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Die Sonne reckt ihre kurzen Winterstrahlen durch die Baumkronen des Klostergartens, schiebt sich durch die Glaswand des Gemeinschaftsraums und zerfließt dort mit der leisen Popmusik, die aus dem Stationsradio dringt. Draußen vor der Glaswand saugen einige Gäste in dicke Wolldecken gewickelt gleichsam an der Wintersonne wie an ihren Zigaretten. Der Gemeinschaftsraum, in dem wir Pflegerin Raphaela Kager treffen, gehört der Palliativstation Martinsbrunn in Meran. Die Gäste sind Menschen mit einer begrenzten Lebenszeit. Menschen, deren körperlicher Umstand absehbar, aber nicht unbedingt unmittelbar zum Tod führt: Während einige tatsächlich kommen und hier sterben, sind andere jahrelang palliativ, gewinnen hier Sicherheit und Erleichterung und dürfen in vielen Fällen auch noch mal nach Hause.
zebra.: Frau Kager, Sie sind Krankenpflegerin und Familientrauerbegleiterin auf der Palliativstation in Martinsbrunn. Wie können wir uns Ihre Arbeit auf der Palliativstation vorstellen?
Raphaela Kager: Palliativ bedeutet einhüllen, ummanteln. Es geht bei uns nicht darum, die Lebensdauer zu verlängern, sondern die Zeit, die noch bleibt, so gut wie möglich zu leben. Viele kommen, weil es zu Hause gerade nicht mehr geht oder weil Schmerzen und Übelkeit massiv sind. Wir versuchen dann, Medikamente und Pflege besser einzustellen, damit sie in einer besseren Verfassung auch noch mal nach Hause können. Denn obwohl eine Krankheit nicht mehr kuriert oder weggezaubert werden kann, kann noch sehr viel für jemanden getan werden.
Wer sind die Menschen, die nach Martinsbrunn kommen?
Zu uns kommen Sterbenskranke, aber auch Menschen, denen es noch relativ gut geht. Viele haben Angst, nach Martinsbrunn zu kommen, weil sie glauben, nicht mehr nach Hause zu dürfen und jetzt sterben zu müssen. Und ja, manche kommen hierher und sterben. Die allermeisten Patient:innen und ihre Angehörigen finden bei uns aber Schutz und Erleichterung und fühlen sich wohl. Es ist gut, dass es diesen Ort gibt und dass er für alle zugänglich ist. Ein Ort, der sich von einer klassischen Krankenhausstruktur unterscheidet.
Wie würden Sie einen Tag auf der Palliativstation beschreiben?
Das ist unterschiedlich. Anders als im Krankenhaus versuchen wir,strukturierte Abläufe so gut wie möglich aufzubrechen und an die Wünsche der Patient:innen anzupassen. Sie geben den Tagesrhythmus selbst vor, entscheiden, wann und ob sie aufstehen oder essen möchten und Angehörige dürfen über Nacht bleiben. Am Vormittag gibt es meist eine Visite und wir helfen mit der Körperpflege, aber auch das ist flexibel. Danach kann sich jede:r frei auf der Station, im Café oder im Park bewegen und diejenigen, die zu schwach sind, um aufzustehen, schieben wir auf Wunsch auch gerne mit dem Bett auf die Terrasse. Trotzdem ist der Tod hier sehr präsent.
Wie begleitet man einen Menschen, der den eigenen Tod nahe weiß?
Das Wichtigste ist, dass die Patient:innen Vertrauen fassen und sich bei uns wohlfühlen. Zudem versuchen wir, einen offenen Umgang mit dem Tod zu fördern. Das ist nicht immer einfach. Wir haben beispielsweise Fälle, wo Angehörige nicht wollen, dass die betroffene Person vollständig über den Stand ihrer Krankheit aufgeklärt wird. Dabei sind offene Gespräche und Ehrlichkeit so wichtig. Sonst entstehen Barrieren und Schweigen in einer Zeit, die so wertvoll sein kann. Die allermeisten öffnen sich aber irgendwann. Man merkt dann, dass irgendwo ein Schalter umgelegt wurde und dass man jetzt offen sprechen kann. So können sehr schöne Momente entstehen.
