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Da ich – wie so oft – etwas spät dran bin und meiner Frisur und dem Make-Up zu viel Zeit gewidmet habe, zwänge ich mich schnell in das bereits zurechtgelegte – etwas andere – Outfit für die heutige Partynacht. Der Leder Body schmiegt sich dabei wie eine zweite Haut – wie ein Schutz – an mich. Das Harness, welches ich mir umschnalle dient als Symbol für den heutigen Abend. Ein Accessoire der Offenheit, des Mutes und der Toleranz. Drei Tugenden, die für den heutigen Abend wesentlich sein werden. Kurz mustere ich mich etwas unsicher im Spiegel. *Ob das nicht doch etwas overdressed und zu freizügig ist?*… doch für Grübeleien fehlt die Zeit, denn meine Freund:innen klingeln bereits an der Tür. Also werfe ich nur noch schnell einen langen Trenchcoat über, schlinge ihn eng um mich und los geht’s: Auf zu meiner ersten Sex-Positive-Party.
Gruppensex, Swingen und Durcheinandervögelei …
… hat zu keinem Zeitpunkt etwas mit dem Konzept von Sex-Positive-Partys zu tun. Die Idee hinter solchen Partys ist es vielmehr, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht (weiblich, männlich, inter, trans*, non-binär …) oder ihrer sexuellen Orientierung (hetero, homo, bi, pan, asexuell …) ihre Individualität feiern, sich entfalten und ihr authentisches Selbst ausleben können. Das tatsächliche Ausleben von sexuellen Fantasien spielt dabei nur für wenige Menschen eine Rolle, wofür Darkrooms und andere Séparées zur Verfügung gestellt werden. Sex-Positivity bedeutet, alle einvernehmlichen sexuellen Aktivitäten positiv anzuerkennen. Es geht um einen Awareness-Prozess und um die umfassende und sinnvolle Aufklärung über Einvernehmlichkeit (Consens), Sex und Sicherheit (Safer Sex) sowie um einen respektvollen Umgang mit sich selbst, anderen Menschen und dem eigenen Körper gegenüber. Der Fokus der Nacht liegt dabei auf Einvernehmlichkeit und Respekt, sodass niemand ohne Zustimmung berührt oder angestarrt werden soll. Die Mitgründerin des feministischen Partykollektivs „Hausgemacht“ und Sex-Positive-Partyreihe ZusammenKommen in Wien Frederika Ferková verrät, dass bei solchen Partys jeder Körper und jede Ausprägung davon sowie jede Form von Sexualität einen Platz in der Gesellschaft bekommt. „Sex-Positive-Partys sind aus der queeren und der feministischen Szene entstanden und somit hochpolitisch“, erklärt die 31-Jährige.
Mit meinen Leder-Boots schreite ich selbstbewusst und doch auf etwas wackeligen – in Netzstrümpfen verpackten – Beinen zum Eingang des Clubs. Gedämpft dringt durch die schwere, geschlossene Eisentür bereits der Techno-Beat der Nacht. Der harte Bass wird von der Stimme einer Türsteherin unterbrochen, welche mich freundlich aber bestimmt bittet, mit ihr nach vorne zu gehen, um mir ein paar Fragen zu stellen. Es handelt sich um eine Art Einlassprobe oder besser gesagt um einen Awareness-Check.
Hart am Türschlag oder: die Frontline der Nacht
Eine sehr strenge Türpolitik ist das A und O einer sicheren und auf Consens aufbauenden Sex-Positive-Party. „Das muss so sein, da wir uns als feministisch verstehen und die Frauensicherheit an erster Stelle steht!“, klärt Frederika Ferková auf. Sie erklärt, dass sie bei ihren Events bereits im Vorfeld selektieren, wodurch Gäste im Voraus eine Bewerbung abschicken müssen. Auch vor Ort wird nochmal genau kontrolliert: „Wir schauen, ob der Test wirklich selbst ausgefüllt wurde und stellen den Gästen erneut Fragen zu gewissen Themen, die deren Awareness und Einstellungen widerspiegeln. Wir sagen lieber zu oft nein, als dass wir einmal leichtsinnig ja sagen.” Zusätzlich gibt es bei den Sex-Positive-Partys extra ausgebildete Awareness-Teams. Diese sind fürs Wohl und den Schutz der Gäste da. Diese Teams unterstützen die Gäste, wenn sich die Besucher:innen durch etwas getriggert fühlen, in unangenehmen Situationen wiederfinden oder Übergriffe passieren sollten.
Nach den wichtigsten Fragen: Wie hast du von diesem Event erfahren? Warum bist du heute hier? Was sind deine Intentionen? etc. werde ich durchgewunken. Vor dem Eingang klebt mir ein anderer nicht mehr ganz so freundlicher Securityman die Handykamera ab und verweist nochmal im ernsten Ton darauf, dass das eine fotofreie Zone ist. „Wer sich nicht daran hält, fliegt!“, gibt mir der bärtige Mann noch mit einem zornigen Blick mit auf dem Weg und schiebt mich durch die Tür. Zeitgleich kommt mir ein warmer Luftschwall entgegen. Ich spüre das Pulsieren der Musik im ganzen Körper, entledige mich noch schnell meines Trenchcoats und tauche ein in die Welt der Sex-Positivity.
