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“Es gab in meinem Leben selten eine Situation, in der ich mich so ohnmächtig gefühlt habe,” erinnert sich Alexandra* an ihre dritte Kaiserschnittgeburt im Bozner Krankenhaus, im Rahmen derer sie eine Tubenligatur durchführen ließ. Der Verschluss (Ligatur) bzw. die vollständige Entfernung der Eileiter verhindert bei Frauen eine künftige Schwangerschaft und wird im Volksmund auch als “Sterilisation” bezeichnet. Weil Alexandras Körper eine vierte Schwangerschaft kaum schaffen würde, hatte sie sich für die Tubenligatur entschieden.
Was sich dann am Tag der Geburt abspielte, ist der Frau mehr als vier Jahre später noch deutlich in Erinnerung: Das Kind kam früher als geplant, Alexandra verlor Fruchtwasser und Blut. Ihre Plazenta hatte sich frühzeitig gelöst, ein für das Baby lebensbedrohlicher Notfall. Doch bevor sie in den OP-Saal geschoben wurde und die Ärztin zum Skalpell griff, um den Kaiserschnitt und im Anschluss die Tubenligatur durchzuführen, hielt diese der blutenden Frau noch eine schriftliche Einverständniserklärung vor die Nase: „Warten Sie, da fehlt noch die Unterschrift Ihres Mannes. Für die Tubenligatur.“
Für die Unterbindung ihrer Eileiter brauchte Alexandra die Unterschrift ihres Mannes. Ein bürokratisches Detail, das jedoch viel darüber aussagt, wer offensichtlich über den Körper der Frau zu verfügen hat. Dass im Bozner Krankenhaus sogar in einer Notsituation an das Einverständnis des Ehemanns gemahnt wurde, zeigt deutlich, welche Bedeutung der Zustimmung des Mannes noch immer beigemessen wird.
Alexandras Geschichte hat sich 2016 ereignet, aber wie ist es heute? Der Primar der Bozner Gynäkologie, Martin Steinkasserer, zeigt sich, von BARFUSS auf den Fall angesprochen, überrascht. “Eine Frau, die ihre Tuben verschließen will, braucht bei uns kein Einverständnis ihres Mannes”, beteuert Steinkasserer. Zumindest nicht heute: Steinkasserer ist erst seit 2018 Primar der Bozner Gynäkologie. Ob es vorher anders gelaufen sei? “Das fällt nicht in die Zeit meiner Verantwortung”, sagt Steinkasserer.
Uns liegt der Bericht einer weiteren Frau vor, die sich erst im Januar 2021 bei der Bozner Gynäkologie über eine mögliche Tubenligatur erkundigte. Auch ihr wurde explizit ausgerichtet, dass für eine Tubenligatur die Unterschrift des Mannes benötigt wird. Falls der Mann nicht unterschreiben würde, könnte es “schwierig werden”, wurde der Frau am Telefon mitgeteilt. Das Formular könne sie allerdings mit nach Hause nehmen und den Mann in Ruhe unterschreiben lassen.
Primar Steinkasserer sagt dazu: “Es muss hier ein Missverständnis gegeben haben oder jemand hat überschießend gehandelt.” Jedenfalls werde er die Angelegenheit intern aufklären: “Frauen, die die Gynäkologie in Bozen besuchen, sollen die Sicherheit haben, dass ihnen derartiges nicht widerfahre”.
Weil Alexandras Bericht so aus der Zeit zu fallen scheint, recherchieren auch wir weiter und es stellt sich uns eine heterogene Situation in den Südtiroler Krankenhäusern dar: Mal wurde die Unterschrift des Mannes verlangt, mal wurde von Fall zu Fall entschieden und mal wurden Frauen, die (noch) keine drei Kinder oder ein gewisses Alter erreicht haben, noch nicht einmal zu einem Informationsgespräch geladen.
