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Veröffentlicht
am 22.02.2024
Leben

Mehr Zeit für alle(s)

Veröffentlicht
am 22.02.2024
Zeit ist ein abstraktes Konzept. Mal haben wir zu viel davon, mal zu wenig. Die Zeit verfliegt, verrinnt, vergeht. Man spart, nutzt, vergisst oder verschwendet sie. Manchmal hat man alle Zeit der Welt, doch meistens reicht sie nicht aus. Was hat es mit dieser Zeitknappheit auf sich? Überlegungen unserer Autorin Anna Maria Pircher.
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Frühmorgens spüre ich die Zeitknappheit am meisten. Da rausche ich mit Kind auf dem Arm die Treppe runter, dann in die Kita und zurück. Das Handy liegt meistens noch in der Wohnung, also noch mal schnell hoch und runter. Bevor ich mit dem Auto – meist schon viel zu spät – zur Arbeit starte, ein kurzer Blick auf meine Achtsamkeits-App. Einmal stand da: „Keine Zeit zu haben, ist eine Entscheidung“. Aha, kurz war ich sprachlos. Habe ich das Drama des Zeitmangels etwa selbst verursacht? Schauen wir uns das genauer an.

Viele von uns verbringen die meiste Zeit bei der Erwerbsarbeit. Der Achtstundentag erscheint immer noch als das Maß der Dinge. Doch meist hört der Arbeitstag nicht nach diesen acht Stunden auf. Da gibt es jene, die Überstunden leisten, einen Zweitjob ausüben oder solche, bei denen die Arbeit zuhause erst richtig losgeht. Dann geht es ans Klo putzen, Müll runterbringen, Füßewaschen, Vorlesen oder Suppe kochen. Neben der Erwerbsarbeit gibt es also noch die sogenannte Sorgearbeit. Darunter fällt die Kinderbetreuung, die Alten- und Krankenpflege, der Haushalt oder die Hilfe unter Freund:innen. Manche widmen sich ausnahmslos der Sorgearbeit, andere versuchen sie irgendwie neben der bezahlten Erwerbsarbeit unterzukriegen. Zu Letzteren gehöre ich. Aber egal wie viel Zeit wir nun der Sorgearbeit widmen, sie erhält immer noch zu wenig Anerkennung – von finanzieller Entlohnung schon gar nicht zu reden.

Sorgearbeit, Erwerbsarbeit. So weit, so viel Arbeit. Zum Glück gibt es noch die Freizeit, unsere freie Zeit neben der Arbeitszeit. Doch auch diese Zeit füllen wir meist mit unzähligen Aktivitäten. Denn wer immer beschäftigt ist, der muss doch wichtig sein – oder? Meist nutzen wir unsere Freizeit auch, um uns selbst zu optimieren: schöner, gesünder, besser. Da kann sogar die Freizeit stressig werden. Denn wir hören nicht auf zu arbeiten, in diesem Fall an uns selbst. Ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich vom puren Unterhaltungs- zum Wissenspodcast switche, obwohl ich mein Hirn eigentlich lieber auf Standby schalten möchte. Frau will ja mitreden können. Unsere Freizeit ist also nicht immer frei. Der amerikanische Psychologe John Neulinger unterscheidet deshalb zwischen Freizeit und purer Freizeit (pure leisure). In Letzterer sind wir frei von Erwartungen anderer oder Zielen, die wir uns setzen. Wir können diese Zeit auch als Eigenzeit bezeichnen, in der wir etwas aus purer Lust tun, einfach weil es uns Spaß bereitet. Eigenzeit kenne ich gut, da ich als Mama nicht viel davon habe und deshalb ständig daran denke.

Zeitknappheit ist kein individuelles Problem, es ist gesellschaftlich erzeugt

Autorin Teresa Bücker

Arbeitszeit, Freizeit, Eigenzeit. So weit, so viel Zeit. Besonders für Eltern, Pflegende oder beruflich stark eingebundene Personen fehlt die Zeit aber an allen Ecken und Enden. Viele vertrösten sich aufs Rentenalter. Aber seien wir mal ehrlich, keiner von uns weiß, wie lange wir leben und was im Alter noch alles möglich ist. Wir brauchen jetzt Zeit zum Nachdenken, Zeit für Kultur, Zeit für unsere Familie, Zeit für Freund:innen, Zeit zum Erholen, Zeit für unsere Kinder. Im Sinne der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in Südtirol die Rede davon, Betreuungszeiten außerhalb der Familie auszudehnen. Ich gehe davon aus, damit die Eltern mehr arbeiten können. Worüber aber weniger gesprochen wird: Wie verschaffen wir Eltern mehr Zeit für ihre Kinder? Wie schaffen wir Zeit für gesellschaftspolitisches Engagement? Wie schaffen wir Zeit für Erholung? Wie schaffen wir Zeit für uns selbst? Wie verschaffen wir uns Zeit, um für andere zu sorgen?

Der Achtstundentag sollte auf keinen Fall das Maß der Dinge sein. Denn er lässt uns nicht genug Zeit für die oben genannten Punkte. Und nur die wenigsten haben das Glück eine erfüllende und gut bezahlte Arbeit zu finden. Dazu kommt, dass nicht alle Karriere machen wollen oder können. Es braucht kürzere Arbeitszeiten, damit alle – Männer wie Frauen – mehr Zeit für Sorgearbeit, soziales Engagement und für sich selbst haben. In diesen reduzierten Arbeitszeiten sollten wir aber genug Geld verdienen, um davon leben zu können. Ansonsten hat wohl niemand etwas davon.

Laut der deutschen Autorin und Feministin Teresa Bücker* braucht es eine neue Zeitkultur, in der die Bedürfnisse und Lebenssituationen aller Teile der Gesellschaft mitbedacht werden. „Zeitknappheit ist kein individuelles Problem, es ist gesellschaftlich erzeugt“, so die Autorin. Wir können das Zeitproblem also nicht allein lösen. Um Zeit zu sparen, schnell auf den Punkt gebracht: Es ist an der Zeit, dass die Politik dem Thema Zeit mehr Zeit widmet. Und sie gerecht an alle verteilt. Für mich hingegen ist es Zeit, die blöde Achtsamkeit-App zu löschen.

Anna Maria Pircher

*Die Autorin Teresa Bücker ist für einen Vortrag für die Veranstaltung „Eine Frage der Zeit“ am 23. Februar 2024 anzutreffen.

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