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Queere Männer im Profi-Fußball outen sich selten. Wenn überhaupt tun sie es nach dem Ende der Karriere wie der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. Als Ausnahme gilt das Coming-out von Jakub Jankto, Profispieler bei Sparta Prag, vor wenigen Wochen. Wie ist das in Südtirol? BARFUSS hat mit einem Amateurfußballer aus Südtirol, der anonym bleiben will, darüber gesprochen, warum Sexualität eine so große Rolle im Fußball einnimmt.
Du bist ein schwuler Fußballspieler in einem Verein in Südtirol. Warum outest du dich nicht?
Schwulen-Hass im Fußball-Sport ist nichts Neues. Nicht nur in der Profi-Liga, auch in den kleinen Vereinen in Südtirol steht Homophobie auf der Tagesordnung. Der ideale Fußballer ist immer noch weiß, männlich und heterosexuell. Mein Coming-out vor meiner Familie und engen Freund:innen war für mich, trotz der Tatsache, dass diese extrem offen und mit meinem Schwulsein super umgegangen sind, schon extrem schwierig. Wie soll ich da die Kraft aufbringen, mich in einem männlich-toxischem Umfeld zu outen?
Das bedeutet du musst deine Sexualität im Sport verstecken. Wie geht es dir damit?
Mal besser, mal schlechter. Ich liebe es Fußball zu spielen. Ich trainiere, seit ich vier bin und würde auch sagen, dass ich sehr gut darin bin. Als schwuler Mann werden dir aber ohnehin schon viele Wege versperrt, weshalb ich mir durch ein Outing nicht auch noch den Fußball nehmen lassen will. Durch diesen Kampfgeist, den ich im Fußball ausleben kann, geht es mir meistens gut. Bei den Partys nach den Spielen und so manchen Gesprächen in der Umkleide werde ich aber sehr traurig und wütend. Es ist mittlerweile fast ein Ritual, dass ich nach den großen Siegesfeiern nach Hause komme, weine und mich mein Vater trösten muss.
Wieso? Was passiert auf diesen Feiern?
Ich glaube es ist wissenschaftlich mittlerweile sogar erwiesen, dass sehr viele Männer aufgrund ihres Testosterongehalts beim Trinken aggressiver und „toxischer“ werden. Sollte ich mich irren, dann wären die Siegesfeiern im Fußball der perfekte Beweis für diese Theorie. Es wird viel Alkohol konsumiert, mit Frauengeschichten angegeben und „spaßhalber“ rumgepöbelt. In diesem Zustand äußern sich einige meiner Teamkollegen nicht nur sexistisch, sondern auch explizit schwulenfeindlich.
Es fallen immer wieder Begriffe wie „schwule Sau“, „Schwuchtel“ gegenüber Fußballern von anderen Vereinen sowie andere schwulenfeindliche Kommentare und Vergleiche, die ich hier gar nicht nennen will.
Hast du selbst diskriminierendes, homophobes Verhalten innerhalb deines Vereines erlebt?
Gegen mich wird selten geschossen, da von meiner Homosexualität niemand im Verein Bescheid weiß. Zwei Mal im Monat fahre ich ins Ausland, um dort meine homosexuelle Seite auszuleben, in einem queeren Umfeld unterwegs zu sein und Männer zu daten. Davon wissen meine Kollegen nichts und daher bin ich nicht auf ihrem Radar. Trotzdem fallen immer wieder Begriffe wie „schwule Sau“, „Schwuchtel“ gegenüber Fußballern von anderen Vereinen sowie andere schwulenfeindliche Kommentare und Vergleiche, die ich hier gar nicht nennen will.
Sind all deine Teamkollegen homophob?
Nein, ich bin mir sicher, dass einigen Sexualität egal ist und sie die schwulenfeindlichen Kommentare genauso stören. Aber es gibt diese wenigen Alphamänner, gegen die man lieber nichts sagt. In meinem Verein gibt es drei bis vier „richtig homophobe“ Männer, die anderen sind Mitläufer, sie lachen mit. Das macht es auch nicht unbedingt besser…
Wie würden deine Vereinskollegen reagieren, wenn sie wüssten, dass du schwul bist?
Ich bin mir sicher, dass ich in der Umkleide mit blöden Kommentaren wie „dass mich ihre Nacktheit jetzt bestimmt anmachen würde“ oder „ob ich heute schon etwas in den Arsch bekommen hätte“ konfrontiert werden würde. Solche Aussagen haben sie in anderen Kontexten gegenüber anderen schon sehr häufig getätigt. Ein Coming-out wäre für mich also ein mentaler Horror. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass das die Spiele und unser Niveau negativ beeinflussen würde.
Sollte ich mich je outen, ist sicher alles immer die Schuld der „Schwuchtel des Teams“.
Inwiefern?
Ich bin gut im Fußball und ich genieße großes „Ansehen“ von einigen Mitspielern. Einige Spieler unseres aktuellen Teams – aber auch die der Vergangenheit – waren sicherlich genauso gut wie ich, aber im eher klein und dünn, hatten vielleicht femininere äußerliche Eigenschaften als ich oder waren in irgendeiner Art und Weise nicht der „ideale starke Mann“. Ihnen wird viel weniger oft der Ball abgegeben und wenn sie mal was auf dem Platz verbocken, werden sie wegen ihrer Art fertig gemacht. Wenn ich aktuell einen Fehler mache, werde ich von meinen Kollegen aufgebaut und das gegnerische Team beschimpft. Sollte ich mich je outen, ist sicher alles immer die Schuld der „Schwuchtel des Teams“.