Wir sprechen mit den betroffenen Frauen und erfahren von Fällen, die ohne Unterschrift und mit guter Betreuung abgelaufen sind. Andere Frauen wiederum mussten eine Unterschrift des Mannes vorlegen oder wurden nach erfolgter OP mit herabwürdigenden Kommentaren bedacht. Eine Frau wurde von einem Arzt nach der OP sogar gefragt, ob ihr Mann sie jetzt, unfähig, Kinder zu gebären, überhaupt noch zurückwolle.
Kurz: Frauen, die eine Tubenligatur vornehmen wollen oder müssen, müssen Glück haben. Aber immer dann, wenn Gesundheitsleistungen zur Glückssache werden und wenn es Hürden in der Inanspruchnahme, bei der Aufklärung und der Durchführung einer Leistung gibt, ist die bestmögliche Versorgung nicht mehr für alle gewährleistet.
Was bei den Eileitern der Frau zutrifft, gilt nicht für die Samenleiter des Mannes. Für eine Vasektomie, dem männlichen Pendant einer Tubenligatur, bedarf es in der Praxis keiner Unterschrift der Ehefrau. So erzählt Markus* von der Vasektomie, die er vor zwei Jahren durchführen ließ, ganz ohne bitteren Beigeschmack: „Nach dem dritten Kind entschlossen wir uns für die Prozedur. Das Ganze lief unbürokratisch ab, ich wurde im Vorgespräch vom Urologen gründlich aufgeklärt.“ Dieser fragte zwar nach, ob seine Frau einverstanden sei, verlangte aber keine schriftliche Zustimmung. Dasselbe Bild ergibt sich auch aus Gesprächen mit anderen Männern, die sich einer Vasektomie in Südtirol unterzogen haben.
Herbert Grunser von der urologischen Abteilung des Krankenhaus Brixen bestätigt: “Ich für meine Person verlange aus Privacy-Gründen keine Unterschrift der Partnerin. Wenn beide gemeinsam kommen – das entscheidet der Patient –, kläre ich natürlich beide auf, ansonsten nur den Patienten.” Ob andere Urologen das auch so handhaben, könne er allerdings nicht mit Sicherheit sagen.
Von Alexandra wissen wir: Eine Aufklärung über etwaige Nebenwirkungen einer Tubenligatur erhielt sie 2016 in Bozen keine, im Vorgespräch stand einzig das Einverständnis des Mannes im Vordergrund. Von einer anderen Frau erfahren wird, dass sie zwar getrennt, aber noch nicht geschieden von ihrem Ehemann keinen Eingriff durchführen konnte, weil er die Unterschrift verweigerte.
Es kann also der Mann, als mündiger Bürger, aus freier Entscheidung seine Samenleiter durchtrennen lassen. Eine Frau hingegen – laut italienischem Grundgesetz ebenso mündige Bürgerin – kann zwar eine Niere spenden oder ihre Brüste vergrößern, sich aber nicht überall ohne Einverständnis ihre Eileiter unterbinden oder entfernen lassen. Woher kommt diese Ungleichbehandlung?
Das Recht auf eine Tubenligatur bzw. Vasektomie ist zwar von keiner gesetzlichen Bestimmung ausdrücklich vorgesehen, wurde aber in der Rechtsprechung durch zahlreiche Urteile des Verfassungsgerichtshofs und vor allem des Kassationsgerichts eingeräumt. So erklärt Rechtsanwältin Katharina Zeller die Rechtslage. Die inzwischen konsolidierte Rechtsprechung stütze sich dabei auf das Recht auf psychische und physische Gesundheit. Demnach ist eine Tubenligatur erlaubt, wenn die Patientin erstens volljährig ist, zweitens fähig ist, einen validen Konsens zu geben, und drittens der Eingriff für die Patientin – psychisch oder physisch – von Nutzen ist.
