Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Heimo Prünster wuchs zwischen Bozen und Eppan auf. Hier gibt es Wälder, Hügel, Burgen – und Bunker. An den Hangkanten im Überetsch sieht das geübte Auge immer wieder Überreste der modernen Festungen, die zwischen 1939 und 1942 vom italienischen Staat in die Landschaft gesetzt wurden. 67 gibt es allein in dieser Gegend. Wie viele Überetscher und Bozner hat auch Prünster in ihnen einen Teil seiner Kindheit verbracht. Zuerst waren es Mutproben: Wer traut sich weiter hinein? „Als Jugendliche dann schätzte man diese Räume ohne Aufsicht und Kontrolle, feierte Feste und kam dem anderen Geschlecht näher”, erinnert sich Prünster.
Der Historiker Leopold Steurer war Heimo Prünsters Geschichtslehrer. Von ihm erfuhr er als Oberschüler, dass es sich bei den Bunkern nicht um Bauten der Wehrmacht handelte, wie er glaubte, sondern um faschistische Bauten. Sie gehören zum Vallo Alpino del Littorio. Benito Mussolini ließ den Schutzwall heimlich errichten, um Italien gegen Hitler-Deutschland zu verteidigen. Dabei war Adolf Hitler eigentlich sein wichtigster Verbündeter.
Der Vallo Alpino war ein Verteidigungssystem Italiens entlang des gesamten Alpenbogens – gegen Frankreich, Jugoslawien und eben auch Deutschland. Meint man den Abschnitt, der durch Südtirol verläuft, so spricht man vom Alpenwall. Begonnen wurde mit dem Bau in den 1930er-Jahren, in Südtirol 1939, nachdem Hitler Österreich besetzt hatte. Knapp 800 Bunker waren in Südtirol geplant. Rund 320 davon wurden fertiggestellt, 120 blieben unvollendet.
„Die Politik und die Öffentlichkeit scheuen sich vor dem Thema, weil es Gräben aufreißt und Konflikte drohen. Dann heißt es, für Faschistenbauten habt ihr Geld.“
Heimo Prünsters Faszination für die Bunker wurde stärker, als er sie zum Thema seiner Diplomarbeit machte. Prünster studierte Malerei und Architektur an der Akademie der bildenden Künste. Er fand kaum Unterlagen zu den Bunkern und wurde sich bewusst, wie wenig erforscht das Thema war. In der Bevölkerung wird dieses Kapitel in der Südtiroler Geschichte meist gemieden. Vor allem für Menschen älterer Generationen stehen die Bunker für Krieg und Option und für eine Zeit, in der Grund enteignet wurde und italienische Arbeitertrupps ins Land kamen.
„Ich verstehe die Ablehnung“, sagt Prünster. „Die Politik und die Öffentlichkeit scheuen sich vor dem Thema, weil es Gräben aufreißt und Konflikte drohen. Dann heißt es, für Faschistenbauten habt ihr Geld.“ Dabei sei der Bau im Grunde kein faschistischer – kaum ein Staat hätte in so einer Situation anders gehandelt. Prünster wählt seine Worte mit Bedacht. Er will nicht in eine falsche Ecke gestellt werden. Er sei kein Faschist und kein Heimatverräter, nur weil er sich mit den Bunkern beschäftigt.
Mit seiner Meinung zum öffentlichen Umgang mit dem Alpenwall in Südtirol ist er weniger vorsichtig: „Wir kümmern uns um Burgen und Schlösser, aber mit dem Alpenwall können wir uns nicht identifizieren. Dabei ist er Teil unserer Geschichte.“ Mehrmals habe er den zuständigen Landesstellen sein Material angeboten, darunter Ausstellungs- und Buchprojekte sowie Archivfotos. „Das hat niemanden interessiert, auch das Denkmalamt nicht“, erzählt Prünster.
Kritik am fehlenden Interesse übt der Architekt auch an der Entscheidung des Landes, zwanzig Bunker unter Denkmalschutz zu stellen. Zwar handle es sich dabei um besonders schöne und originelle Bunker. „Aber die Auswahl von einzelnen Bunkern, die im ganzen Land verstreut liegen, spiegelt die Auffassung wider, Bunker seien Einzelbauten und nicht Bestandteile von funktionalen Einheiten. Da werde ich ihr raffiniertes Zusammenspiel nie verstehen“, erklärt Prünster. Raffiniert deshalb, weil ein einzelner Bunker allein nahezu „wehrlos“ war. Zu eingeschränkt wäre das Sichtfeld hier – kommt ein Feind von der Seite, ist ihm der Bunker schutzlos ausgeliefert. Erst im Zusammenspiel funktioniert das System. Jeder der Bunker erfüllt dabei eine andere Aufgabe. So gab es etwa Infanterie-, Artillerie-, Mannschafts- oder aber Kommandobunker, von denen aus man die Umgebung ausspähen konnte. Die einzelnen Bauten sind präzise in die Landschaft gesetzt und kommunizierten teils über Infrarotlicht kabellos über hunderte Meter.
