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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 10.08.2023
LebenInterview: Vernissage „Springerstiefel und Lederhosen“

Harmlose Neonazis? Von wegen!

Veröffentlicht
am 10.08.2023
Als harmlosere „Bandenrafereien“ wurden viele neonazistische Gewalttaten um die 2000er Jahre abgetan. In der multimedialen Ausstellung „Springerstiefel und Lederhosen“ räumen Mara Stirner und Alexander Indra mit dieser Falschannahme auf.
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Springerstiefel_Lederhosen_basis

Mara ist gebürtig aus Schlanders, arbeitet als Politikwissenschaftlerin zu Rechtsextremismus und erinnerungspolitischen Themen und ist Gründerin des „feministischen Info Cafés“ in Meran. Den UX-Designer und Fotografen Alexander Indra und sie verbindet das sozialpolitische Engagement. Sie beide wollen die Geschichten neonazistischer Gewalt aus der Zeit ihrer Jugend sichtbar machen und kontextualisieren. Aus diesem Grund arbeiten Alexander und Mara seit geraumer Zeit an ihrer Vernissage „Springerstiefel und Lederhosen“, die ab heute (10. August) in der Basis in Schlanders besichtigt werden kann.

BARFUSS: Heute eröffnet eure Vernissage „Springerstiefel und Lederhosen“. Was hat es damit auf sich?

Alexander: Das Projekt ist eine multimediale Recherche zur rechtsextremen Gewalt Anfang der 2000er Jahre im Burggrafenamt. Es geht um die neonazistische Szene, die in diesen Jahren sehr groß war und es dadurch zu vielen Gewaltvorfällen, Schlägereien, Gegengewalt und Bedrohungen gegen Menschen mit linker Ideologie, „alternativerem“ Aussehen – wie langen Haaren – und anderer Herkunft kam. Wir sind zu dieser Zeit aufgewachsen und waren indirekt und direkt von dem rechtsextremen Geschehen betroffen.

Mara: Die Ausstellung besteht aus Interviews von Menschen, die von neonazistischer Gewalt betroffen waren, sich dieser politisch aktiv entgegengesetzt haben und zur Punk- und linken Skinhead-Szene gehörten. Zusätzlich zeigt die Ausstellung Hintergrundinformation zum Rechtsextremismus in Südtirol, eine Chronik, die einen Überblick über rechtsextremen Gewalttaten und Akteur:innen zwischen 1996 und 2012 darstellt, anonymisierte Fotografien von Betroffenen aber auch Erinnerungsstücke, wie eine Weste mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ oder Flyer von damals. Durch diese verschiedenen Medien soll die Ausstellung einen Eindruck und ein Gefühl dieser Zeit vermitteln.

Alexander Indra und Mara Stirner

Wie seid ihr dafür konkret vorgegangen?

Alexander: Zu Beginn haben wir ganz viele Zeitungsartikel gesichtet, die wir von den Autoren des Kapitels „Die Südfront im Kontext. Neonazistische Szene in Südtirol 1990-2015“ des Sammelbands „Der identitäre Rausch“  zur Verfügung gestellt bekommen haben. Für uns war klar, dass wir die Interviews und Fotos anonym halten möchten, um die Personen zu schützen. Das war eine große Herausforderung, da die Fotos so natürlich an persönlicher Stärke verlieren. Das haben wir versucht mit den Audiointerviews wettzumachen.

„Springerstiefel und Lederhosen“: Ein symbolträchtiges Bild. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Alexander: Der Titel der Vernissage soll das Neonazi-Klischee der 2000er Jahre widerspiegeln. Mit der Lederhose verweisen wir zudem auf das Folkloristische und auf traditionelle Vereine wie die Schützen, die oftmals Teil der Geschehnisse waren, sich dann wieder distanzierten und immer wieder Überschneidungen mit Neonazis hatten.

„Einmal sind bei einem Jugendzentrum in Lana drei bis vier Autos und 10-15 Vespas und Scooter mit Neonazis vorgefahren. Alle sind abgestiegen, mit Sturmhaube, Baseballschläger, Schlagring und haben die Linken gesucht.“

– Ausschnitt aus den Audiointerviews mit Betroffenen

Wieso sind speziell die 2000er Jahre für euer Projekt von Bedeutung?

Alexander: Diese Zeit war ein neonazistischer/rechtsextremer Höhepunkt in Südtirol nach 1945, was die meisten nicht wahrhaben wollten. Eltern und Jugendzentren boten nur wenig Unterstützung an. Das wirkliche Problem wurde „übersehen“. Mehrmals war von „wilden und rafenden“ Jugendlichen die Sprache, was ja etwas „ganz Normales“ sei. Manchmal sind wir im Umkehrschluss beschuldigt worden, mit unserem Aussehen Andere zu provozieren. Der politische Hintergrund der neonazistischen Gewalt wurde komplett ausgeblendet und ignoriert.

