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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 05.07.2024
LebenKlimacamp 2024

„Klimabewegung in Südtirol sichtbar machen“

Veröffentlicht
am 05.07.2024
Starkwetter-Ereignisse nehmen zu, Permafrost taut auf, Überschwemmungen werden häufiger: Im Klimacamp Alto Adige werden die Auswirkungen der Klimakrise intersektional diskutiert.
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Vom 10. bis 14. Juli findet das diesjährige Klimacamp in Vöran unter dem Motto „Utopien leben“ statt. Neben gemeinsamen Aktivitäten, Konzerten und Filmabenden werden verschiedene Workshops, Diskussionen und Vorträge zu Themen wie Intersektionalität, Feminismus und Krieg angeboten.
Vero Pinzger, die Ethnografie an der Humboldt-Universität in Berlin studiert, ist eine der Organisator:innen des Camps. Im Interview mit BARFUSS erklärt sie, was das Klimacamp für Südtirol bedeutet und warum es für den Klimaschutz wichtig ist, „miteinander statt übereinander“ zu sprechen.

BARFUSS: Vero, was genau ist das Klimacamp Südtirol?
Vero Pinzger
: Das Klimacamp Südtirol ist ein Ort, an dem wir eine Brücke zwischen Klimaaktivist:innen und den Menschen in Südtirol schlagen wollen. Ziel ist es, einen offenen, inklusiven Raum zu schaffen, der Diskriminierung abbaut und den Fokus auf Klima und Zukunft legt. Dabei geht es um Selbstreflexion und Bewusstsein in Bezug auf die Klimakrise sowie das Ausprobieren neuer Formen des Zusammenlebens und gemeinsamer Werte. Ein wichtiger Partner des Klimacamps ist Climate Action South Tyrol (CAST), ein Zusammenschluss verschiedener Akteure im Bereich Klima- und Umweltschutz, der uns wesentlich unterstützt.

Welche konkreten Ergebnisse strebt ihr mit dem Klimacamp an?
Ich denke, ich spreche für das gesamte Team, wenn ich sage, dass wir kein Hauptziel haben. Wir kämpfen nicht für ein bestimmtes Transformationsziel oder gegen ein spezielles Bauprojekt in Südtirol. Stattdessen verfolgen wir ein Bündel unterschiedlicher Ziele, Ideen und Vorstellungen. Mein persönliches Ziel ist es, die Klimabewegungen in Südtirol wieder sichtbar zu machen und eine Plattform für Austausch zu schaffen. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen und zu zeigen, dass die Klima- und Umweltbewegung in Südtirol tief verwurzelt ist. Durch Sichtbarmachung wollen wir sozialpolitische Prozesse mitgestalten und gegebenenfalls Umweltsünden und Großprojekte verhindern.

Klimagerechtigkeit ist eng verbunden mit Intersektionalität, Feminismus, Krieg und Frieden.

Vero Pinzger

Einer eurer Organisatoren spricht von der Schaffung „einer progressiven, bunten und klimagerechten Gesellschaft – für uns und alle zukünftigen Generationen“. Inwiefern ist Klimaschutz progressiv?
Klimaschutz muss als intersektionales Problem verstanden werden, das unterschiedliche Perspektiven einbezieht, um wirklich progressiv zu sein. Es gibt Vorwürfe gegen die Klimabewegung, dass sie eine Rückkehr in die Vergangenheit anstrebt, indem sie verlangsamtes Wachstum und Entschlackung fordert. Doch diese Sichtweise wird der heutigen Realität nicht gerecht. Wir leben in einer technologisch geprägten Welt, in der Digitalisierung viele Arbeitsprozesse und Wertschöpfungsketten erleichtert hat. Diese Entwicklung ist unumkehrbar. Daher müssen wir uns fragen, wie wir diese Prozesse gestalten können, ohne unseren Planeten zu zerstören oder Menschen auszubeuten. Es ist wichtig, unser ökonomisches System zu hinterfragen. Klimaschutz bedeutet nicht nur Schutz, sondern auch Gerechtigkeit. Es geht nicht nur um Südtirol, sondern um die globalen Folgen des Klimawandels und die Suche nach lokalen und globalen Lösungen. Bildung ist dabei ein zentrales Mittel.

Im Programm des Klimacamps gibt es viele Vorträge und Workshops zu progressiven Themen wie Intersektionalität, Feminismus, Krieg und Frieden. Was haben diese Themen mit dem Klimaschutz zu tun?
Klimagerechtigkeit ist eng verbunden mit Intersektionalität, Feminismus, Krieg und Frieden. Es geht darum, Zusammenhänge zu erkennen, zu verstehen, zu diskutieren und nicht nur lokale Folgen und Lösungen zu betrachten. Themen wie Wertschöpfungsketten und Kapitalismus sind wichtig, aber es muss kritischer gedacht werden. Zum Beispiel: Welche Wege legen Waren im Bekleidungssektor zurück? Individueller Konsum ist wichtig, aber die großen Hebel für eine klimagerechte Zukunft liegen bei den großen Konzernen und deren Politiken. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir eine andere Welt benötigen.

