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Thomas Vonmetz
Veröffentlicht
am 31.01.2022
LebenInterview mit SH-Vorsitzenden

Studieren in Pandemiezeiten

Veröffentlicht
am 31.01.2022
Julian Nikolaus Rensi, Vorsitzender der SH und Student, kennt die Probleme seiner Mitstudierenden. Dass im Unibetrieb etwas schiefläuft, habe nicht nur mit Corona zu tun.
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Nikolaus Julian Rensi

Covid-19 hat das gesellschaftliche Leben seit zwei Jahren fest unter Kontrolle und die Corona-Maßnahmen verlangen auch von den Studierenden viel ab. Statt in gut gefüllten Vorlesungsräumen zu sitzen und sich auszutauschen, waren viele zuhause an ihre Bildschirme gefesselt. Zwar hat sich vieles im Vergleich zum ersten Pandemiejahr gebessert, doch der Fernunterricht findet in etwas abgeschwächter Form immer noch statt und auch das „Studentenleben“ ist stark eingeschränkt. Wie genau die Situation der Studierenden in der Pandemie ist, erläutert der neue Vorsitzende der Südtiroler Hochschülerschaft Julian Nikolaus Rensi im Gespräch mit Barfuss.

Wie würdest du das momentane „Studentenleben“ beschreiben?
Das „Studentenleben“ war schon immer ein Privileg für jene, die sich eine ausschweifende Unizeit leisten können. Das traf und trifft also nicht auf alle zu. Aber ja, wildes Nachtleben und reichlicher Kulturgenuss sind jetzt kaum noch vorhanden. Vielfach hat sich das in den privaten Raum verlagert. Illegale Raves hier und da können die verlorengegangene „Normalität“ des Studierenden-Daseins aber nicht ersetzen. Obwohl meine Generation zu den „Digital Natives“ zählt, fehlt die soziale Nähe. So sehr, dass es viele krank macht. Hinzu kommt bei vielen Studierenden das Gefühl, alle Opfer und Anstrengungen im Kampf gegen Covid-19 seien umsonst gewesen: Viele waren solidarisch und dachten, gemeinsam komme man da wieder raus. Und nun muss man mitansehen, wie ein bedeutender Teil der Bevölkerung in kindlichem Trotz die Pandemie durch destruktives Verhalten in die Länge zieht, worunter wieder vor allem junge Menschen leiden. Die Politik scheint inzwischen völlig planlos herumzutasten. Das ist desillusionierend. Viele Studierende haben das zermürbende Gefühl, es gehe überhaupt nichts mehr weiter.

Julian Nikolaus Rensi ist selbst Student und neuer SH-Vorsitzender.

Gibt es Unterschiede zwischen Italien und dem deutschsprachigen Raum?
Mir kommt vor, dass die Studierenden in Europa eine recht ähnliche Haltung zu Corona bzw. zur Coronapolitik zeigen: sehr wissenschaftsnah, überdurchschnittlich für die Impfung eintretend und solidarisch, aber gleichzeitig skeptisch, was pauschale Einschränkungen des öffentlichen Lebens angeht. Corona trifft massiv junge Menschen, die sowieso schon mit pessimistischen Zukunftsperspektiven aufwachsen müssen, man denke an die Klimakrise. Die Soziologie sagt uns Studierenden einen Hang zu Fatalismus und Pessimismus nach. Trotz gemeinsamer Grundmuster gibt es aber sicherlich auch Unterschiede, wie Studierende in Deutschland oder Italien die pandemische Wirklichkeit erleben.

Sind unterschiedliche Pandemiemaßnahmen dafür verantwortlich?
Ja. Die Universitäten erlitten zwar fast überall gleichermaßen Schließungen und Umstellung auf Fernlehre, und das oft überstürzt und schlecht organisiert, aber das allgemeine öffentliche Leben bzw. die persönliche Freiheit wurde und wird unterschiedlich stark eingeschränkt. In Italien mehr als im deutschsprachigen Raum. Und das wirkt sich natürlich stark darauf aus, wie die Studierenden das Leben in der Pandemie erleben.