Wie zum Beispiel mit dem Wünschewagen…
Genau, das ist ein durch Spenden finanzierter Wagen, in dem eine Person mit der nötigen sanitären Begleitung noch mal irgendwohin gebracht werden kann. Diesen Wunsch hat jede Person einmal im Leben frei. Manche möchten noch einmal ans Meer, andere wollen vielleicht einfach noch ein letztes Mal nach Hause. Die Menschen entwickeln an dem Tag oft ganz spezielle Energien und können danach oft leichter loslassen. Der Spruch „die Hoffnung stirbt zuletzt“, ist nicht immer passend. Wenn jemand plötzlich und unvorbereitet stirbt oder bis zum Schluss sagt „ich will nicht“, fehlt so viel. Ich kann nicht noch einmal „danke“ sagen, oder „ich hab‘ dich lieb“. In diesem Sinn kann die Diagnose, dass eine Krankheit nicht mehr heilbar ist, manchmal ein Geschenk sein.
Ein Geschenk, das gleichzeitig die Hoffnung nimmt.
Man hofft vielleicht anders. Ich kann zum Beispiel hoffen, dass es mir noch eine Weile gut geht. Oder, dass es nach dem Sterben – auf welche Art auch immer –weitergeht. Und natürlich gibt es auch viele Momente der Ruhe und des Schweigens, des „einfach nur Daseins“ und Aushaltens. Und wenn dann jemand wirklich stirbt? Dann sprechen wir von der terminalen Phase, in der sich oft die Atmung und Äußerlichkeiten verändern. In dieser Phase machen sich die Menschen dann wirklich auf den Weg. Manchmal kommen sie da auch nochmal zurück, essen vielleicht sogar noch mal was. (lacht). Das haben wir alles schon erlebt.
Apropos Leben nach dem Tod: Martinsbrunn ist auch ein Kloster. Welche Rolle spielt die Religion hier?
Martinsbrunn hat die katholischen Schwestern zeitweise im Haus und wer möchte, bekommt eine katholische Begleitung. Wir sind aber für Personen aller Konventionen offen und sind hier auch sensibel, was die unterschiedlichen Bedürfnisse und Rituale betrifft. Wie zentral ist der Glauben in den letzten Lebenstagen? Für manche spielt der Glauben am Ende eine größere Rolle. Und die Religion kann uns hier gewisse Rituale geben, die helfen können. Nochmal beten zum Beispiel. Oder das Kreuzzeichen. Ich ermutige die Angehörigen manchmal, die verstorbene Person mit Weihwasser zu segnen. Wenn jemand das von zu Hause kennt, kann das guttun. Auch, weil man so die verstorbene Person nochmals berührt, wo es sonst vielleicht Berührungsängste gäbe. Aber ein Herz, das mit normalem Wasser auf die Haut gemalt wird, kann genauso eine Möglichkeit sein, um sich zu verabschieden. Ich glaube, wir sind hier sehr offen.
Ich habe gelesen, dass die Arbeit im Hospiz oder auf der Palliativstation nicht abhärtet, sondern aufweicht. Wie sehen Sie das?
Ich glaube nicht, dass sie abhärtet, nein. Soll sie auch nicht. Aber sie macht stark und ich habe sehr viel gelernt. Ich glaube, man schüttelt die Hilflosigkeit ab, die sich einschleicht, wenn jemand stirbt. Ich weiß heute, wie ich ein Gespräch suchen kann und für andere da sein kann, ohne aufdringlich zu sein. Man verliert die Angst, darüber zu reden. Man weicht auf? Man traut sich vielleicht mehr Gefühle zu und verschließt sich weniger. Trauer ist ein Gefühl, eine Fähigkeit, die uns angeboren ist. Wenn ich sie zulasse, geht sie auch wieder vorbei. Trauer um einen geliebten Menschen geht vielleicht nie ganz vorbei, aber sie verändert sich und man lernt, mit ihr zu leben und die schönen Dinge des Lebens wieder zu fühlen. Wird die Trauer unterdrückt, können auch die guten Gefühle nicht richtig zugelassen werden. „Die Arbeit auf der Palliativstation macht stark.“
Wie nahe lassen Sie Ihre Arbeit auf der Palliativstation an sich heran?
Die professionelle Distanz ist hier vielleicht etwas kleiner als in einem Krankenhaus, denn auch wenn ich es mir manchmal wünsche, kann ich das, was passiert, nicht verhindern. Manches berührt mehr und manch es weniger, aber jeder einzelne Mensch, der zu uns kommt, berührt. Es geht hier nicht um Mitleid, sondern um Mitgefühl, das ist ein großer Unterschied. Es ist aber wichtig, dass wir mit den Patient:innen und Angehörigen mitfühlen und das auch zeigen dürfen.