Aufgearbeitet ist im Zusammenhang mit den Bunkern nur die Nachkriegsnutzung. Rund ein Drittel von ihnen war bis 1989 in Dienst. Im beginnenden Kalten Krieg hatte man Angst, die Truppen des Warschauer Paktes könnten über Österreich und die Schweiz in Europa eindringen und die Nato geografisch spalten. In Bayern und Südtirol wurden aus diesem Grund Anlagen gebaut, mit denen man das Inntal hätte beschießen können. Vor allem im Pustertal und am Brenner wurden Bunkeranlagen ausgebaut und Nato-Basen errichtet.
„Die Militärarchitektur hat viele interessante Aspekte. Sie ist funktional und schmucklos, der pure Zweck, und immer perfekt in die Landschaft eingebunden“, sagt Heimo Prünster. Seine Bunkerleidenschaft hat ihn bis heute nicht losgelassen. Er arbeitet als Architekt in Wien und Bozen, entwirft Möbel und Inneneinrichtungen und plant Um- und Neubauten. Mit dem Geld, das er dabei verdient, finanziert er seine Bunker-Projekte. So arbeitet er etwa an einem Buchprojekt oder am Umbau eines Bunkers neben der Bozner Haselburg zu einem Veranstaltungsort. Mit seinem „Institut für angewandte Bunkerologie“ betreibt er Aufarbeitung, will kollektives Bewusstsein schaffen und zielt auf die zeitgenössische Erschließung und Interpretation eines brachliegenden Kulturerbes.
Sein Engagement ist nicht immer gern gesehen. Die Gemeinde Natz-Schabs beauftragte Prünster 2012 mit der Ausarbeitung eines Grobkonzepts für eine Dauerausstellung am sogenannten „Schusterbauerbunker“. Über 50 Jahre lang war er verschüttet gewesen. Als er freigelegt wurde, präsentierte sich dem Bunkerologen Prünster ein blitzsauberer und original erhaltener Bunker. „Schabs war dem Thema gegenüber sehr offen. Dann wurde die Gemeinde aber von höherer Stelle angehalten, die Umsetzung des Projekts nicht weiterzuführen, weil es eine Konkurrenz zur – noch immer nicht umgesetzten – Landes-Bunkerausstellung auf der Franzensfeste wäre“, erzählt Prünster.
Rund 150 Bunker hat der Bunkerologe wohl schon von innen gesehen. Die Besuche machten aber nur einen kleinen Teil seiner Arbeit aus. Das meiste sei Archivarbeit. Früher waren die Bunker für ihn geheimnisvoll gewesen, erhaben und beklemmend. Heute weiß er, was ihn erwartet. Gern ist er nicht mehr in ihrem Inneren. „Bunker sind feucht, kalt, stockfinster und absolut still. Wenn man mehrere Stunden darin arbeitet, ist man froh, wenn man wieder raus darf“, sagt er.
Heute wirken Bunker wie aus der Zeit gefallen. Die Bunker des Zweiten Weltkriegs sind die letzte Phase des Festungsbaus – moderne, ausgetüftelte Bauten. Dann kam die Atombombe, und gegen die nützt auch ein Bunker nichts. Heute gebe es praktisch keine permanenten Bunkeranlagen mehr, sagt Prünster. Sie seien bei der Guerillataktik, die heute auch offizielle Armeen anwenden, sinnlos.
Wären die Bunker auf Südtiroler Boden je gebraucht worden, wären die Eingriffe in Natur- und Kulturlandschaft radikal gewesen: Man hätte Wälder abgeholzt und Dörfer geschleift, um freies Schussfeld für die acht Kilometer weit reichenden Geschosse zu haben und um dem Feind keine Deckung zu bieten. Das blieb Südtirol erspart. Die Bunker bleiben als steinernes Mahnmal für das, was auch hierzulande hätte passieren können.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support