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Wie würdest du dich fühlen, wenn du US-Amerikanerin wärst und dein Mann Trump gewählt hätte? Oder wenn deine Frau ein Problem damit hätte, wenn du Fleisch isst? Wie einig wart ihr euch beim Thema Covid-Impfung während der Pandemie? Migration, Kriege, Klima, Frauenrechte, Sorgearbeit – die Liste ist lang an Punkten, bei denen Menschen gegensätzliche Meinungen vertreten. Oft sind dies Menschen weit außerhalb des engeren Umfeldes. Manchmal teilt man sich mit diesen Menschen aber auch ein Bett, hat Kinder zusammen, bestreitet einen gemeinsamen Haushalt und fährt in den Urlaub. Sicher, kein Paar ist sich in einer Beziehung in jedem Punkt einig. Aber wie funktioniert es, wenn sich die politische Einstellung wesentlich voneinander unterscheidet?
„Es klingt zwar blöd, weil ich weiß, dass es eigentlich ein Streitthema sein müsste, aber es ändert für mich nichts an der Person.“
Katja und Jan
Katja und Jan wohnen in Brixen und sind seit vier Jahren zusammen, davon ein halbes Jahr verheiratet. Die beiden heißen eigentlich anders, möchten aber anonym bleiben. Zusammen haben sie zwei kleine Kinder. Ihre politische Einstellung geht vor allem beim Thema Migration auseinander. Katja sagt: „Jeder Mensch soll eine Chance in unserer Gesellschaft bekommen, nur so kann Integration gelingen.“ Jan sieht das anders. Er ist in Bezug auf Geflüchtete und Menschen, die aus dem Ausland migriert sind, sehr rechts eingestellt. Manchmal verwendet er auch rassistische Parolen, an denen sich seine Partnerin stört. Vor allem, wenn das vor den Kindern passiert. „Es klingt zwar blöd, weil ich weiß, dass es eigentlich ein Streitthema sein müsste, aber es ändert für mich nichts an der Person.“ Katja erklärt, dass hinter seiner Einstellung eine Angst steckt, die vor allem von Medienberichten getriggert wird. Sie habe außerdem den Eindruck, dass sich vieles in Bezug auf seine Einstellungen in den gemeinsamen Jahren gebessert habe. Und sie auch deshalb einige Punkte hinnehmen kann, weil sich Jan und Katja bei anderen politischen Themen einig sind, zum Beispiel, wenn es um Frauenrechte geht.
Auf die Frage, was denn für sie ein absolutes No-Go in einer Beziehung wäre, antwortet Katja so: „Es würde für mich schon nicht gehen, wenn er seine Einstellungen auf die Kinder übertragen würde. Oder auch, wenn er sexistisch wäre und versuchen würde, klassische Rollenbilder in der Familie durchzubringen.“ Da gebe es auch keine Ausnahmen, das erwarte sie von ihrem Partner: „Da würde ich wirklich keinen Kompromiss finden. Entweder mein Weg oder gar keiner, denn über alte Geschlechterrollen sind wir schon weit hinaus.“
Sie grün, er blau
Erst vor einigen Monaten veröffentlichte die britische Tageszeitung Financial Times Daten, die deutlich machen, wie stark die politische Einstellung junger Frauen und Männer weltweit auseinanderdriften. Während Frauen unter 30 Jahren tendenziell linksliberal wählen, neigen junge Männer in derselben Altersgruppe eher zu rechten Parteien. Der Autor stellte fest, dass es nicht die eine Generation Z gibt, sondern zwei ideologisch gespaltene Gruppen, die politisch gar nicht so viel gemein haben. Dieser „ideologische Graben“ zeigt sich in vielen Ländern. In den USA etwa sehen sich immer mehr junge Frauen als deutlich liberaler und progressiver an im Vergleich zu den Männern in ihrem Alter. Das wurde auch nach der jüngsten US-Wahl deutlich. Nachdem Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt wurde, ging ein Video des rechtsextremen Influencer Nick Fuentes viral, in dem er den feministischen Spruch „My Body, my Choice“ umdreht und grinsend verkündet: „Your Body, my Choice“ (zu Deutsch: „Euer Körper, meine Entscheidung“). Auf TikTok und X empören sich zahlreiche Social-Media-Nutzer:innen.