Wie sieht es mit dem Feminismus aus?
Der Zusammenhang zwischen Klima und Feminismus ist vielschichtig. Klimagerechtigkeit ist nicht zwangsläufig feministisch, aber Klimaaktivist:innen versuchen, die Ursachen des Klimawandels als radikales Problem zu verstehen und grundlegende Veränderungen zu fordern, was auch feministische Ansätze unterstützt. Jede:r Klimaaktivist:in betrachtet ihre/seine Rolle anders, und nicht jede:r hat eine intersektionale oder feministische Perspektive. Doch wenn wir Klimaaktivismus mit Migrations-, Gender- und intersektionalen Fragen diskutieren, wird die Debatte immer feministischer – was das Klimacamp Alto Adige auch unterstützt.

Wo steht Südtirol derzeit in Bezug auf die Klimakrise? Welche Fortschritte wurden gemacht und wo gibt es noch Handlungsbedarf?
Starkwetter-Ereignisse nehmen zu, Permafrost taut auf, Überschwemmungen werden häufiger. Diese Klimaschwankungen beeinflussen das Alltagsleben und die Wirtschaft in Südtirol erheblich. Obwohl die Eurac diese technischen Daten erfasst und der Klimaplan Südtirol novelliert wurde, bleiben die Fortschritte begrenzt. Partizipationsforen und Rundtische sind lobenswert, aber aus Sicht der Klimaaktivist:innen immer noch zu milde.

Was könnte anders gemacht werden?
Südtirol sucht Lösungen meist innerhalb des bestehenden Systems, ohne radikale Maßnahmen wie die Einschränkung des Tourismus oder den Verzicht auf Pestizide. Gleichzeitig plant die rechtsgerichtete Koalition ein Abschiebelager (CPR), was sich weit von unserem Verständnis von Klimagerechtigkeit entfernt. Das bestehende System, das über Jahrhunderte Machtstrukturen gefestigt hat, setzt enge Grenzen für Veränderungen. Die Frage ist, ob wir warten, bis Kipp-Punkte erreicht sind, oder ob wir jetzt radikale Veränderungen fordern, um mehr Leid zu verhindern.

Um echte Alternativen zu schaffen, müssen wir uns diese vorstellen und diskutieren, wie eine andere Welt und ein anderes Südtirol aussehen könnten. Große Verbände unternehmen hier zu wenig, um inklusive Zukunftsvisionen zu gestalten. Statt wirtschaftlicher Erfolge sollte das Gemeinwohl im Zentrum stehen.

Wir müssen lernen miteinander zu reden und nicht „übereinander“, wie man im Südtirolerischen sagen würde.

Vero Pinzger

Gemeinwohl und ziviler Ungehorsam? Inwiefern geht das zusammen?

Es gibt eine lange Debatte, beginnend mit dem Philosophen David Henry Thoreau, dass freie Meinungsäußerung essentiell für Demokratien ist und ziviler Ungehorsam als Aktionsform zwischen legalem Protest und Illegalität steht. Ziviler Ungehorsam zeigt, dass manche Gesetze nicht die Allgemeinheit und Gerechtigkeit schützen, sondern die Macht weniger bewahren. Ziviler Ungehorsam macht die Absurdität und Ungerechtigkeit dieser Gesetze deutlich, wie im Zuge der Bürgerrechtsbewegung, der AIDS-Krise, der Behindertenrechtsbewegung und der Frauenrechtsbewegung.

In unserer Demokratien gibt es legale Protestmittel wie Demonstrationen und Streiks und auf der anderen Seite haben sich illegale, wie Besetzungen und unangemeldete Versammlungen, etabliert. Der ziviler Ungehorsam bewegt sich, laut Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, in genau diesem Spannungsfeld. Dadurch, dass eine kritische Masse hinter Aktionen steht und die öffentliche Ordnung keinen größeren Schaden davonträgt, ist dieser attraktiv. Ziviler Ungehorsam erregt mehr öffentliche Aufmerksamkeit und regt zu kreativeren Aktionsformen an. Ziel ist es, die Öffentlichkeit zu stören und auf die Notwendigkeit sofortiger Veränderungen hinzuweisen.

Was würdest du Menschen sagen, die skeptisch gegenüber dem Klimacamp und dem Klimaschutz allgemein sind?
Komm vorbei und diskutiere mit uns. Wenn wir nicht miteinander sprechen und versuchen, Formen der Kommunikation in so vielschichtigen Fragen zu suchen, dann haben wir keine Chance, Lösungen für alle zu finden. Wir müssen lernen miteinander zu reden und nicht „übereinander“, wie man im Südtirolerischen sagen würde.

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