Julian Nikolaus Rensi, Jahrgang 1997, maturierte am Franziskanergymnasium in Bozen. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft in Heidelberg und seit 2017 Italienisches Recht in Innsbruck. Bereits in der Oberschulzeit war er als Schülervertreter und als Präsident des Landesbeirates der SchülerInnen (LBS) aktiv. Seit Dezember 2021 ist er Vorsitzender der SH und Mitglied im Landesbeirat für das Recht auf Hochschulbildung.

Sind momentan vor allem finanzielle Gründe ausschlaggebend für einen Studienabbruch oder gibt es auch andere?
39 Prozent der europäischen Jugendlichen haben in der Coronakrise mit finanziellen Einbußen zu kämpfen und in Deutschland ging die studentische Erwerbstätigkeit um 16 Prozent zurück. Dabei finanziert der Großteil der Studierenden sich das eigene Studium zumindest mit. Also führten ohne Frage auch finanzielle Engpässe zum Studienabbruch. Ich denke, dass nicht wenige von uns aber auch aus nicht strikt ökonomischen Gründen das Studium aufgeben und sich dazu entschließen, nach der Matura erstmal was anderes zu machen. Es ist aktuell einfach nicht so attraktiv wie sonst, an die Uni zu gehen. Allerdings kann ich nicht nachweisen, dass die Zahl der Studienabbrecher seit März 2020 besorgniserregend gestiegen wäre.

“Der große Sprung ins kalte Wasser bleibt aus und oft stellt sich Enttäuschung ein.”

Beklagen Studierende, dass die öffentliche Hand ihnen nicht unter die Arme greift?
Ich kann nur für Südtirol sprechen und da beschränkten sich finanzielle Härtefälle unter Studierenden eigentlich nur auf 2020. Mit reichlich medialem Druck gelang es uns, Hilfsgelder durchzusetzen. 2021 haben wir als SH Forderungen nach spezifischen Corona-Hilfen für Studierende zugegebenermaßen nur noch halbherzig erhoben, weil wir objektiv keinen so akuten Bedarf mehr feststellen konnten wie im ersten Pandemiejahr. Die ökonomische Lage bleibt in zahlreichen Familien zwar angespannt, hat sich aber doch im Vergleich zu 2020 wesentlich gebessert – sodass auch die Studierenden im Durchschnitt nicht mehr mit wirklich existenziellen Problemen konfrontiert sind.

Haben es Studienanfänger besonders schwer?
Der Studienbeginn markiert im Normalfall eine Art Zäsur, den spannenden Übergang in einen neuen, aufregenden Lebensabschnitt. Ich habe aber den Eindruck, dass es sich für die jüngeren Kollegen und Kolleginnen jetzt mehr um einen fließenden Übergang von der Schul- in die Unizeit handelt, wohl auch, weil pandemiebedingt die Verbindung zum Elternhaus enger bleibt, man weiter viel zuhause bleibt. Der große Sprung ins kalte Wasser bleibt aus und oft stellt sich Enttäuschung ein, da auch Druck unter Gleichaltrigen besteht, möglichst viele coole Erfahrungen zu sammeln. Für Studienanfänger und -anfängerinnen ist es momentan schwierig, in einer neuen Stadt wirklich anzukommen, sich dort einzuleben, sich ein neues soziales Umfeld zu schaffen. Im Vergleich zu 2020 hat sich jedoch auch diesbezüglich so manches gebessert: Die Fachschaften und Studienvertretungen bemühen sich aktiv darum, ihren neuen KommilitonInnen den Studienbeginn zu erleichtern, socializing zu fördern und auch die Erstsemestrigen selbst sind kreativ, neue Leute kennenzulernen und zusammen die Herausforderungen des Uni-Alltags zu meistern.

Glaubst du, dass aufgrund des Fernunterrichts die Leistungen der Studierenden schlechter geworden sind?
Nicht unbedingt. Erstens ist man weitgehend wieder auf die Präsenzlehre umgestiegen, und das teilweise schon seit Monaten. Zweitens stellt sich mir auch die Frage, ob denn die Bewertungskriterien bei Leistungskontrollen den besonderen Bedingungen und Erfordernissen der Fernlehre angepasst wurden. Die Maßstäbe, nach denen wir eine Leistung als gut oder schlecht beurteilen, müssen im Rahmen der Fernlehre einem wesentlich autonomeren und reduzierten, ja auch lustloseren Lernen gerecht werden. Aber in einzelnen Fällen wird man gewiss feststellen können, dass das Niveau tatsächlich geschrumpft ist und dass dabei die Schwierigkeiten der Fernlehre mitverantwortlich sind. Die Fernlehre hemmt nun einmal den spontanen, kreativen und akademischen Diskurs.

