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Saskia Stachowitsch ist eine renommierte Wissenschaftlerin und Expertin auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Als FWF Senior Research Fellow und Principal Investigator des Projekts „Risky Borders“ erforscht sie die Rolle von Geschlecht in der Sicherheitspolitik der EU. Die Forscherin der Central European University betont nachdrücklich die Abwesenheit einer feministischen Genderperspektive in politischen Diskursen zu Sicherheit, Krieg und Frieden und warnt vor den bedeutenden Konsequenzen dieses Versäumnisses.
BARFUSS: Frau Stachowitsch, im Zuge Ihrer Arbeit forschen Sie aus einer feministischen Perspektive zur Sicherheitspolitik, zum Krieg und zu internationalen Konflikten. Was hat all das mit dem Geschlecht zu tun?
Saskia Stachowitsch: Kriege sind soziale Prozesse und gesellschaftliche Phänomene, die in bestehende Machtverhältnisse eingebettet sind. Jeder gesellschaftliche Prozess fußt auf Geschlechterverhältnisse, kann diese reproduzieren oder eben verändern, transformieren. Das heißt, es geht einerseits darum zu verstehen, wie verschiedene geschlechtlich definierte Gruppen, Frauen und Männer, aber auch Transgender-Personen, in kriegerischen Konflikten positioniert sind. Es geht darum, welche Werte und Normen in militärischen und sicherheitspolitischen Institutionen vorherrschen und inwieweit diese Geschlechtergerechtigkeit mit einbeziehen oder eben nicht. Es hat mit der unterschiedlichen Betroffenheit von kriegerischen Konflikten und Gewalt zu tun. Sicherheitsbedürfnisse sind nie geschlechtsneutral. Fragen wie: Was ist Sicherheit? Für wen gibt es Sicherheit? usw. können nicht akkurat beantwortet werden, wenn man annimmt, dass alle Personen und Gruppen gleich positioniert sind.
Stark vereinfacht gesagt, ist der Diskurs der vom männlichen Krieg und vom weiblichen Frieden, also der von kriegerischen Männern und friedfertigen Frauen.
Welche Rolle spielen Frauen im Krieg vs. welche Rolle spielen sie im Frieden?
Stark vereinfacht gesagt, ist der Diskurs der vom männlichen Krieg und vom weiblichen Frieden, also der von kriegerischen Männern und friedfertigen Frauen. Das sind Stereotype, aber auch mächtige Mobilisierungsnarrative. Unsere Militärapparate, die über Jahrhunderte gemeinsam mit der Nationalstaatsbildung in Europa entstanden sind, haben diese dichotome Geschlechtervorstellung mitgeprägt. So gibt es klar zugewiesene Räume im Kriegsfall oder auch im Frieden, in denen entweder Frauen und Männer vorwiegend tätig sein sollen. Der feministische Zugang in der Sicherheitspolitik geht nicht von diesen Stereotypen aus, sondern beschäftigt sich mit der Frage, wie Frauen, Männer, Männlichkeiten, Weiblichkeiten und andere Geschlechtsidentitäten in einem konkreten historischen und gesellschaftlichen Kontext positioniert sind.
Wieso sind diese genderstereotypischen Bilder gefährlich?
Zunächst einmal stört mich als Wissenschaftlerin, dass diese dichotomen Stereotype – also das Schwarz-Weiß-Denken – nicht akkurat sind. Die Darstellungen der friedfertigen Frau und des kriegerischen Mannes entsprechen nicht der Wirklichkeit und verfälschen das Bild von Krieg und Frieden und deren Akteur:innen. Solche dichotome Geschlechterordnungen und Geschlechterideologien können außerdem instrumentalisiert werden, besonders für Militarisierung und für militaristische Diskurse.
Inwiefern?
Die Vorstellung von Frauen als friedlich, schützenswert usw. ist nicht nur etwas, was in der Friedensbewegung positiv assoziiert wird, sondern auch Kriege legitimieren kann. Dieses Narrativ ist in Militarisierungsprozessen sehr stark eingebettet, wenn beispielsweise der Schutz von Frauen und Kindern oder die Emanzipation von Frauen als Kriegsgrund angegeben wird, wie beispielsweise im US-geführten „War on Terror“ (Anm. d. Red. „War on Terror“ ist eine angestrebte Politik, bei der verschiedene Maßnahmen auf politischer, militärischer und rechtlicher Ebene ergriffen werden, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.). Natürlich ist eine solche Stereotypisierung der Sicherheitspolitik auch auf individueller Ebene schädlich. Es versteckt und verdeckt die Bandbreite männlicher und weiblicher Beteiligung am Krieg: Frauen, die Täterinnen waren, Männer, die Friedensbewegungen angehörten oder desertierte Kombattantinnen, die dann in Peace-Building-Prozessen überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden und bei Demobilisierungsprogrammen, Ausbildungsprogrammen usw. nicht mitgedacht werden. Wenn wir die Bandbreite an Akteur:innen im Krieg und Frieden nicht erkennen und feststellen, wie viele Männer sich gegen kriegerische Konflikte stellen oder in der Friedensarbeit tätig sind oder sich dem Kriegsdienst widersetzen, dann reproduzieren wir kontinuierlich eine vereinfachende und falsche Sicht auf die Sicherheitspolitik.