Tubenligaturen fallen zwar – genauso wie Schwangerschaftsabbrüche – unter jene gesetzliche Kategorie von ärztlichen Behandlungen, denen sich Ärzt*innen aus „Gründen des Gewissens“ verweigern können; doch gilt dies nicht in jedem Fall, weist Rechtsanwältin Zeller hin: “Der Arzt mit Gewissensbissen muss die Behandlung dann durchführen, wenn ein Notfall besteht und aus Dringlichkeitsgründen kein anderer Arzt einspringen kann.” Wenn also die Gesundheit einer Frau akut auf dem Spiel steht, wie im Fall von Alexandra, ist ein*e Ärzt*in zum rettenden Eingriff verpflichtet.
Doch braucht es für dieses Recht das schriftliche Einverständnis des Partners? Auf diese Frage antwortet die Rechtsberatung vom Forum Prävention mit einem klaren Nein: „Weder Frau noch Mann müssen vor der eigenen Sterilisierung die Zustimmung von irgendjemand anderem einholen, ausgenommen die Person ist minderjährig, oder aus anderen Gründen entmündigt.“
Auch Dr. Herbert Heidegger, Primar der Gynäkologie Meran und Vorstand des Landesethikkomitees, schließt sich auf Nachfrage von BARFUSS dieser Sicht an: “Die Frau entscheidet über sich selbst allein.” Alles andere sei medizinethisch nicht tragbar. “Ich kann es mir auch gar nicht vorstellen, dass diese Angelegenheit in manchen Krankenhäusern anders gehandhabt wird”, fügt Heidegger hinzu.
In der Theorie scheint die Sache also eindeutig zu sein. Anders funktioniert es in der Praxis. Hat die Frau nicht drei Kinder am Rockzipfel hängen oder steht sie nicht kurz vor den Wechseljahren, kann es schon schwierig werden: Renate*, Mutter von zwei Kindern, wurde von ihren Ärzten geraten, aus medizinischen Gründen eine Tubenligatur durchzuführen. Sollte eine weitere Schwangerschaft eintreten, bestehe bei ihr das Risiko, das Kind zu verlieren.
Aufgrund ihres jungen Alters (33) wurde sie im Krankenhaus Brixen dennoch abgewiesen – „Bei so jungen Frauen machen wir keine solchen Eingriffe, die müssen schon mindestens drei Kinder oder ein reiferes Alter haben“, wurde ihr am Telefon gesagt – und fand erst beim zweiten Anlauf in einem anderen Krankenhaus (Sterzing) einen Termin für den benötigten Eingriff. Die Entscheidung über einen Eingriff erfolgt offensichtlich weniger anhand von klinischen Kriterien oder rechtlichen Bestimmungen, sondern hangelt sich entlang einer willkürlichen kulturellen Praxis.
Aus der gynäkologischen Abteilung im Krankenhaus Brixen wird uns von der Primarin Sonia Prader bestätigt, dass lange die Regel galt: mindestens 33 Jahre alt und drei Kinder, ansonsten wird die Tubenligatur nicht durchgeführt. Auch die Unterschrift des Ehemannes war bis vor drei Jahren noch verpflichtend. “Heute klären wir über die verschiedenen Verhütungs- und Familienplanungsmöglichkeiten auf und wenn sich eine Frau für die Tubenligatur entscheidet, so wird diese durchgeführt. Die Entscheidung des Mannes ist nicht mehr notwendig,“ so Prader. Handle es sich bei der Patientin um eine sehr junge Frau oder eine junge Frau ohne Kinder, so fände meist auf Wunsch des Arztes eine Teambesprechung statt, erklärt die Primarin. „Wir achten auf die exakte Dokumentation dieser Teambesprechung und respektieren die Entscheidung der Frauen.“
Im Vergleich zur Tubenentfernung werden Vasektomien durchaus auch bei jüngeren Männern durchgeführt: So ist das Durchschnittsalter bei Männern bei einer Vasektomie statistisch gesehen 36 (Deutschland) bzw. 38 Jahre (USA, keine Vergleichsdaten für Südtirol).
Allerdings müssen Vasektomien im Gegensatz zur Tubenligatur aus eigener Tasche bezahlt werden. Kostenpunkt: rund 500 Euro. Die Tatsache, dass Vasektomien nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, macht – zumindest bei einkommensschwächeren Paaren – Verhütung wieder zur Frauensache, obwohl der Eingriff bei der Frau ungleich aufwendiger und riskanter ist.
