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Die Künstlerin und Designerin Sarah Kofler initiierte das Projekt „Made Up“ im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Universität für Design und Künste in Bozen. „Made Up“ untersucht Geschlechterrollen in Südtirol mithilfe traditioneller Trachten als Metapher für eine kulturelle Haltung, die Veränderungen ablehnt. Dabei werden Elemente des Meraner Dirndls in neue Erzählungen übertragen, die subtil und elegant wirken, aber bei genauerer Betrachtung zum Nachdenken anregen.
BARFUSS: Sarah, wie ist die Idee für dein Projekt „Made-up“ entstanden?
Sarah Kofler: Mir war von Anfang an klar, dass mein Bachelor-Projekt sich auf die Geschlechterrollen in Südtirol konzentrieren sollte, insbesondere auf Frauenfeindlichkeit und Sexismus. Übergriffiges Verhalten wird in Südtirol oft bagatellisiert und es scheint, als ob die Bevölkerung sich nicht wirklich damit auseinandersetzen möchte, geschweige denn, sich in dieser Hinsicht zu verändern gedenkt. Das Kleinreden großer gesellschaftlicher Probleme, wie übergriffiges Verhalten und sexualisierte Gewalt, ist für viele, die hier aufwachsen, alltäglich. Viele Südtiroler:innen neigen dazu zu sagen: „Das war schon immer so und wird immer so sein.“ Die Scheu vor Veränderung war also mein Ausgangspunkt fürs Projekt. Die Wahl der Tracht als Medium erschien mir ideal, da sie als traditionelle Kleidung das Festhalten an Altem symbolisiert. Die Tracht sollte niemals verändert werden – mit diesem festen Konzept zu spielen, hat mich besonders gereizt.
In diesem traditionellen Gewand verbergen sich zahlreiche Geschichten und Ideologien.
Du nutzt also die traditionelle Tracht als Medium, um Geschlechterrollen in Südtirol zu untersuchen sowie als Metapher für kulturelle Haltungen. Was hat dich dazu inspiriert?
Dieses Kleidungsstück trägt eine immense Bedeutung in sich. Jede:r Südtiroler:in verbindet aufgrund unterschiedlicher Perspektiven bestimmte Assoziationen mit der Tracht. In diesem traditionellen Gewand verbergen sich zahlreiche Geschichten und Ideologien. Meine intensive Recherche hat ergeben, dass es gezielt entwickelt bzw. instrumentalisiert wurde, um die Gesellschaft in eine bestimmte Richtung zu lenken – auch in Bezug auf Geschlechterrollen. Die Tracht spielte eine entscheidende Rolle bei der Schaffung und Darstellung von Kultur, sie repräsentiert diese auf vielfältige Weise. Sie ist sozusagen ein Politikum. Auch aus der Perspektive des künstlerischen textilen Designs war die Auseinandersetzung mit der Tracht besonders faszinierend, da sie eine Fülle von Details, Stoffen und Mustern aufweist, mit denen man gut arbeiten kann.
Was hast du bei den Trachten künstlerisch verändert?
Ich habe mich dazu entschieden, drei Meraner Dirndl zu verwenden und dabei einzelne Teile und Details zu verändern, die eine bedeutende Rolle im Narrativ der Tracht spielen. Mein Ansatz war es, etwas zu schaffen, das auf den ersten Blick ansprechend aussieht und nicht unbedingt provokant wirkt. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass tiefgreifende Themen behandelt werden. Dies spiegelt wiederum die Tracht wider: Auf den ersten Blick erscheint alles schön und idyllisch, doch erst bei genauerer Betrachtung erkennt man die problematischen Aspekte.
Inwiefern hast du die einzelnen Trachten verändert?
Bei einem Dirndl wollte ich bewusst gegen die typische Ästhetik der Tracht arbeiten. Ursprünglich sollte die Tracht die Frau bedecken und eine zurückhaltende, bescheidene Symbolik vermitteln. Ich habe dies mit den allgemeinen Erwartungen an die Rolle der Frau in Südtirol verknüpft: Stille und Zurückhaltung. Frauen werden oft in ein enges Korsett gesteckt, das von verschiedenen Erwartungen an unsere Rolle in der Gesellschaft geprägt ist. Das Kleid selbst ist durch die enge Schnürung einschränkend, eng und entzieht Freiheit – ähnlich den sozialen Geschlechterrollen. Daher war es mir ein Anliegen, diese erzwungene Stille bei Frauen zu durchbrechen und etwas Lautes schaffen. Mit dem weißen Material, das die Bluse repräsentieren soll, habe ich bewusst ein Element eingeführt, das aus dem Kleidungsstück, den Regeln, der Norm und den sozialen Vorstellungen ausbricht und herauswächst.
Dies sollte metaphorisch darauf hinweisen, dass Frauen in der Gesellschaft nicht dazu bestimmt sind, vorwärts zu gehen, sondern bei jedem Schritt fallen und wieder aufstehen müssen.
Wie bist du weiter vorgegangen?