In den vergangenen Jahren wählten vor allem junge Männer verstärkt die rechtsextreme AfD.
Aber auch in Europa vertreten Frauen der Generation Z weitaus linkere Ansichten als junge Männer. Das zeigt sich insbesondere bei den Themen Migration, soziale Gerechtigkeit und Genderthemen. Zudem vertreten die unter 30-Jährigen in Deutschland eine kritischere Haltung gegenüber Einwanderung als ältere Generationen. In den vergangenen Jahren wählten vor allem junge Männer verstärkt die rechtsextreme AfD.
Außerhalb westlicher Länder sind die Unterschiede oft noch drastischer. Südkorea ist ein gutes Beispiel für ein Land, in dem sich die gesellschaftliche Kluft zwischen jungen Männern und Frauen bereits drastisch in Form von Zahlen widerspiegelt. Im Jahr 2022 betrug die Geburtenrate nur 0,78 Kindern pro Frau. Das ist der niedrigste Wert weltweit. Auch die Zahlen an Hochzeiten im Land sind sinkend. Südkorea ist außerdem das Ursprungsland der 4B-Bewegung, welche derzeit in den Sozialen Medien viral geht. Ihr Name bezieht sich auf vier Prinzipien, die alle mit „bi“ (Anm.d.Red.: koreanisch für „kein” oder „ohne”) beginnen: keine Dates mit Männern, keine Ehe mit Männern, keine sexuellen Beziehungen mit Männern und keine Kinder. Die Bewegung ist eine Reaktion auf traditionelle Geschlechterrollen und tief verwurzelten Probleme wie geschlechtsspezifische Gewalt, Diskriminierung am Arbeitsplatz und die ungleiche Last der Kinderbetreuung.
Woher kommt das?
Junge Frauen befassen sich mit gesellschaftlichen Themen und prägen den politischen Diskurs. Sie studieren häufiger als Männer und sind besser ausgebildet. Sie befassen sich eher mit moralischen Fragen und verschiedenen Formen von Diskriminierung. Als ein entscheidender Moment aber gilt der Beginn der #MeToo-Bewegung. Junge Frauen fühlten sich bestärkt darin, gegen sexuelle Belästigung und Ungleichheiten laut und öffentlich vorzugehen. Junge Männer haben oft unterschiedliche Lebensrealitäten. Während Frauen für das Studium in größere Städte ziehen und sich für Themen wie Klimaschutz und Geschlechterfragen interessieren, geht es jungen Männern eher um Themen wie Arbeit oder bezahlbare Tankpreise. Einige andere empfinden moderne Diskussionen um Gleichberechtigung, Feminismus oder Diversität als Bedrohung ihrer eigenen sozialen Position. Rechte Parteien greifen diese Gefühle auf und richten sich gegen die als „übertrieben“ empfundene Identitätspolitik. Die AfD ist bei jungen Männern deshalb so erfolgreich, da sie in ihren Ansprachen an ein traditionelles Männerbild vom „starken, harten und maskulinen Mann“ anknüpft. In Zeiten, in denen junge Leute sich selbst und ihren Platz in der Gesellschaft finden müssen, ist das für viele durchaus ansprechend.
Die ideologischen Unterschiede zwischen jungen Frauen und Männern nehmen immer weiter zu.
Eine Studie des King’s College in London zeigt zudem, dass auch die Sicht auf Gleichstellung bei den Geschlechtern in der Generation Z auseinanderdriftet. Männer und Frauen zwischen 16 und 29 Jahren wurden gefragt, wer von ihnen es schwerer in der Gesellschaft hat. Während die weiblichen Befragten hauptsächlich „Frauen“ antworteten, sahen viele Männer keine Unterschiede oder das männliche Geschlecht benachteiligt.
Es wäre leicht, zu sagen, dass es sich lediglich um eine vorübergehende Entwicklung handelt. Die ideologischen Unterschiede zwischen jungen Frauen und Männern nehmen immer weiter zu. Mehrere Untersuchungen belegen, dass tief verwurzelte politische Überzeugungen nur schwer zu ändern sind. Smartphones und Soziale Netzwerke verschärfen diese Entwicklungen und führen junge Männer und Frauen zunehmend in getrennte Welten und soziale Kontexte.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Es gibt eine allgemeine Formel, die besagt, dass eher Beziehungen zwischen Menschen entstehen, die ähnliche Merkmale besitzen. Diese Prämisse wird auch Homophilie-Hypothese genannt. Nehmen wir Bildung als Beispiel: Personen mit gleichem oder einem ähnlichen Abschluss kommen häufiger zusammen als Personen mit einem unterschiedlichen Bildungsstand. Das Gleiche gilt für die Attraktivität zweier Personen und auch für die politischen Meinungen.