Planst du dich nach deiner Fußballzeit outen?
Puh, keine Ahnung. Aktuell kann ich mir kein Leben ohne Fußball vorstellen. Es kann schon sein, dass ich vielleicht irgendwann einen Partner habe, zu dem ich zu 100 Prozent stehen will. Aktuell kann ich mir das aber in Südtirol nicht vorstellen.
Gibt es beim Südtiroler Fußball irgendwelche Sensibilisierungsmaßnahmen?
Nein, zumindest nicht in unserem Verein. Ich weiß von einigen Fußballclubs in Österreich, dass zum Beispiel verpflichtende Workshops veranstaltet werden und es Diskriminierungsbeauftragte gibt. Sowas bräuchte es in Südtirol auch.
Der überwiegende Grund liegt aber darin, dass Fußball ein „Männersport“ ist. Ein Sport für weiße, heterosexuelle Cis-Männer. Da passen keine Schwulen hinein.
Was denkst du, warum ist das Thema Sexualität im Fußball so ein großes Thema?
Vermutlich liegt es daran, dass der Fußball in Europa schon sehr lange eine der prominentesten Sportarten ist und früher Homosexualität noch ein viel größeres Tabu war wie heute. Der überwiegende Grund liegt aber darin, dass Fußball ein „Männersport“ ist. Ein Sport für weiße, heterosexuelle Cis-Männer. Da passen keine Schwulen hinein. Dasselbe ist ja auch mit dem Frauenfußball zu beobachten.
Inwiefern?
Im Frauenfußball sind queere Spielerinnen keine Seltenheit. Ihnen wird aber dafür oftmals die Geschlechtsidentität abgesprochen. Nicht selten heißt es, dass das richtige „Mannsweiber“ seien. Das Problem liegt also daran, dass Fußball männlich und straight „gelesen“ wird.
Auch im Profisport sind Spieler, die sich während der Karriere outen eine Seltenheit. Was denkst du über das Outing von Jakub Jankto?
Ich habe das zu Beginn gar nicht so mitbekommen. Meine Mutter ist dann mit ihrem Tablet ins Zimmer gerannt und hat mir den Artikel dazu gezeigt. Ich finde das extrem cool und so mutig. Ich hoffe, dass sein Outing viele weitere Profis dazu animiert, offen zu ihrer Sexualität zu stehen, damit das irgendwann etwas ganz Normales wird. Sogar innerhalb meines Vereins gab es einige positive Bemerkungen zu Jankto. Der Großteil hat sich aber trotzdem darüber lustig gemacht und gemeint, dass er jetzt sicher eine Sonderbehandlung bekommen würde, weil er „schwul“ ist.
Nur weil ich mich nicht traue und zu viele Ängste und Befürchtungen habe, heißt das nicht, dass diese auch eintreffen müssen. Es braucht Mutige, die das System verändern.
Der ehemalige deutsche Fußballnationalspieler Philipp Lahm hat in einem Interview einmal Fußballern vor einem Coming-out gewarnt, weil Gefahren lauern würden. So etwa Pöbeleien in Social Media und bei Auswärtsspielen. Was sagst du dazu?
Ich kann das zu 100 Prozent nachvollziehen. Bei solchen Aussagen und vielleicht bei dem ganzen Interview heute ist aber Vorsicht geboten: Alle schwulen Fußballspieler, die sich outen wollen, sollen das bitte machen. Es braucht mehr davon. Nur weil ich mich nicht traue und zu viele Ängste und Befürchtungen habe, heißt das nicht, dass diese auch eintreffen müssen. Es braucht Mutige, die das System verändern. Ich bin leider keiner davon…
Trotzdem hast du dich im Zuge unseres anonymen Aufrufs auf Instagram gemeldet. Warum ist es dir wichtig, deine Geschichte zu teilen?
Zum einen ist es fast therapeutisch mal mit jemand Fremden über Sexualität und Fußball im gleichen Kontext zu sprechen. Normalerweise rede ich entweder nur über das eine oder das andere. Auf der anderen Seite erhoffe ich mir trotzdem dadurch, dass das Interview vielleicht der ein oder andere schwule Fußballer in Südtirol liest und weiß, dass er nicht allein ist oder auch, dass heterosexuelle Spieler zumindest einmal über ihr Verhalten nachdenken.
Gibt es etwas, das du dir vom Fußball generell und von den Vereinen in Südtirol in Zukunft wünscht?
Es wäre toll, wenn sich immer mehr queere Fußballspieler in der Profiliga outen. Homosexuelle Vorbilder, wie es Fußballer ohnehin oft für junge Buben sind, wären so wichtig und würden das Denken auch hier zu Lande stark verändern. Ich wünsche mir, dass irgendwann in der Zukunft Sexualität nichts mehr mit einer Sportart zu tun hat. Es sollte scheißegal sein, ob man hetero-, bi-, homo- oder sogar asexuell ist, solange man den Ball ins Tor bringt.
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