Bei der Gestaltung der zweiten Tracht habe ich verstärkt mit Ironie und Gegensätzen gearbeitet. Die ursprüngliche Funktion der Schürze bei der Tracht war praktisch, da sie als Alltagskleidung bei der Arbeit getragen wurde. Heutzutage weist sie jedoch eher einen dekorativen Aspekt mit starken Signalen auf – abhängig davon, wo man die Schleife bindet, zeigt man den eigenen Beziehungsstatus: verheiratet, ledig, verwitwet, junges Mädchen, Jungfrau … Mit diesen Etiketten wollte ich auf humorvolle Weise spielen. So habe ich absichtlich übertrieben viele Schleifen an der Hüfte angebracht, um die Stigmatisierung auf ironische Weise zu betonen. Zusätzlich habe ich ein extrem unpraktisches Material für die Schürze verwendet, das sich nicht für den Alltag eignet und viel zu lang ist. Wenn man diese Tracht tatsächlich tragen würde, würde man ständig über die Schürze stolpern. Dies sollte metaphorisch darauf hinweisen, dass Frauen in der Gesellschaft nicht dazu bestimmt sind, vorwärts zu gehen, sondern bei jedem Schritt fallen und wieder aufstehen müssen.
Deine letzte Tracht mit Spitze reflektiert die Theorie der vererbten Traumata nach Gewalterfahrungen. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Bei dieser Tracht habe ich intensiv mit Spitze gearbeitet und mich dabei speziell in die Theorie der vererbten Traumata nach Gewalterfahrungen eingelesen. Mich „faszinierte“ nicht nur die Idee der Vererbung, sondern auch der „stille“ Umgang innerhalb vieler Familien und das Bewahren von Geheimnissen. Gewalt ereignet sich oft im Stillen innerhalb der Familie. Diese Thematik hatte ich im Hinterkopf, als ich nach Trachtenspitzen recherchierte.
Dabei stieß ich auf Überlappungen: Die Muster, die ich in die Spitze eingearbeitet habe, sind größtenteils spezifische Muster, die wie eine Art Familiengeheimnis von Generation zu Generation weitergegeben werden. Ich wollte diese Übertragung von Geheimnissen und auch von Gewalterfahrungen skulptural in mein Projekt integrieren, um etwas Aufsehenerregendes zu schaffen. Daher habe ich versucht, mit Draht die Spitze und die Geheimnisse weiterzuspinnen. Die resultierende Skulptur kann sowohl als Schutz – eine Art Rüstung – verstanden werden als auch als Käfig, der die Freiheit einschränkt. Sie verdeutlicht, wie Geheimnisse einengen können, aber auch ein Gefühl von Schutz und Sicherheit vermitteln.
Warum hast du dich speziell auf das Meraner Dirndl als Trachtentyp konzentriert, und welche Bedeutung hat dieses Kleidungsstück in der Region?
Die Entscheidung für das Meraner Dirndl hat zwei Ursprünge. Einerseits bin ich mit dieser Tracht aufgewachsen und habe sie früher gelegentlich getragen. Andererseits fasziniert mich die Geschichte dieser Tracht besonders, da sie in den 1930er Jahren im Kontext der NS-Ideologie von Pesendorfer neu entwickelt wurde und trotzdem bis heute getragen wird.
Welche Herausforderungen sind dir bei der Umsetzung des Projekts begegnet, besonders in Bezug auf die Auseinandersetzung mit festgelegten kulturellen Normen?
Die Recherche. Ursprünglich war mein persönlicher Unmut gegenüber der Normalisierung von Sexismus in all seinen Formen in Südtirol mein Ausgangspunkt. Leider gab es kaum bis gar keine Studien oder Literatur, auf die ich mich in meiner Arbeit hätte stützen können. Es war äußerst schwierig, eine Sprache für diese kulturellen Normen zu finden. In diesem Kontext erwies sich die Tracht als Metapher als besonders hilfreich.
Für mich dient die Kunst als Sprachrohr für meinen gesellschaftlichen Missmut.
Welche Rolle spielt für dich das Streben nach Gleichberechtigung und Veränderung von Geschlechterrollen in deiner künstlerischen Praxis?
Eine sehr große. Es ist immer faszinierend, mit sozialen Themen zu arbeiten. In den letzten Jahren habe ich in Südtirol gelebt und mich mehrfach über die gesellschaftlichen Normen hier aufgeregt. Es war toll, diese Eindrücke und Gefühle in ein Projekt einfließen zu lassen. Mir ist es wichtig, auf künstlerische Weise Ungerechtigkeiten aufzuzeigen und Veränderungen zu provozieren, Menschen zum Nachdenken anzuregen. Jede:r, der/die sich für Gleichberechtigung einsetzt, muss seinen/ihren eigenen Weg finden. Für mich dient die Kunst als Sprachrohr für meinen gesellschaftlichen Missmut. Je mehr Menschen ihre individuellen Ausdrucksmöglichkeiten finden, desto mehr kann sich verändern.
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