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„Wir sind im Paradies daheim“, sagt Rita Amort und schenkt kalten Tee aus dreißig Kräutern in mein Glas. Alle selbst gepflückt. Die Amorts sind so etwas wie Selbstversorger. Nicht nur ihre Medizin – ihre Kräuter – auch das Getreide für ihr Mehl, Gemüse, Fleisch und Wolle der eigenen Schafe produzieren sie. Und natürlich ihren Kaffee. Weil die Kaffeepflanze nur südlich des Äquators wächst, greifen die Amorts auf eine Alternative mit Tradition zurück: Die Lupine. An die hundert Kilogramm Samen jährlich produzieren sie auf ihren Äckern.
Um zum Hof der Amorts zu gelangen, muss man kurz vor der Gemeinde Altrei scharf links abbiegen. Eine schmale Straße führt vorbei an alten Höfen zum Brunnen, der das Zentrum des Weilers „Guggal“ markiert. Direkt darüber und darunter liegen die Äcker der Familie. Bis zum Hof sind es keine fünf Gehminuten. Für die Führung auf dem Acker trägt Rita einen blauen Schurz und dicke Bergschuhe. Der Tag hat mit Regen begonnen, das Feld ist also etwas matschig.
15 Reihen der kleinen Pflanzen wachsen hier zusammen mit Getreide, Kartoffeln und dicken, roten Rüben. Die Blätter der Lupine sehen aus wie kleine, grüne Sonnen. „Die hier haben wir in der ersten Aprilwoche gesteckt, die Blüte zeigt sich dann Mitte Juni“, erklärt Rita. Von der Aussaat bis zur Verpackung des fertigen Kaffees ist hier alles Handarbeit. Der echte „Voltruier Kaffee“ kostet ab Hof oder im Geschäft 90 Euro pro Kilogramm. Vor 150 Jahren, als das Geschäft mit dem Kaffee in Altrei gerade erst begonnen hat, musste man noch 90 Lire dafür bezahlen.
Von damals stammt auch der erste Beweis für die Existenz und die Verwendung des „Voltruier Kaffes“ als Nahrungsmittel. Bischof Johann Baptist Zwerger schreibt 1887 in seiner Biografie: „Auch eine blaublühende Bohnenfrucht, eine Lupinenart, welche als „Altreier Kaffee“ in der Umgebung bekannt ist, wird gebaut und bringt selbst den Ärmsten der Armen ein kleines Verdienst ein.“ „Und damit sind wir ins nationale Lebensmittelinstitut nach Rom“, erzählt Rita.
Der Verein der Altreier Lupinen-Bauern, der aus zwanzig Köpfen besteht, wollte es offiziell haben, dass der „Voltruier Kaffee“ als Lebensmittel verkauft werden darf – allen voran die Altreier Bäuerin Theresia Werth. Lupinen haben in Theresias Familie Tradition. Schon ihr Großvater hat sie angebaut. Er erzählte, dass eine Gruppe von Patern die ersten Samen vom Mittelmeer mitgebracht hatten. Sie kamen damals wohl zur „Sommerfirsche“ nach Altrei.
Der „Tresl“, wie man sie im Dorf nennt, ist es zu verdanken, dass das Saatgut der Altreier Lupinen die letzten 150 Jahre überlebt hat. Der Wohlstand hätte die blaue Blume fast aus der 400-Seelen-Gemeinde vertrieben. 2004 beschloss die „Tresl“ deshalb, eine ganze Saison nur für die Saatgutproduktion zu investieren. Als sie ein Jahr später mit zwei vollen Jutebeuteln zur Vereinsversammlung kam und jedem eine kleine Menge Lupinensamen austeilte, war man ihr dankbar. Heute hält sich jeder Anbauer selbst Saatgut beiseite, um den Fortbestand zu sichern.
Die Lupine, die in Altrei wächst, ist eine europäische Rarität, die es nur auf diesem Fleckchen Erde gibt. „Sie zu erhalten, ist unser Auftrag“, meint Rita und wird plötzlich ganz ernst – und fast schon zornig. Vor einiger Zeit kam der Vorschlag des land- und fortwirtschaftlichen Versuchszentrums Laimburg, jemanden damit zu beauftragen, das 150 Jahre alte Saatgut zu erhalten. Dieses Angebot lehnten die Altreier Lupinen-Bauern ab. „Wir wollen unser altes und gutes Saatgut niemals in andere Hände geben“, sagt Rita, „irgendwann geht es nämlich auch ums Überleben.“ Angst hat sie vor allem davor, dass große Konzerne wie Monsanto nicht nur das Saatgut im kleinen Altreier Dörfchen, sondern in der ganzen Welt übernehmen. Damit würde das Vermehren von eigenem Saatgut unmöglich.