Der Weg hin zur Tubenligatur ist für manche Frauen nicht nur mit Willkür, sondern auch mit unangemessenen Kommentaren und überheblichen Urteilen gepflastert. Ob sie heute schon nach Hause dürfe, fragte Sabrina* nach der Operation, die unter Vollnarkose durchgeführt wurde, ihren Arzt bei der Nachkontrolle. Diese Frage müsse man nicht ihm, sondern dem Lebensgefährten stellen, antwortete der Arzt der noch von der Vollnarkose erschöpften Frau: Wer weiß, ob der Mann sie ohne Eileiter überhaupt noch zurück haben wolle. Ein unvorsichtiger Lapsus des Arztes, der hier aber symptomatisch für das dahinterstehende Problem einer patriarchalen Kultur steht: Der Wert einer Frau ergibt sich anscheinend erst aus der ihr “natürlich” gegebenen Zeugungsfähigkeit.
Ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, wie Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern auch zu einer ungleichen Behandlung von Mann und Frau im Gesundheitssystem führen. Laut der Studie bestimmen gesellschaftliche Normen bezüglich Männlichkeit und Weiblichkeit nach wie vor, wer über private Angelegenheiten der Familie zu entscheiden hat und ob die gesundheitlichen Bedürfnisse der betroffenen Person anerkannt werden. Davon hängt folglich auch ab, ob eine Frau ihre Grundrechte umsetzen kann oder nicht.
Die ärztliche Verweigerung und der vorurteilsbehaftete, oftmals respektlose Umgang mit Patientinnen, die sich eine Tubenligatur wünschen, zeigt, dass auch in liberalen Demokratien Gesundheitsleistungen von hierarchischen Geschlechterverständnissen eingefärbt sein können: Eine richtige Frau, so die traditionsbehaftete Vorstellung, hege den angeborenen Wunsch, Mutter zu werden. Und sollte sie ihre innere Berufung nicht fühlen, so wird sie schnell als entscheidungsunfähig abgestempelt: Die weiß es einfach nicht besser. Gleichzeitig scheinen die Ärzt*innen, die Ehemänner, die Gesellschaft, ja überhaupt alle, außer die Betroffene selbst, es „besser“ zu wissen.
Mit dieser Annahme, die auf veralteten kulturellen Denkmustern beruht, wurde in manchen Gynäkologie-Abteilungen – wie Sabrinas, Renates und Alexandras Erfahrungen eindrücklich zeigen – ein patriarchales Possessivverständnis perpetuiert, das weiblichen Mitmenschen das Recht, über den eigenen Körper zu verfügen, auch heute noch abspricht. Über ihre Reproduktionsorgane entscheidet dann nicht nur die Frau, sondern die Willkür eines Systems und nicht zuletzt ihr Ehemann.
Wenngleich wir die Diskussion darüber, wem der Körper der Frau gehört, schon längst abgeschlossen glaubten, scheint es in den Hinterstübchen des Gesundheitssystems noch offene Kapitel zu geben, die dringend gesellschaftlich verhandelt werden müssen. Als Hauptgrund für den erschwerten Zugang zu Gesundheitsleistungen für viele Frauen nennt der Bericht der WHO einen Mangel an Bewusstsein und fordert daher eine Sensibilisierung von Gesundheitspersonal und politischen Institutionen zum Thema Gender-Bias in der Medizin und Einfluss von kulturellen Normen in der medizinischen Praxis, insbesondere im Bereich Sexualität und Reproduktion. Was im gesellschaftlichen Diskurs und in manchen gynäkologischen Einrichtungen noch ankommen muss: Über ihre Reproduktionsorgane entscheidet die Frau selbst. Und sie ist selbst dann Frau, wenn sie keine Kinder (mehr) haben kann oder will.
Text von Julia Tappeiner, Barbara Plagg & Teseo La Marca
*Namen von der Redaktion geändert
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