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„Ich wünsche mir, dass weiße Feministinnen genauso empört sind über den Rassismus, den schwarze Frauen und Women of Color erleben, wie über patriarchale Strukturen.“
Mit dieser Aussage verweist die Autorin und Rassismus-Expertin Tupoka Ogette auf ein großes Defizit innerhalb vieler feministischer Debatten, nämlich das Fehlen einer intersektionalen – insbesondere schwarzen – Perspektive.
Vereinte Vielfalt und der nuancierte Feminismus
Der intersektionale Feminismus ist eine feministische Perspektive, die die Wechselwirkungen verschiedener sozialer Identitäten und Formen der Unterdrückung berücksichtigt. Intersektionalität ist wie ein komplexes Netzwerk der Gerechtigkeit. Sie betrachtet nicht nur die Geschlechterfrage, sondern verbindet auch verschiedene Aspekte wie Identität, Nationalität, soziale Klasse, sexuelle Orientierung, Barrierefreiheit und andere Identitätsmerkmale miteinander. Dieses Konzept erkennt an, dass Unterdrückung nicht einzeln existiert, sondern auf verschiedenen Ebenen. Ein Beispiel für intersektionalen Feminismus im Zusammenhang mit Nationalität könnte die Analyse von Arbeitsplatzungleichheit sein. Angenommen eine Studie zeigt, dass Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer: Eine intersektionale Perspektive würde darüber hinausgehen und die Unterschiede zwischen den Verdiensten von Frauen verschiedener Nationalitäten berücksichtigen.
Es ist ein Fakt, dass schwarze Frauen – im Vergleich zu weißen Frauen und Männern – nicht nur mit täglicher Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts wie Sexismus, Gender Pay Gap und traditionellen Rollenbildern, sondern auch mit Rassismus, struktureller Diskriminierung und vorurteilsbasiertem Verhalten, konfrontiert sind. Diese „Doppelbelastung“ – bestehend aus Sexismus und Rassismus – belegt auch eine europäische Rassismus-Studie von 2023. Diese zeigt, dass BIPoCs (Black, Indigenous and People of Color) häufigem rassistischem Verhalten ausgesetzt sind, wovon Frauen besonders betroffen sind.
Für einen vielschichtigen Blick plädiert auch die schwarze Feministin und Dozentin an der Universität Wien, Tomi Adeaga: „Jede Gruppe von Frauen, jeder Feminismus hat eine eigene Geschichte. Diese basiert auf eigenen Erfahrungen und hat einen individuellen Hintergrund. Wenn wir vom afroamerikanischen Feminismus reden, sprechen wir von einer emanzipativen Bewegung im Hintergrund der Sklaverei. Das unterscheidet den schwarzen Feminismus von anderen europäischen Feminismen“, erklärt sie.
A feminism that doesn’t include struggles of Black/brown, fat,queer, LGBTIQ, disabled bodies, class isn’t my feminism. It’s just white middle class hetero able bodied women cementing their position and their power.
– Manjiri PalichaDoppelt empowert: Black Feminism
Der Schwarze Feminismus ist eine feministische Ausrichtung, die sich intensiv mit den Erlebnissen, Identitäten und Kämpfen schwarzer Frauen auseinandersetzt. Diese Strömung innerhalb des Feminismus analysiert die Wechselwirkungen zwischen Geschlecht, Ethnizität und oft auch weiteren sozialen Faktoren. Schwarze Feminist:innen betonen, dass eine umfassende Analyse von Geschlechterungleichheit unvollständig ist, wenn nicht auch die spezifischen Herausforderungen und Diskriminierungen berücksichtigt werden, die schwarze Frauen aufgrund ihrer Ethnizität und Geschlechtsidentität erfahren.
Diese Multiperspektivität sei ein Wesensmerkmal des Schwarzen Feminismus, sagt Tomi Adeaga, die selbst Lehrveranstaltungen zum Thema „Black Feminism“ anbietet. „Afrika ist riesig und über den Kontinent verteilt existieren unterschiedliche Formen von Ungerechtigkeiten und Unterdrückungsmechanismen, von denen insbesondere Frauen betroffen sind und dagegen Widerstand leisten. Es gibt also nicht den einen schwarzen Feminismus, es gibt mehrere“, erklärt die Dozentin.
I am a feminist and what that means to me is much the same as the meaning of the fact that I am Black: it means that I must undertake to love myself and to respect myself as though my very life depends upon self-love and self-respect.
-June JordanIm Schwarzen Feminismus geht es also nicht nur darum, gegen Geschlechterungerechtigkeiten zu kämpfen, sondern auch gegen strukturellen Rassismus und andere Formen von Unterdrückung vorzugehen. Diese emanzipative Bewegung findet bereits vor zwei Jahrhunderten ihren Ursprung in Afrika: „Seit der präkolonialen Zeit kämpfen Frauen in Afrika um ihr Recht. Bevor man Aktivismus einen Namen gab, waren schwarze Frauen schon Aktivistinnen“, erzählt Tomi Adeaga.
Das 19. Jahrhundert wurde vielen schwarzen Frauen zum Verhängnis, da in der Kolonialzeit rassistisch-sexistische Ideale und Vorurteile wie die Reinheit der weißen Weiblichkeit im Vergleich zur als wild geltenden schwarzen Weiblichkeit entstanden. Diese diskriminierenden Vorbehalte wurden über die Jahrhunderte hinweg weitergetragen – bis heute werden schwarze Frauen oftmals „exotisiert“.