Auch Südtirol scheint vom Konzept der Sex-Positive-Partys nicht ganz abgeneigt. So verrät Felix Taschler, Clubbetreiber von MAX in Brixen, dass er selbst schon solche Partys besucht habe, die Idee dahinter gut fände und die Ausrichtung von Sex-Positive-Partys in seinem Club für die Zukunft nicht ausschließen würde. Allerdings gibt der Clubbetreiber zu bedenken, dass das sexpositive Konzept in Großstädten und Ballungsräumen besser umsetzbar sein: „In Südtirol haben wir um die 500.000 Einwohner und kein richtiges Ballungszentrum. Wir sind quer über das ganze Land verteilt, das stellt eine Herausforderung dar. Nicht zuletzt, weil solche Partys von der Anonymität der Besucher:innen leben …“
Dem stimmt auch Frederika Ferková zu. Allerdingst verrät die Sex-Positive-Party-Expertin: „Lustigerweise kommen sehr viele Südtiroler:innen auf unsere Partys. Zwei sind auch in unserem Verein tätig. Ich glaube, ihr seid kinkier als gedacht. Aber das Landleben inklusive dem Jede:r-kennt-Jede:n ist sicherlich eine Hürde.“
Felix gibt neben der fehlenden Anonymität in Südtirol zu bedenken, dass solche Partys für Studierende und Erwachsene gedacht sind und das Publikum der Südtirol-Clubszene zu jung sei: „Aktuell werden wir keine Sex-Positive-Partys anbieten, da wir hauptsächlich mit einem sehr jungen Publikum, sprich den 16-20-Jährigen – also Oberschüler:innen – arbeiten.“
Auf der Tanzfläche angekommen muss ich kurz selbst über meine Gedanken von vorhin schmunzeln, da ich mit meinem Body und Harness im Vergleich zu der bunten Vielfalt an Outfits noch relativ prüde und basic gekleidet bin. Keine Spur von fader Straßenkleidung oder den üblichen Fortgeh-Outfits … Auch genderbinäre Kleidung spielt hier keine Rolle und so finden sich so manche Männer* in Röcken wieder und jede:r zeigt sehr viel nackte Haut. Ich bin von der Diversität des Publikums begeistert und nehme positiv überrascht war, dass es geschlechtermäßig ausgewogen ist und mit Sicherheit mehr als 50 % der Anwesenden Frauen* sind … keine Spur vom Männerüberschuss der Mainstream Discos.
„Nur 20–30% unserer Gäste haben auf den Partys tatsächlich sexuellen Kontakt. Es ist eine ganz normale Party, nur dass man halt in Unterwäsche ist und deshalb ganz anders mit sich und anderen umgeht“, verrät Frederika. Sie erzählt weiter, dass die Besucher:innen ihrer Party zwischen 18 und 55 Jahre alt sind: „Die meisten sind aber so um die 30.“ Die Eventorganisatorin erklärt, dass sie zudem stark geschlechtlich selektieren, damit immer mindestens 52 % der Partygäste weiblich oder flinta* sind.
Eine Sex-Positive-Party ist also nicht nur von FSK-18-Aktivitäten, sondern auch von einer strengen Türpolitik, queerer Sichtbarkeit und Awareness-Prozessen gekennzeichnet. Einige diesen progressiven Merkmalen einer Nachtkultur versucht auch Clubbetreiber Felix in Südtirol umzusetzen: „Es ist mir unfassbar wichtig, dass unser Club, für alle Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität – ein sicherer Raum fürs Feiern darstellt.“
Das sieht die Expertin für Sex-Positive-Partys Frederika Ferková ähnlich: „Für die Gesellschaft ist ein Safe-Space mit Sex-Positive-Partys, in dem man sich ausprobieren kann und in dem man ohne Vorverurteilung zum Beispiel crossdressen oder Fantasien ausleben darf, sehr wichtig! Sexualität ist ein großer Teil unseres täglichen Erlebens und gehört zur psychischen Gesundheit dazu.” (Anm. d. Red.: Crossdressing bezeichnet das Tragen von „nicht-gendertypischer“ Kleidung)
Die Vielfalt des Lebens, der Körper und der Sexualität, die in diesen Momenten auf der Tanzfläche ohne Worte zelebriert wird, inspiriert mich und stimmt mich glücklich. Überraschenderweise schweben genau in diesem Moment meine Gedanken in Richtung meiner Heimat: Südtirol. Wie gut eine solche Party inklusive der Visualisierung der Buntheit des Lebens dem kleinen – manchmal doch sehr konservativen – Ländchen täte …
„Südtirol ist da etwas spät dran, wie immer. Aber ich bin mir sicher, dass auch in Zukunft unser Publikum den Wunsch auf Sex-Positiv-Partys äußern wird“, so Felix Taschler. Der Clubbetreiber gibt allerdings zu bedenken, dass die Umsetzung eines sexpositiven Konzepts Zeit beanspruchen würde: „Einfach den Namen der Veranstaltung zu ändern, reicht da nicht aus! Es brauche Sicherheitskonzept, Awareness-Teams, Aufklärungsarbeit. Nicht, dass Menschen, die eine solche Veranstaltung in der Hoffnung besuchen, meinen einfach jede:n begrabschen zu können usw. Das wäre der gegenteilige Effekt, den solche Partys erzielen wollen.“
Viele Südtiroler:innen haben Party-Organisatorin Frederika berichtet, dass sie lieber extra nach Wien auf eine Sex-Positive-Party fahren, als dass sie Zuhause eine besuchen würden. „Aber natürlich könnte man den Ausbau der Sex-Positive-Szene in Südtirol versuchen. Das Potenzial ist mit den kinky Südtiroler:innen sicher gegeben“, meint Frederika lachend.
Ich verbringe den ganzen Abend auf der Tanzfläche und genieße das ausgelassene, freie und irgendwo auch so politische Tanzen inmitten toleranter Gleichgesinnter. Spät nachts oder viel eher sehr früh morgens verlasse ich die Party, im Wissen bald wieder eine solche Veranstaltung – wer weiß vielleicht ja eines Tages sogar in Südtirol – zu besuchen.
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