Kann man das üben, traurig sein?
Es gibt viele Bücher und Podcasts zum Thema Tod und Trauern und vor allem im November gibt es medial viel Interesse. Sich damit zu beschäftigen, hilft. Verschließt man die Augen davor, ist es schwieriger. Auch aktiv auf bestimmte Situationen zuzugehen und offen darüber zu sprechen, kann helfen. Auch mit Kindern übrigens.
Interview: Lara Fritz/Valentina Gianera
Death Café
Das erste Death Café organisierte John Underwood 2011 in seinem Haus in East London. Heute hat sich das Konzept auf mehr als 15.000 Initiativen ausgebreitet – und ist seit kurzem auch in Südtirol präsent. Durch den Tod ihres Hundes und den darauffolgenden Gesprächen inspiriert, hat Marianne Nagy das erste Death Café in Südtirol eröffnet. In unregelmäßigen Abständen öffnet Nagy mit Kaffee und Kuchen ausgestattete Räume, um über Tod und Trauer zu sprechen. Dabei kommen Fremde im geselligen Rahmen zusammen, um das Thema vom Rand in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken. „Offensichtlich haben viele Menschen das Bedürfnis, über Tod und Sterben zu sprechen, ob es um Todesbejahung, Palliativmedizin, umweltfreundliche Bestattungsformen, ärztliche Sterbehilfe, Sterben in Würde oder auch um das Hinterfragen der spirituellen Traditionen geht“, so Nagy. Und weiter: „Ziel des Death Cafés ist es, den Menschen zu helfen, das Bewusstsein für den Tod zu schärfen und das Beste aus ihrem (endlichen) Leben zu machen.“ Eingeladen sind alle Altersgruppen und Menschen mit den unterschiedlichsten Sichtweisen, die sich frei über alle Aspekte des Todes äußern möchten, wobei es sich aber ausdrücklich nicht um eine Gruppe zur Trauerbegleitung oder Beratung für Menschen, die erst kürzlich einen Todesfall erlitten haben, handelt. Jede:r darf in seiner oder ihrer Muttersprache „in einem offenen, respektvollen und vertraulichen Raum seine Meinung und Ansichten äußern“, so Nagy. „Fixer Ablauf ist keiner vorgesehen, es gibt keine Tagesordnung, kein Ziel und kein Thema, keine Gastredner:innen und Expert:innen – dafür aber Kaffee und Kuchen.“ Alle weiteren Veranstaltungen werden auf der offiziellen Homepage der weltweiten Death Cafés veröffentlicht.
Trauernetzwerk Südtirol
Ein Trauerfall in der Familie, in der Schule oder Kindergarten? Das Trauernetzwerk Südtirol bemüht sich darum, in akuten Situationen Hilfe anzubieten, Menschen zu begleiten und Trauernde untereinander, aber auch mit professionellen Hilfestellungen zu vernetzen. Trauer kann dabei viele Gesichter haben: Tod, Trennung, Krankheit, das Zerbrechen wichtiger Beziehungen oder der Verlust der eigenen Heimat – sei es durch Flucht oder andere Gründe. Rudi Sampt, freier Theologe und Begründer des Trauernetzwerks, hat selbst so einen Verlust erlebt: Dadurch, dass er gezwungen war, seine Arbeit in der Diözese aufzugeben, hat er seine Glaubensheimat verloren. Heute kompensiert er diesen Verlust damit, dass er andere Trauernde in Form von Einzelgesprächen, Trauergruppen, Seminaren und Ritualen begleitet. „Bei uns darf jede und jeder Trauernde kommen“, so Sampt, „egal in welcher Situation, mit welcher politischen oder religiösen Ausrichtung und mit welchen Mitteln.“ Und weiter: „Wir arbeiten bedürfnisorientiert. Wenn ein Bedürfnis da ist, versuchen wir, so gut und direkt wie möglich darauf zu reagieren. Je nach Fall leiten wir die Personen aber auch an Psycholog:innen, Ärzt:innen oder andere professionelle Figuren weiter.“ Sollte sich jemand die Begleitung nicht leisten können, können die anfallenden Kosten durch Spendengelder finanziert werden.
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