Dennoch hängt es davon ab, wie radikal die Einstellung der anderen Person ist. Laut einer Umfrage der Dating-Plattform Lovescout24 hat jede:r zweite Single kein Problem damit, wenn der/die Partner:in eine andere politische Meinung hat – solange sie nicht zu radikal sei. Jede:r vierte Single gibt an, dass zumindest das gleiche Interesse an politischen Themen bestehen sollte. Für zwei Drittel sind politische Ansichten innerhalb einer Beziehung nicht besonders relevant. Eine Rolle spiele aber auch, inwiefern sich Menschen mit Politik im eigenen Leben beschäftigen und welchen Stellenwert diesen Themen einräumen. Zu diesem Schluss kam auch Wissenschaftler Matthew Easton von der Brigham Young University: „Dating ist politisch und das Zeigen bestimmter politischer Vorlieben wirkt sich auf die Attraktivität von Online-Profilen aus.“ Es hängt also davon ab, wie wichtig uns politische Ansichten sind und wie extrem die Überzeugungen des Gegenübers von unseren eigenen abweichen.
„Ich war im Zwiespalt. Ich wollte aber keinen solchen Partner an meiner Seite haben, weil Rechts-Sein heißt meist halt auch Gegen-Frauenrechte-Sein.“
Sandra
Sandra wohnt in Graz, ist Anfang 30 und war während der Coronapandemie mit einem Südtiroler aus der Nähe von Meran zusammen. Auch sie möchte nicht ihren richtigen Namen preisgeben. Sandra und ihr Partner führten eine Fernbeziehung und sahen sich alle drei bis vier Wochen. War die politische Einstellung ihres Ex-Freundes bereits in der Kennenlernphase ein Thema? „Unbewusst ja. Mir ist es schon wichtig, dass man gleich tickt, gerade auch politisch. Da es doch so gut wie alles im Leben beeinflusst“, sagt sie. Damals habe Sandra aber gedacht, dass er auch „links“ ist, wie sie sagt. „Er hat immer das wiedergegeben, was auch meine Meinung ist und ich schon gesagt habe. Einfach nur, um mir zu gefallen.“ Im Laufe der Beziehung habe sich aber immer mehr rausgestellt, dass das, was er anfangs von sich behauptet hatte, nicht ganz so stimmte. Immer öfters kamen Aussagen in Bezug auf Flüchtlingskrise und Migration. „Die bekommen ja alle alles geschenkt an der Grenze“ – nur ein Beispiel von den Aussagen des Ex-Freundes. Sandras erster Gedanke war: „Hä, das passt doch gar nicht mit dem zusammen, wie er sich sonst immer gegeben hat.“
Eines Tages – es war kurz vor einer anstehenden Wahl – sagte er zu ihr: „Ich werde die Lega wählen.“ Erst dachte Sandra noch, er würde einen Scherz machen. Schnell merkte sie aber, dass ihr damaliger Partner es ernst meinte. Sie sagt über diese Zeit: „Manchmal dachte ich, ich erkenne die Person nicht mehr, in die ich mich verliebt habe.“ Seine politische Einstellung beeinflusste auch ihren Beziehungsalltag. Es kam oft zu Streitigkeiten. Wenn Sandra ihren Ex-Freund mit den Themen konfrontierte, blockte er ab. „Ich war im Zwiespalt. Ich wollte aber keinen solchen Partner an meiner Seite haben. Weil Rechts-Sein heißt meist halt auch Gegen-Frauenrechte-Sein.“ Die Beziehung zerbrach. Heute sagt Sandra: „Auf keinen Fall würde ich mehr mit jemanden zusammen sein, der rechts ist. Vielleicht bin ich da auch radikal.“
Quellen:
https://www.ft.com/content/29fd9b5c-2f35-41bf-9d4c-994db4e12998
https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-023-00904-4
https://www.lovescout24.de/p/magazin/politik-und-liebe
https://scholarsarchive.byu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1236&context=sigma
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