23 Jahre später… Ist der Neonazismus und Rechtsextremismus noch ein gegenwärtiges Problem von Südtirol?

Mara: Ja. Wir haben zwar keine klassischen/ „offensichtlichen“ Bomber-Springerstiefel-Skindhead-Nazis der 2000er Jahre mehr, die in Kleingruppen schlägernd durchs Dorf laufen, aber das Gedankengut lebt trotzdem weiter. In den letzten Jahren konnten wir diesbezüglich eine Verschiebung rechter Erzählungen erleben. So wurden rechtsextreme Ansichten partei- und teilweise regierungsfähig. Rechtsextremismus bedeutet nicht automatisch Neonazi-Sein. Rechtsextremismus ist die Überzeugung einer Ungleichheit zwischen Menschen und ist von verschiedenen Ebenen unterfüttert, wie Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Autoritarismus. Diese Einzelteile lohnt es sich auch zu betrachten.

„Leute haben sich in den Wiesen im eigenen Dorf versteckt und draußen die Springerstiefel vorbeimarschieren gehört.“         

– Ausschnitt aus den Audiointerviews mit Betroffenen

Welche Erfahrungen mit neonazistischen Gewalttaten habt ihr selbst gemacht?

Alexander: Der Höhepunkt dieser neonazistischen Gewalttaten fand parallel zu meiner Oberschulzeit statt. Eigentlich ist jedes Wochenende irgendetwas passiert. Entweder hat man selbst solche Erfahrungen in Jugendzentren, Konzerte, Open-Airs – wenn man alternativ eingestellt oder gekleidet war – miterlebt oder man hat von Freund:innen gehört, dass sie am Wochenende abgepasst, verfolgt und verprügelt wurden. Der schlimmste Faktor an dem Ganzen war, dass die Gesellschaft weggeschaut hat. Mit Aussagen wie: „Des sein holt Buabn, de rafn holt“ oder „Uane Bande gegen die ondere“ wurde das ganze abgetan, ohne das Politische hinter der Gewalt anzuerkennen. In dieser Zeit kam es zwischen Lana und Mals mehrmals im Monat zu irgendwelchen Konfrontationen, Übergriffen, Schlägereien, Bedrohungen usw.

Mara: Ich war in dieser Zeit noch zu jung, um das selbst konkret miterlebt zu haben. Ich kenne die Geschichten von älteren Freund:innen oder meinem damaligen Freund der linken Skinheads-Szene. Ich konnte später von der anderen, positiveren Seite, wie der entstehenden Subkultur profitieren. Es war spannend und ermutigend zu sehen, dass so viele junge Menschen – besonders in der Musik – Werte einer solidarischen Gesellschaft vertraten: Eine Gesellschaft, die nicht ausgrenzen will und sich antifaschistisch positioniert.

„Sie sind mit Schlagring dagestanden und haben gesagt: „Ich zähle bis drei und schlag dann auf dich ein. Eins Heil Hitler, Zwei Heil Hitler, Drei Heil Hitler.“      

–Ausschnitt aus den Audiointerviews mit Betroffenen

Gibt es ein Ausstellungsstück der Vernissage, das euch besonders bewegt?

Alexander: Schwierige Frage. Für mich als Fotograf war es besonders spannend, die Fotos zu machen und ihnen trotz „Anonymisierung“ einen persönlichen Wert mitzugeben. Das Herzstück der Ausstellung sind für mich sicherlich die Audiointerviews.

Mara: Die Chronik der Übergriffe zeigt mit historischer Kontinuität eindrücklich auf, wie Phänomene – wie der Rechtsextremismus – wachsen und sich verändern. Das ist beeindruckend. Ein weiteres Ausstellungsstück, das mir besonders gut gefällt, ist das Foto eines eingerahmten Irokesen. Dieser wurde von der betroffenen Person als Erinnerung an die Zeiten als Punk aufbewahrt. Das Foto erzählt ein Stück weit die Geschichte einer Subkultur.

Wie waren die bisherigen Reaktionen auf „Springerstiefel und Lederhosen“?

Die Ausstellung war bereits im Ostwestclub Meran und in einigen Jugendzentren in Südtirol unterwegs. Die Reaktionen von den Jugendlichen waren super interessant, weil sie Subkulturen nicht mehr so richtig kennen. Sie konnten einige Ausstellungsstücke gar nicht richtig zuordnen und die Politisierung von damals nicht nachvollziehen. Daraus ist eine Neugier entstanden und genau das wollen wir mit unserer Ausstellung bezwecken. Denn Neugier schafft Diskussion und damit ziehen wir einen Bogen in die Gegenwart.

„Vor der Bar haben sie schon auf uns gewartet. Einer der Neonazis zog eine Kette aus der Jacke. Einen Freund auf den sie einschlugen, konnte ich noch rausziehen. […] der andere Freund war auf dem Boden, der Kopf voller Blut auch sein T-Shirt.“        

– Ausschnitt aus den Audiointerviews mit Betroffenen

Die Ausstellung „Springerstiefel und Lederhosen“ kann nach der Eröffnung am 10.08. für 4 Wochen im BASIS Lokal in der Fußgängerzone Schlanders besichtigt werden. Die Öffnungszeiten: 

Donnerstag, 10.08 Vernissage ab 19 Uhr 

Mittwoch, 16.08 von 9 bis 17 Uhr

Donnerstag 17.08 von 9 bis 19 Uhr

Mittwoch, 23.08 von 9 bis 17 Uhr

Donnerstag 24.08 von 9 bis 17 Uhr

Mittwoch, 30.08 von 9 bis 17 Uhr

Donnerstag 31.08 von 9 bis 17 Uhr

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