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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 06.02.2018
LebenBis zum Ende der Straße

Der Gast ist Gott

Wenn man mit wenig reist, wird einem viel gegeben. Gastfreundschaft ist mancherorts noch heilig.
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Reich gedeckte Tafel in Serbien

Als die drei Männer bei ihm ankamen, hatte sich Abraham gerade am Eingang seines Zeltes niedergelassen, um wenigstens hier etwas Schutz vor der schweren Mittagshitze zu finden. Der alte Patriarch erkannte schnell, dass die drei Reisenden durstig und hungrig waren. So steht es im Alten Testament.

Doch was nun folgt, erscheint dem spätmodernen Leser als eine einzige Abfolge hysterischer Ausbrüche. Abraham wirft sich vor den Reisenden auf den Boden und ruft zu deren Anführer: „Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei!“ Dann lässt er Wasser holen, damit sich die Reisenden die Füße waschen können, er befiehlt seiner Frau, schleunigst Brotfladen zu backen und lässt eigens ein Kalb schlachten, um den Vorbeiziehenden eine reiche Tafel zu bieten.

Abrahams Verhalten, das hier sehr übertrieben klingen mag, gehörte zu seiner Zeit zu den Selbstverständlichkeiten der Kultur und hatte einen Namen: Gastfreundschaft.

Geschätzte 4.000 Jahre später sieht Kultur anders aus. Zumindest in unseren Breiten. Statt der Gastfreundschaft gibt es eine wohlorganisierte Gastwirtschaft, die gerade auch in Südtirol besonders bunt floriert. Die Deutschen zum Beispiel lieben Südtirol. Und Südtiroler lieben ihr Geld. Haben die Gäste unglücklicherweise nicht so viel Geld, so tauscht man ihr Hotelzimmer mit einem Schlupfloch unter der Brücke, oder man lässt sie lieber gar nicht erst ins Land.

Mit dieser neuen Auffassung von Gastfreundschaft großgeworden, empfand ich es als sensationelles Erlebnis, als ich selbst einer jener Vorbeiziehenden war und von Einheimischen aufgenommen wurde. Man hat sich zwar nicht vor mir auf die Knie geworfen (das wäre auch peinlich gewesen), dennoch war der Geist von Abrahams Gastfreundschaft in jener kurdischen Großfamilie, die ich im türkischen Adana kennenlernte, noch deutlich spürbar. Widerstand war zwecklos während der drei Tage, in denen ich bei ihnen gelebt habe. Ich als Gast musste auf einem Bett in einem eigenen Zimmer schlafen, während die Jüngeren aus der Familie im Wohnzimmer zu fünft auf dem Boden nächtigten. Murat, der älteste Sohn, übersetzte mir während des gemeinsamen Abendessens, was mir die alte Mutter, seit einem Jahr Witwe, unter Tränen und emphatischen Gesten zurief. „You like a brother for me ”, erklärte er grinsend, „so my mother say, you are son for her “.

Murat und sein kleiner Neffe führen einen kurdischen Begrüßungstanz auf.

Die Stadt Adana war ansonsten eher unansehnlich. Kein Tourist außer mir und keine Sehenswürdigkeit. Es war ein lautes, brummendes Gewirr aus Asphalt, Autohupen und 600.000 Einwohnern. Allein wäre ich der Stadt völlig fremd geblieben, und ich wäre baldmöglichst wieder weitergezogen, nach Osten, in den Iran, wo ich eigentlich hinwollte. Es war also ein Glück, sofort auf Murat zu treffen. Er zeigte mir das Ghetto, die Probleme, das Elend, das trotzende Lachen der Kinder, die Schuhfabrik, wo Jugendliche täglich 12 Stunden nähten, und den Stolz der Nachbarn, deren Sohn in Norwegen studierte. Die graue Stadt Adana erhielt ein Gesicht.

Jedes Mal, wenn man von Menschen wie Murat Abschied nimmt, möchte man dann sagen: „Komm nach Europa, nach Südtirol, ich zeig dir auch meine Heimat, mein Haus steht dir offen, wie deines für mich!” – Und manchmal ist man so naiv, dass man es tatsächlich sagt. Doch im Grunde weiß man, dass diese Menschen es sich nie werden leisten können, die Einladung anzunehmen. Auch nach 12 Stunden in der Fabrik nicht. Europa ist zu teuer.

Mit Murat in der Schuhfabrik

Und doch: Hatten wir nicht auch die alten Griechen oder die Römer, bei denen Haus und Hof offenstanden, wenn ein Reisender vorbeizog? Was wurde aus „ksenia “, der Gastfreundschaft, die damals zu den größten Tugenden gehörte? Die Forschung macht heute das Christentum dafür verantwortlich. Seitdem in Europa im Mittelalter die Pilgerströme immer mehr wuchsen, wurde die Zahl an Gästen schier zu groß, um bei Privaten untergebracht zu werden. Außerdem war ein Gast nichts Besonderes mehr, der Gewöhnungseffekt trat ein. Eine Struktur aus Pensionen, Gaststätten und Wirtschaften bildete sich heraus. Gastfreundschaft wurde abgelöst von Gastwirtschaft.

Vielleicht hat es aber auch mit dem Kaliber der Gäste zu tun. Zu Abrahams Zeit konnte man offenbar Persönlichkeiten zu Gast haben, die man sich nicht erwarten würde:

Nach dem Mahl wandte sich einer der drei Gäste schließlich an Abraham und versprach: „In einem Jahr komme ich wieder zu dir, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben.“ Spätestens an diesem Punkt wäre die Gastfreundschaft auch beim großzügigsten Gastgeber zu Ende. Doch der Satz soll nicht etwa bedeuten, dass der Herr mit Abrahams Frau Mittagsschlaf gehalten hat und sich nun über ihn lustig macht; er meint die Prophezeiung ernst. Denn wie sich nun herausstellt, ist der Gast kein gewöhnlicher Mensch, sondern Gott höchstpersönlich. Gott ist laut dem Alten Testament selbst zu Abraham gegangen, um seine Gastfreundschaft zu erfahren.

Dass eines Tages Gott höchstpersönlich an der Tafel mit dabei sitzen könnte, damit rechnet heute wohl niemand mehr. Zumindest nicht unsere Hoteliers; sie rechnen zwar auch, aber mit etwas anderem. All das mag seine guten Gründe haben. Weil Gott inzwischen tot ist, etwa. Oder, weil es in einer globalisierten Welt schlicht zu viele Fremde gibt, als dass man sie noch besonders wertschätzen könnte. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass es immer noch Gegenden gibt, in denen der Gast König ist. Oder Gott.

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