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Oliver Kainz
Veröffentlicht
am 03.10.2014
LebenBarfuss in Rom

Die große Ernüchterung

Veröffentlicht
am 03.10.2014
Warum Südtirols Abgeordnete häufig machtlos sind und was der römische Zentralismus für die Zukunft unserer Autonomie bedeutet. Die Rom-Reportage – Teil 2.
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Francesco Palermo über das Politikerdasein in Rom: „Entweder du hast eine wichtige Position in einer großen Partei oder du bist so gut wie bedeutungslos.”

Die Delegation des Südtiroler Jugendrings schreitet mit großen Erwartungen an der Sicherheitskontrolle vorbei. Die Gruppe ist in den Senat gekommen, um die Parlamentarier Berger und Palermo von der Herabsetzung des aktiven Wahlalters zu überzeugen. Ihr Argument: Wenn Jugendliche bereits mit 16 Jahren wählen dürfen, dann erhalten jugendrelevante Themen mehr Platz in der politischen Diskussion. „Dadurch wird das Gleichgewicht zwischen den Generationen in einer alternden Gesellschaft wiederhergestellt”, so Lukas Nothdurfter vom Jugendring. Die Senatoren hören aufmerksam zu, machen dem Südtiroler Jugendring aber keine falschen Hoffnungen: „Die Umsetzung dieses Vorhabens ist so gut wie unmöglich.“ Die Renzi-Regierung hat andere Prioritäten.

Die Parlamentarier schmettern die meisten Südtiroler Wünsche mit dem Verweis auf die schwierige politische Lage ab. „Entweder du hast eine wichtige Position in einer großen Partei oder du bist so gut wie bedeutungslos“, sagt ein desillusionierter Francesco Palermo. Wollen Südtirols Abgeordnete ein Vorhaben im Parlament durchbringen, müssen sie früh genug den jeweiligen Minister überzeugen und Verbündete im Parlament suchen. Häufig sind sie dabei nur kleine Rädchen in einem schwerfälligen System. Grund allen Übels ist zum einen die hohe Anzahl von 975 Parlamentariern und zum anderen die Tatsache, dass alle Gesetze den Weg durch zwei Kammern überstehen müssen. Premierminister Renzi will im Zuge der Verfassungsreform den Senat verkleinern und entmachten, um den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Doch bis die Reform in trockenen Tüchern ist, bleibt vorerst alles beim Alten.

Palermo urteilt vernichtend: „Kein Parlament arbeitet so viel wie jenes in Rom. Aber kein Parlament arbeitet auch so schlecht wie das italienische Parlament.“ Einige Oppositionspolitiker missbrauchen die Geschäftsordnung des Parlaments, um Gesetze zu verschleppen oder sich für das Fernsehen zu inszenieren. Das Kalkül ist klar. Politiker, die in den Medien präsent sind, werden auch eher wiedergewählt. Mit einem „Intervento fine seduta“ ist die Redezeit in der Aula unbegrenzt. Politiker lesen dann einfach stundenlang aus Büchern vor. Wohlwissend, dass alles für die Katz ist.

„Kein Parlament arbeitet so schlecht wie das italienische Parlament.”

Francesco Palermo, Senator

In Rom spürt man den Atem der Geschichte auf Schritt und Tritt. Kolosseum, Forum Romanum, Pantheon: Wären die Herrscher in der Antike damals bei der Errichtung all der prächtigen Bauwerke nicht so größenwahnsinnig gewesen, dann würden heute wohl kaum Touristenströme über die Stadt herfallen. Und Selfies schießen bis zum Unfallen. Bei 30 Grad und Sonnenschein kann das schon mal anstengend werden. Zur Erfrischung trinken die Touristen das Quellwasser der römischen Brunnen. Andere holen sich zur Abkühlung einen „Gelato”.

Die Warteschlange in der Eisdiele Giolitti reicht bis vor die Eingangstür. Ungeduldige Kinder drücken ihre Nasen gegen die Fensterscheiben, um einen gierigen Blick auf die Eiskugeln zu werfen. Etwas abseits des Gewusels sitzt die SVP-Kammerabgeordnete Renate Gebhard. Sie sticht mit ihrem weißen Kleid und blondem Haar aus der Menge heraus und empfängt mich mit einem warmen Lächeln. Die 37-Jährige ist Politikerin, Mutter und Anwältin. Um all die Aufgaben unter einen Hut zu bekommen, fliegt sie jede Woche am Dienstag nach Rom und am Donnerstagabend wieder zurück nach Südtirol.

