung ein funktionstüchtiges, bilaterales Abkommen mit dem Herkunftsland – und dieses existiert in den meisten Fällen nicht. So wurden 2023 in Italien nur eine von sieben Personen mit negativem Asylbescheid auch tatsächlich abgeschoben. 2022 waren es sogar noch weniger. Wer einen negativen Asylbescheid erhält, muss also in einem Abschiebezentrum (CPR) auf eine Rückführung warten, die in den allermeisten Fällen gar nicht durchgeführt werden kann. In Gjader stehen für die Wartezeit genau 144 Plätze zur Verfügung; alle anderen werden direkt in ein Abschiebezentrum in Italien überstellt. Nach 18 Monaten muss die Person – egal ob sie in Albanien oder in Italien festgehalten wird – aber auf italienischem Staatsgebiet freigelassen werden, wo sie sich ohne gültige Dokumente aufhält.
Ausufernde Kosten
Die Kosten für die „Drehtüren“ belaufen sich auf 660 Millionen Euro in fünf Jahren. Ausgaben, die laut Giorgia Meloni eine langfristige Investition darstellen, denn: Die Aufnahme von Migrant:innen koste auch in Italien Geld (stimmt, aber deutlich weniger); zudem würde das Verfahren dazu führen, dass Migranten abgeschreckt und somit die Asylsuche gar nicht antreten werden. Warum Migranten von der Aussicht, ihren Asylantrag unter gleichbleibenden Bedingungen in Albanien zu stellen, abgeschreckt werden sollten, bleibt dabei ungeklärt. Außer die italienische Regierung rechnet damit, dass die Möglichkeiten der Migranten, ihre Rechte geltend zu machen, in Albanien (noch) schlechter stehen als in Italien. Dann haben wir ein Menschenrechtsproblem. Aber das haben wir sowieso.
Rückenwind aus Europa
Im Dezember 2023 bezeichnete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Offshore-Verfahren als „Beispiel für unkonventionelles Denken, das auf einer fairen Aufteilung der Verantwortung mit Drittstaaten basiert und im Einklang mit den Verpflichtungen aus EU- und internationalem Recht steht“. Im Juni erklärte eine Gruppe von 15 EU-Ländern ein ähnliches Verfahren für die gesamte EU prüfen zu wollen. Dabei zeigt eine Analyse der Vereinigung für Juridische Studien im Bereich Immigration (ASGI), dass die Entscheidung, eine sich bereits auf nationalem Staatsgebiet befindende Person in ein Drittland zu deportieren, um sie daran zu hindern, das nationale Territorium zu betreten, anstatt ihre Rettung zu Ende zu führen, geltende europäische und internationale Normen verletzt.
Text: Alessio Giordano/Valentina Gianera
Dieser Text ist erstmals in der Straßenzeitung zebra. (01.07.2024 – 31.07.2024 | 97)erschienen.
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