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Wolfgang Mayr
Veröffentlicht
am 31.07.2023
LebenInterview über Selbstbestimmung Südtirols

Selbstbestimmung: Unnötig ewiggestrige ethnische Scharfmacherei?

Veröffentlicht
am 31.07.2023
Marco Manfrini vom Verein Noiland Südtirol-Sudtirolo widerspricht und wirbt für eine Annäherung an das Selbstbestimmungsrecht.
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Marco Manfrini und weitere 15 Autor:innen versuchen mit ihrem Buch „Kann Südtirol Staat?“ für eine neu-alte Idee zu werben. Ihnen geht es keineswegs um die alte ethnische Selbstbestimmung, sondern um ein großes, basisdemokratisches Experiment.

MatthiasScantamburlo, Marco Manfrini und Sigmund Kripp stellen am 2. August das Buch „Kann Südtirol Staat?“ im Meraner Ost-West-Club um 19.30 Uhr vor.

Warum sollen Bürger:innen einer mehrsprachigen Region in einem demokratiepolitischen Prozess nicht über ihre Zukunft abstimmen, die Perspektive eines Eigenstaates und damit über eine demokratisch legitimierte Grenzziehung, fragt Manfrini provokant.

Der EU und ihren Vorläuferinnen ist es gelungen, die Konflikte zwischen den europäischen Staaten zu entschärfen, gar zu beseitigen. Jetzt müsste sich die EU darum kümmern, dass die ethnischen Konflikte in ihren Mitgliedsländern beigelegt werden, zugunsten der sprachlichen und nationalen Minderheiten, der Nationalitäten und Nationen ohne Staat. Manfrini verweist auf Schottland, auf das Baskenland, auf Katalonien – und auch auf Südtirol. Eigenstaatlich innerhalb der EU als Aufwertung der Union, als deren Verankerung in den Regionen. Ein Gespräch mit Marco Manfrini:

BARFUSS: Eigenstaatlichkeit als robustes Instrument der Mitbestimmung  „minderheitlicher“ Bevölkerungen?

Marco Manfrini: Ja, es geht um die Frage, wie weit die Forderung nach politscher Mitbestimmung gehen soll und was Demokratie im vereinten Europa des 21. Jahrhunderts eigentlich darf.

Seit April hat der Verein Noiland Südtirol-Sudtirolo in vielen Gemeinden das Buch samt Idee vorgestellt. Am kommenden Mittwoch (2. August) stellt sich der Verein im Ost-West-Club der Diskussion. Was erwarten Sie sich vom Abend?

Dass genug Zuhörer:innen kommen, die mit uns über Eigenstaatlichkeit diskutieren wollen, ohne Scheuklappen. Wir suchen das Gespräch, weil uns Südtirol ein Anliegen ist, weil wir mit diesem Buch und in den Diskussionen laut über Perspektiven nachdenken wollen.

Noiland Südtirol-Sudtirolo definiert sich als ein Dialogverein, abseits parteipolitischer Zugehörigkeiten. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen über Südtirols Zukunft. Gerade auch und besonders mit jenen, die von Selbstbestimmung nichts wissen wollen. Kann man daher auch von einem Experiment sprechen?

Ja, doch. Die Veranstaltung ist eine Gelegenheit, einen Dialog zwischen dem losen Universum der Südtiroler Linken und Liberalen auf der einen Seite und den Befürworter:innen der Selbstbestimmung auf der anderen zu beginnen.

Zu welchem Zweck?

Dieses Verhältnis beider Seiten ist gestört. Das muss aber nicht so sein. Ein Rückblick zeigt, dass es für lange Zeit sogar beachtliche Schnittmengen und einen regen Austausch gab. Zu allererst muss mit zwei Irrtümern und Missverständnissen aufgeräumt werden.

Und zwar?

Nicht alle liberalen und linken Südtiroler:innen tun sich beim Thema Selbstbestimmung schwer. Und oft sind es die italienischsprachigen Mitbürger:innen, die einen unkomplizierten Zugang zur Selbstbestimmung haben und auch am wenigsten verkrampft damit umgehen. Manche Italiener:innen reagieren positiv auf das Prinzip „autogoverno“.

Deutschsprachige rümpfen die Nase, wenn es um die Selbstbestimmung geht …

Ja, manche deutschsprachige Südtiroler:innen – besonders Liberale und Linke – sind bei dieser Frage überfordert und orientierungslos. Das Buch „Kann Südtirol Staat?“ ist ein Beispiel dafür, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch in Südtirol durchaus im linken und liberalen politischen Denken vertreten ist, denn einige Autor:innen rechnen sich ausdrücklich diesem Lager zu.

„Selbstbestimmung ist daher nichts anderes als Demokratie.“

Marco Manfrini

Zur Klärung: Wofür steht Selbstbestimmung?

Die Forderung nach Selbstbestimmung ist nicht gleich mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit und einem eigenen Staat oder dem Wunsch nach Wiedervereinigung mit Österreich gleichzusetzen. Selbstbestimmung heißt zuallererst, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in einer demokratischen Wahl selbst über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden. Selbstbestimmung ist daher nichts anderes als Demokratie.

Handelt es sich also um ein partizipatives Projekt?

Es ist demokratiepolitisch nicht nachvollziehbar und auch nicht schlüssig, wenn links oder liberal denkende Menschen die Entscheidung über die staatliche Zugehörigkeit undurchsichtigen Verhandlungen in den Hinterzimmern der Macht oder Geheimverträgen überlassen – bei denen ein kleiner Kreis aus Wirtschaft, Militär und Politik über die Köpfe der Menschen hinweg Beschlüsse fasst –. anstatt sie einem demokratischen Votum zu unterziehen und den direkt Betroffenen zu überlassen.