Schwer bewacht: Renate Gebhard vor dem Palazzo Montecitorio.

Wenn Gebhard über die politischen Verhältnisse in Rom spricht, bleibt sie realistisch. „Ja, im Zuge der Verfassungsreform Matteo Renzis droht ein verstärkter Zentralismus.” Umso wichtiger seien deshalb der SVP-Pakt mit dem PD und die neu verankerte Schutzklausel. Die Klausel besagt, dass das römische Parlament nicht gegen den Willen Südtirols das Autonomiestatut abändern kann. Der Kammerabgeordnete Florian Kronbichler relativiert: Erstens gelte die Schutzklausel für alle Regionen mit Sonderstatut und sei keine ausschließlich auf Südtirol zugeschnittene Lösung. Zweitens gelte die Klausel nur für den Zeitraum, in dem das Autonomiestatut an die Verfassung angepasst wird. Als Oppositionspolitiker tritt Florian Kronbichler auch gerne mal gegen das Schienbein der SVP, wenn er es für notwendig hält. „Die Volkspartei“, so der Kammerabgeordnete, „verkauft ihre Errungenschaften spektakulärer als sie sind.”

Vor nicht allzu langer Zeit präsentierte die SVP das Mailänder Abkommen als großen Wurf in der Finanzplanung. Doch der Staat brach das Abkommen und schuldet dem Land Südtirol insgesamt 3,2 Milliarden Euro. Die Gerichtsverfahren und Verhandlungen, um das Geld zurück zu erhalten, laufen noch. Aufgrund der finanziellen Kürzungen eine härtere Gangart gegenüber Rom einzuschlagen oder gar ein Referendum wie in Schottland abzuhalten, schließen die Parlamentarier aus. Florian Kronbichler meint: „Wir werden Rom nicht beeindrucken, wenn wir auf den Tisch hauen.” Der SVP-Senator Hans Berger mahnt unterdessen zu mehr Bescheidenheit in der Debatte. „Wir sind verwöhnt. Vielen in Südtirol ist der Wert der Autonomie nicht mehr bewusst” bedauert er.

„Südtirol hat bei vielen Parlamentariern den Ruf des unersättlichen Schlaumeiers.”

Florian Kronbichler, Kammerabgeordneter

Das Ziel der SVP war stets, neue Kompetenzen nach Südtirol zu holen. Dies ist extrem schwierig geworden. Der Neid der anderen Regionen ist groß. Laut Florian Kronbichler haben die Südtiroler bei vielen italienischen Parlamentariern das Image des unersättlichen Schlaumeiers. Der Senator Hans Berger bekommt von den anderen Parlamentariern gar zu hören: „Che cosa volete? Voi avete già tutto!” Die einzige Strategie sei Kompetenzen zu übernehmen und dadurch dem Staat beim Sparen zu helfen. Neue Kompetenzen bedeuten aber auch neue Kosten – und das bei einem schrumpfenden Landeshaushalt. „Dann muss das Land eben Verantwortung übernehmen und Prioritäten setzen” meint Gebhard. Will heißen: Die Nikolaus-Verteilungspolitik des Landes hat endgültig ausgedient. Irgendwo wird es auch Einschnitte geben.

Die Eisdiele Giolitti beginnt sich langsam zu leeren. Die quengelnden Kinder sind verschwunden. Ich breche auf und mache mich auf den Weg zurück nach Südtirol. Der Eisverkäufer winkt zum Abschied. Das politische Rom wird mir als Parallelwelt in Erinnerung bleiben. Eine Welt, die manchmal zäh und schwerfällig wirkt. Aber trotzdem irgendwie funktioniert. Drei Tage waren viel zu kurz, um das Wesen der italienischen Demokratie in seiner Unvollständigkeit zu erfassen. Ich werde wohl wieder kommen müssen.

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