Expertin Adeaga führt weiter aus, dass der Schwarze Feminismus sowohl in Afrika als auch in der Diaspora (Anm. d. Red.: Gemeinschaften, die religiöse, nationale, kulturelle oder ethnische Wurzeln in der Fremde haben, nachdem sie ihre Heimat verlassen haben, wie beispielsweise BIPoC in europäischen Ländern) zu finden ist.
Step by step towards an intersectional world
Bedeutende Meilensteine in der Entwicklung des Schwarzen Feminismus in der Diaspora umfassen beispielsweise die Beteiligung schwarzer Frauen an der Frauenrechtsbewegung in den USA während der 1960er und 1970er Jahre. Tomi Adeaga verweist aber auch auf zahlreiche Errungenschaften des Schwarzen Feminismus in Afrika. Ein Beispiel ist die „Aba Women’s Rebellion“, bei der Frauen gegen koloniale Unterdrückung protestierten, insbesondere gegen höhere Steuern auf dem Markt:
Durch eine feministische Revolte konnten sie dieser antifeministischen Schikane entkommen. Zwischen 1947 und 1949 gab es eine weitere, größere Rebellion der Abeokuta Women’s Union (AWU) in Abeokuta, Bundesstaat Ogun im Südwesten Nigerias – angeführt von der Frauenrechtsaktivistin Olufunmilayo Ransome-Kuti. „Sie führte einen höchst disziplinierten Kampf gegen die Einschränkung ihrer Sitzrechte durch die britischen Kolonisten in den lokalen Regierungen sowie die hohen Steuern, die den Marktfrauen in ihren Reihen auferlegt werden. Und auch 2014 haben Frauen in Burkina Faso gegen den Präsidenten Blaise Compaoré protestiert und dabei geholfen, ihn aus dem Amt zu drängen“, berichtet die Expertin. Frühe schwarze afroamerikanische Feministinnen wie Sojourner Truth und später Frauen wie bell hooks, Audre Lorde, Angela Davis und viele andere haben maßgeblich zur Ausformulierung und Verbreitung der Prinzipien des Schwarzen Feminismus beigetragen.
White feminism is the ugliest form of patriarchy I know.
–Tsepo BollwinkelViele Anliegen, ein Ziel
Die Anliegen des Black Feminism variieren je nach geografischer Lage und gesellschaftspolitischer Situation. „Wenn es um die Diaspora geht, geht es um Anerkennung und Sichtbarkeit“, erklärt Adeaga. Das gemeinsame Ziel aller Schwarzen Feminismen besteht darin, die spezifischen Herausforderungen und Unterdrückungsformen anzuerkennen, zu analysieren und zu überwinden, denen schwarze Frauen gegenüberstehen. „Es geht darum, schwarze Frauen so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Frauen, die sich ihre eigene Stimme und ihren Platz in der Gesellschaft erkämpft haben – und nicht um schwache und unterdrückte Frauen, wie sie gerne dargestellt werden“, fasst die Feministin zusammen. Um dieses vorurteilsbasierte und diskriminierende Denken zu verdeutlichen, verweist die Dozentin in ihren Kursen oft auf das Beispiel eines Plakats einer schwarzen Frau, die von vielen Kindern umzingelt ist und zumeist als schwach, arm, benachteiligt und unterdrückt wahrgenommen wird. Es wird vermutet, dass die wenigsten erkennen, dass hinter solchen Darstellungen von schwarzen Frauen tatsächlich starke Persönlichkeiten stehen können. Dies liegt daran, dass im westlich patriarchal geprägten Denken Frauen im Allgemeinen und schwarze Frauen besonders oft als schwach assoziiert werden.
Meine Realität als Schwarze, muslimische Frau, ist nicht nur für mich ungemütlich.
– Sarah AhmedBrücken bauen oder Mauern errichten?
Trotz des gemeinsamen Ideals der Gleichberechtigung gibt es innerhalb feministischer Gruppen oft Streit über intersektionale Perspektiven. Einige meinen, dass solche Unterscheidungen zwischen den Feminismen zu Verwirrung und Streitigkeiten unter Frauen führen könnten. Manche Kritiker:innen bezeichnen intersektionale Sichtweisen sogar als Haarspalterei. Diese Meinungsverschiedenheiten können zu Konflikten um begrenzte Ressourcen und Aufmerksamkeit führen, insbesondere wenn es um komplexe Diskussionen über Privilegien und historische Hintergründe geht.
Auf die Frage nach möglichen Spaltungen im Feminismus antwortet die Expertin für Schwarzen Feminismus, Tomi Adeaga: „Nein, Schwarze Feminismen oder intersektionale Perspektiven spalten nicht. Sie zeigen verschiedene Hintergründe und strukturelle Benachteiligungen auf, sind aber immer im Wesensmerkmal der Inklusion miteinander vereint. Feminismus ist immer inklusiv, weil das Ziel – die Conclusio – des Kampfes, egal von welchen Frauen er auch getragen wird, dasselbe ist: die Befreiung aus einer unterdrückten Position, die Gleichberechtigung.“
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