Das gilt auch und besonders für die Eigenstaatlichkeit, die These des Vereins NoiLand  …

Dies vor allem deshalb, weil die Entscheidung darüber, welchem Staat man angehört, alle Lebensbereiche umfasst und daher eine grundlegende politische Fragestellung ist, wenn nicht die politische Fragestellung schlechthin. Das Kollektivrecht auf Selbstbestimmung ist im Art. 1 des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte niedergeschrieben: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.”

„Es ist demokratiepolitisch nicht zulässig, die Frage der staatlichen Zugehörigkeit vom demokratischen Prinzip auszuklammern.“

Marco Manfrini

Noiland sagt: Wer zur Demokratie steht, muss sich früher oder später auch zum Recht auf Selbstbestimmung bekennen, alles andere bedeutet, Bevormundung und Fremdbestimmung – gegen den Willen der Betroffenen – zu akzeptieren und zu unterstützen.

Eine solche Haltung entspricht keinesfalls einer emanzipatorischen Denkweise, die sich als politisch links oder liberal bezeichnen kann und ist mit der Wahrung der Menschenrechte nicht vereinbar. Wer diese fordert, kann gar nicht anders, als auch die Frage der staatlichen Zugehörigkeit von den direkt Betroffenen in einer demokratischen Abstimmung gemäß Art. 1 des UN-Paktes entscheiden zu lassen. Es ist demokratiepolitisch nicht zulässig, die Frage der staatlichen Zugehörigkeit vom demokratischen Prinzip auszuklammern.

Liberale und linke Südtiroler:innen „gestehen“ Frankreich, Polen oder Italien problemlos zu, in einem eigenen (National)Staat leben zu wollen, der Ausdruck des kollektiven Wunsches nach Selbstbestimmung und Zusammengehörigkeit ist. Sie würden von Französ:innen, Pol:innen oder Italiener:innen nie verlangen, sich von einem anderen Staat regieren lassen. Geht es aber um Südtirol und Selbstbestimmung, folgt reflexartig die Antwort: Wir schaffen kein neues Unrecht.

Was anderen zugestanden wird, gilt plötzlich als verpönt. Der auf Südtirol bezogene Wunsch auf kollektive Selbstbestimmung wird sogar dezidiert abgelehnt. Das ist widersprüchlich und verrät allenfalls ein autoritäres Politik- und Staatsverständnis.

ZumGeschichtlichen. Italienische Sozialist:innen lehnten 1919 vehement die Annektion Südtirols ab, mit dem Hinweis auf den Risorgimento.

Die italienischen Sozialist:innen forderten 1919 mit Verweis auf den italienischen Risorgimento, dass man den Südtiroler:innen das Recht auf Selbstbestimmung zugestehen muss. Keine noch so großzügige Autonomie könne das Unrecht aufwiegen, das entstehe, wenn man ein Land und seine Menschen gegen deren Willen einem anderen Staat einverleibt, war deren These.

„Selbstbestimmung ist vor allem ein unverzichtbarer Teil eines wahrlich demokratischen Europas, das innerstaatliche Konflikte nach rechtstaatlichen Maßstäben und dem nach dem Prinzip der demokratischen Willensäußerung löst.“

Marco Manfrini

Ähnlich argumentierte Bruno Kreisky, Sozialdemokrat jüdisch-böhmischer Abstammung, österreichischer Außenminister und Bundeskanzler.

Auch Hans Dietl und seine Sozialdemokratische Partei Südtirols und der legendäre Bruno Kreisky zeigten, dass eine konsequente Ablehnung von Nationalismus und nationalem Expansionismus die Forderung nach Selbstbestimmung miteinschließt und Teil des linken Wertekatalogs sind. Kreisky meinte dazu, dass es nicht konsequent und stimmig sei, als politische Linke weltweit (im internationalen Kontext / im Ausland) gegen Nationalismus (Imperialismus) und politische Bevormundung einzutreten, gleichzeitig aber einzuknicken und zu schweigen, wenn sich besagte Problemstellungen vor der eigenen Haustür ergeben.

Weltweit ist es die Linke, die Selbstbestimmung einfordert. In Schottland, in Nord-Irland, im Baskenland und in Katalonien. Oder in Bermuda, Niederländischen Antillen, Montenegro, Neukaledonien, Kosovo. Diese Linke sieht die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts als partizipativen Prozess und als demokratische Willensäußerung. Steht der Verein Noiland in der Tradition dieser Bewegungen?

Unser Buch „Kann Südtirol Staat?“ versteht sich auch als Aufforderung an die linken und liberalen Kräfte im Land, sich der eigenen Wurzeln und Werte zu besinnen und die Furcht vor dem Selbstbestimmungsrecht abzulegen. Selbstbestimmung ist Demokratie und bedeutet für Menschenrechte einzustehen. Selbstbestimmung ist aber vor allem auch ein unverzichtbarer Teil eines wahrlich demokratischen Europas, das innerstaatliche Konflikte nach rechtstaatlichen Maßstäben und dem nach dem Prinzip der demokratischen Willensäußerung löst.

Der Verein wirbt für eine Volksabstimmung in Südtirol, alle Bewohner:innen sollen abstimmen, egal welcher Sprache und Herkunft. Gegner der Selbstbestimmung aber warnen: Hände weg von den Grenzen.

Es gibt kein überzeugendes Argument, weshalb die Frage über die Grenzziehung und die staatliche Zugehörigkeit nicht auch wie alle anderen politischen Fragen auf demokratischem Wege entschieden werden soll.

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