“Die demokratischen Institutionen haben so oder so ein gravierendes Glaubwürdigkeitsdefizit bei uns jungen Leuten, da täten sie gut daran, wenigstens jetzt auf uns zuzugehen.”

Unter Schülern ist die Anzahl der psychische Beeinträchtigungen während der Covidzeit deutlich gestiegen. Ist das auch unter Studierenden so?
Ja. In Deutschland sehen sich rund 40 Prozent der Studierenden mit psychischen Problemen konfrontiert – mehr als vor der Covidzeit – und in Österreich gaben 2021 bei einer repräsentativen Studie rund 60 Prozent der befragten Studierenden an, dass sie merklich gestresster sind als vor der Pandemie. Besonders belastend für Studierende war die Einsamkeit. Auch in der SH konnten wir die Zunahme psychischer Probleme unter unseren KommilitonInnen spüren: Der kostenlose psychologische Beratungsdienst, den wir anbieten, wird deutlich stärker beansprucht als vor Covid-19. Wir mussten den Dienst sogar ausbauen und zwei zusätzliche Personen für die Beratungen einstellen. Als Fortschritt empfinde ich, dass unter den Studierenden zunehmend offen über psychische Probleme diskutiert und dieses Thema endlich enttabuisiert wird.

Liegt das nur an der Pandemie?
Corona fungiert hier als Katalysator für Entwicklungen, die sich zuvor schon recht deutlich gezeigt haben. Das Studium macht systematisch krank bzw. hat heutzutage mehr als früher die Tendenz dazu, wie es auch die Statistiken belegen. Denn die Realität an den Hochschulen ist vielfach geprägt von Leistungsdruck, strukturell gefördertem Konkurrenzdenken und bewusst kreierten Stress-Situationen. Dieses toxische Klima ist das Ergebnis des neoliberalen Umbaus der akademischen Welt seit den 1990er Jahren, dessen Ziel es primär war, für eine entfesselte Wirtschaft gefügige Ausbeutungsobjekte zu generieren. Hieraus resultiert ein Angriff auf die psychische Gesundheit, bedingt durch die Struktur des Studiums selbst. Psychische Probleme hätten also auch ohne Pandemie zugenommen.

Der Neoliberalismus ist, kurz gesagt, eine Denkrichtung des Liberalismus. Dabei steht die Freiheit der markwirtschaftlichen Ordnung im Mittelpunkt und Privateigentum, freie Preisbildung, De-Regulierung, Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit sind elementare Bestandteile zu deren Durchsetzung. Der Staat soll hierbei nur minimal in die Wirtschaftsordnung eingreifen.

Was waren und sind Hauptforderungen der SH, um die Lage der Südtiroler Studierenden in der Covidzeit zu verbessern?
Wir als SH verlangen eine mutige Politik, die alles unternimmt, um die Pandemie möglichst schnell zu überwinden, damit sich das gewohnte soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben wieder einstellt. Wir sehen mit Sorge, dass in der längst vergifteten öffentlichen Debatte wissenschaftliche Fakten relativiert werden und auf eine Stufe mit dubiosen Meinungen und eklatanten Irrtümern gestellt werden. Das politische System wird dadurch destabilisiert und besonders wir Jüngere müssen das ausbaden. Die Jugend sollte außerdem – über die sie direkt vertretenden Organisationen – regelmäßig und vorab in die Planung weiterer Schritte im Kampf gegen Covid-19 eingebunden werden. So könnte man Unklarheiten, Problemen oder Missverständnissen vorbeugen. Die demokratischen Institutionen haben so oder so ein gravierendes Glaubwürdigkeitsdefizit bei uns jungen Leuten, da täten sie gut daran, wenigstens jetzt auf uns zuzugehen.

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