Die Darstellungen der friedfertigen Frau und des kriegerischen Mannes entsprechen nicht der Wirklichkeit und verfälschen das Bild von Krieg und Frieden und deren Akteur:innen.
In einem Ihren Vorträgen meinten Sie, dass „Kriegspolitik nicht frauenfreundlich gemacht, sondern aus einer Genderperspektive heraus gedacht werden sollte.“ Was meinen Sie damit?
Wir müssen über technokratische Lösungsansätze hinausgehen. Es reicht nicht zu sagen, dass wir mehr Frauen in den Streitkräften brauchen, da das nicht das zentrale Problem ist. Ich will die Bedeutung von mehr Frauen in Militärapparten nicht in Abrede stellen, aber allein darin erschöpft sich keine Genderperspektive. Eine feministische oder gendersensible Perspektive auf Sicherheitspolitik fragt danach, was wir überhaupt mit Vorstellungen von Sicherheit verbinden. Wen betrachten wir als schützenswert und warum? Wen sehen wir als Bedrohung? Und ist das alles angemessen mit Blick auf die Bandbreite der Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung? Es geht um die Vorstellung, wie Männlichkeit und Weiblichkeit definiert sein soll und welche Art von Rollen dann auf dieser Basis zugewiesen werden. Welche Spielräume gibt es für diejenigen, die nicht dieser dichotomen Geschlechterpolitik zuordenbar sind? Was ist mit Transpersonen, was ist mit der Sexualität? Die Thematik lässt sich nicht nur auf Frauen reduzieren, sondern sollte jede Geschlechtsidentität, Sexualität und Randgruppe mitdenken. Die Annahme, dass wir einfach Gender-Mainstreaming-Maßnahmen in die Sicherheitspolitik implementieren müssen, reicht nicht aus.
Die aktuelle Sicherheitspolitik beruht auf keinem Erfolgskonzept, weshalb sich eine neue Denkweise lohnen könnte.
Was würde das konkret bringen? Was würde besser funktionieren, wenn Sicherheitspolitik aus einer feministischen Perspektive heraus verhandelt wird?
Eine feministische Perspektive auf die Sicherheitspolitik hat zunächst das Potenzial, neue Denkweisen und Perspektiven zu eröffnen. Ob sich damit auch Institutionen und Prozesse verändern lassen, ist bis zu einem gewissen Grad offen. Wir Forscher:innen beziehen unsere Daten immer aus der Vergangenheit und wir kennen keinen Fall, in dem eine Genderperspektive vollkommen implementiert wurde. Aber nur noch keinen solchen Fall erlebt haben, bedeutet das keinesfalls, keinen breiteren Sicherheitsbegriff in Zukunft anzuwenden. Mit dem jetzigen Sicherheitsbegriff sind wir schließlich auch nicht sonderlich weit gekommen. Die aktuelle Sicherheitspolitik beruht auf keinem Erfolgskonzept, weshalb sich eine neue Denkweise lohnen könnte.
Sie bezeichneten vorhin den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine auch als antifeministisches Projekt. Was meinen Sie damit?
Ich bin keine Russland-Ukraine-Expertin, aber selbst wenn man den Konflikt oberflächlich betrachtet, kann die Geschlechterperspektive von kriegerischer Gewalt sehr gut anschaulich gemacht werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass Frauen im Krieg besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden oder dass sie in die Streitkräfte integriert werden müssen, sondern es geht um die Fragen: Was ist die wirkliche Motivation hinter diesem Krieg und welche Vorstellung von Geschlechterordnung sind vorherrschend? So werden die dichotomen Geschlechterstereotype speziell auf russischer Seite propagandistisch und ideologisch kommuniziert. Dieser Krieg ist mit antifeministischen Narrativen verwoben: Putin will zu einer traditionellen russischen Männlichkeit zurück. Diese Denkweise ist immer mit einer gewissen außenpolitischen Haltung, mit einem Militarismus gegenüber den Nachbarn oder mit einer sehr autoritativen Verhaltensweise im internationalen Feld verknüpft.
Was sind Ihre Gedanken zur aktuellen Situation im Nahen Osten? Wie lässt sich der Angriff der Hamas aus der Genderperspektive heraus betrachten?
Für klare Schlussfolgerungen ist es noch sehr früh. Aber auch hier sollten wir uns die Frage stellen, welche Ideen von Geschlecht von unterschiedlichen Seiten propagiert werden und wie diese die Kriegsziele mitbestimmen. Es ist ganz klar, dass auch dieser Konflikt massiv auf den Körpern von Frauen ausgetragen wird, die sowohl bei den Angriffen der Hamas auf jüdische Siedlungen, als auch bei den jetzigen Kampfhandlungen der israelischen Armee gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in Gaza zu den zivilen Opfern gehören und geschlechtsspezifischen Gewaltformen ausgesetzt sind.
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