Ein besonderes Recht auf ihren Lupinenanbau haben die Altreier nicht. Versuche, die Altreier Lupine andernorts anzupflanzen, sind aber fehlgeschlagen. „Der Kaffee ist hier daheim und hat sonst einfach Heimweh“, erklärt sich Rita diesen Umstand und holt ein kleines Glas aus ihrer Schurztasche. Darin bewahrt sie die Samen der letzten Ernte auf. Beim Öffnen fällt einer der bohnengroßen Lupinensamen auf den Boden. Schnell sammelt sie ihn wieder auf. „Jeder Kern ist kostbar“, meint sie und streckt mir eine Hand voll entgegen.
Hellbraun und etwas viereckig, aber ohne starken Geruch liegen die Samen in Ritas Händen. „Die hier sind bereits geröstet“, erklärt der Ehemann der Bäuerin. Reiner Amort ist mit zwei anderen Lupinen-Bauern für das Rösten zuständig. Etwa vierzig Minuten dauert es, die Samen bei 150 Grad zu rösten, ehe sie zu Kaffeepulver gemahlen werden. Entweder pur oder mit gerösteter Gerste vermischt, wird das Pulver mit heißem Wasser aufgegossen und zieht für fünf Minuten. Reiner bringt eine volle Kanne frischen „Voltruier Kaffees“ unter das große Stadeldach.
Dicke Regentropfen prallen so laut aufs Dach, dass man die Kuhglocken im Hintergrund kaum mehr hört. Zu viel soll es nach Meinung der Lupinen-Bauern nicht regnen. Vor einigen Jahren haben sie sich durch einen Saatgutzukauf einen Pilz in den Boden geholt. „Dieser aggressive Pilz tötet die Lupine innerhalb weniger Stunden“, erklärt Rita. Chemie hilft da nicht, natürliche Mittel wie Katzenschwanztee hingegen schon. „Oder eben ein warmer Sommer ohne zu viel Regen“, meint Reiner.
Mit 20 Prozent Ernteausfall rechnen die Bauern jedes Jahr. Damit finden sich die Bauern aber gerne ab, denn auf ihre zu hundert Prozent biologischen Lupinenprodukte sind die Altreier stolz. Reiner gießt den frisch gebrauten Kaffee in eine kleine, braune Tasse. „Früher hat man den Kaffee nur in der Pfanne geröstet, deshalb war er meistens verbrannt und hat nicht sehr gut geschmeckt“, erzählt er. Der Lupinen-Kaffee in meiner Tasse riecht köstlich. Ich erkenne Noten von Schokolade und gerösteten Haselnüssen. Der Geschmack erinnert etwas an Nutella. Die Lupine enthält neben einem Eiweißgehalt von bis zu 40 Prozent auch das Vitamin B12. Vegetariern und Veganern mangelt es oft an diesem Vitamin, das vor allem in tierischen Produkten vorkommt.
Rita und Reiner schwören auf ihren Kaffee. Sie versprechen nicht nur ein längeres Leben, sondern auch einen Schlaf wie ein Christkind. „’A Schalele‘ Kaffee und jedes Problem ist behoben“, meint Rita. Magen, Leber und Galle werden von den Bitterstoffen in der Lupine stimuliert. Früher nutzte man diesen Effekt auch, um Verdauungsprobleme der Kühe ohne Tierarzt zu behandeln. Von Eichen über die Wurzeln vom Löwenzahn bis zur Gerste röstete man zu Zeiten von „Tresls“ Großvater so gut wie alles als Kaffeeersatz. „Aber keiner hatte einen wirklichen Kaffee, so einen wie unseren ’Voltruier Kaffee‘“, meint Rita stolz. Neben dem Kaffee machen die Altreier Lupinen-Bauern aus ihren Samen auch Bier, Lupinenschnaps und Schokolade.
Auf der ganzen Welt gibt es an die 300 Lupinenarten, viele davon sind giftig. In Altrei wächst Lupinus pilosus murr, die behaarte Lupine, die nicht giftig ist. „Sie heißt so, weil das Blatt so pelzig ist“, meint Reiner und zeigt mit der Spitze seines Schirms auf die Blätter der Pflanze. Alle fünf Jahre bauen die Amorts hier Lupinen an. Die Wechselwirtschaft garantiert ihnen nährstoffreiche Böden ohne Zusätze von Mist oder anderen Düngemitteln. „Ein wenig Sorgen mache ich mir aber schon, wie es mit unseren Lupinen weitergeht“, meint die Bäuerin. Durch den hohen Zeitaufwand könne die junge Generation auf dem Hof das Handwerk nicht zu ihrem Beruf machen. Stattdessen fahren sie zum Arbeiten in die Stadt. Der Verdienst für eine Landwirtschaft wie diese sei heute zu gering. Wie lange die Tradition so also noch weiter lebt, bleibt offen.
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