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Was unterscheidet Caramaschi von Zanin, was will Dal Medico anders machen als Rösch? Welche Chancen haben die Kandidaten? Hermann Atz rekapituliert im Interview die wichtigsten Hintergründe, die man zur morgigen Stichwahl wissen muss. Als Politologe und wissenschaftlicher Leiter der Forschungseinrichtung Apollis kennt er außerdem die langfristigen Trends der Südtiroler Politik und erklärt, wie diese Gemeindewahlen einzuordnen sind.
Wird es einen Unterschied machen, ob man als Bozner*in bzw. Meraner*in am Sonntag wählen geht oder nicht?
Wenn man ein politischer Mensch ist und sich für die Sache interessiert, dann macht es natürlich einen Unterschied.
Anders gefragt: Wird sich das Bozner und Meraner Stadtleben in den nächsten fünf Jahren spürbar verändern, je nachdem, wer aus der Stichwahl als Sieger hervorgeht?
Das wird es auf jeden Fall. Die Kandidaten, insbesondere die Herausforderer, haben sich einerseits sehr bedeckt gehalten, was sie konkret umsetzen wollen. Es ist bei plakativen Aussagen geblieben, sodass man sich die inhaltlichen Unterschiede nur indirekt erschließen kann. Andererseits gibt es auch Bereiche, wo die Kandidaten in entgegengesetzte Richtungen gehen.
Welche wären das?
In Meran zum Beispiel setzt Rösch auf partizipative Politik, er will die Bürger*innen in Entscheidungsprozesse miteinbeziehen. Vergleichbares hat man von seinem Kontrahenten nicht gehört. Auswirkungen wird das Ergebnis der Stichwahl auch in der Verkehrspolitik haben. Während die Amtsinhaber restriktive Ansätze verfolgt haben, um die Stadt vom Autoverkehr zu befreien, setzen die Mitte-Rechts-Kandidaten sowohl in Bozen als auch in Meran auf eine autofreundlichere Politik.
Und dann sind da die grundsätzlichen ideologischen Unterschiede …
Beide Amtsinhaber stehen für ein liberales, offenes und inklusives Klima. Zumindest bei den unterstützenden Parteien der beiden Gegenkandidaten ist das nicht so. Sie stehen für andere Werte. Das wird sich auf die Frage, wie man mit neuen Mitbürger*innen umgehen soll, zwangsläufig auswirken.
Wie sieht es im Bereich der Sicherheit aus? Da wird gemunkelt, dass sich die Kontrahenten im Endeffekt gar nicht so stark unterscheiden.
Sicherheit ist ein Kampfthema der Rechten, aber sowohl in Bozen als auch in Meran haben die amtierenden Bürgermeister so agiert, dass auch die Herausforderer es nicht viel anders hätten machen können, sofern man sich im Rahmen dessen bewegen will, was rechtlich möglich ist.
Die beiden Herausforderer, insbesondere Zanin in Bozen, geben sich als gemäßigte Mitte-rechts-Vertreter. Ist das angesichts ihres Unterstützerkreises von Rechtsaußen glaubhaft?
Das müssen die Bürger*innen beurteilen. Es gibt da einen gewissen Kontrast zwischen Zanins persönlichem Auftreten und den Parteien, von denen er getragen wird. Es ist auch eine Frage, wieweit er sich von den ihn unterstützenden Parteien emanzipieren könnte. Als totaler politischer Newcomer wird das sicherlich nicht ganz einfach sein.
Viele Wähler*innen misstrauen den Berufspolitiker*innen, während Menschen ohne politische Erfahrung als integrer und bürgernäher wahrgenommen werden.
Ein Merkmal, das alle Kandidaten gemeinsam haben: Sie sind politische Quereinsteiger. Macht es die Kandidaten attraktiver, keine politische Vergangenheit zu haben?
Für dieses Phänomen gibt es zwei Gründe. Zum einen misstrauen viele Wähler*innen tatsächlich den Berufspolitiker*innen, während Menschen ohne politische Erfahrung als integrer und bürgernäher wahrgenommen werden. Zum anderen haben solche Kandidat*innen aus der Zivilgesellschaft den Vorteil, dass sich breitere Bündnisse auf sie einigen können. Wären sie einer bestimmten Partei zuordenbar, wäre es schwieriger, sie den anderen Parteien aus demselben Bündnis schmackhaft zu machen.
Auch Bürgerlisten gehen bei Gemeindewahlen immer häufiger – und erfolgreich – ins Rennen. Setzt sich dieser Trend weiter fort?
Grundsätzlich ja. Dieser Trend geht mit einem Rückzugskampf der SVP einher, die bisher die Bürgermeisterpartei in allen kleineren Gemeinden war und dieses Monopol beibehalten möchte. Im Gegensatz zu früher ist man jetzt aber bereit, unter Umständen auch mit Bürgerlisten Koalitionen einzugehen. Das zeigt, dass man um Bürgerlisten nicht mehr herumkommt.
In Meran fuhr die SVP eine Wahlschlappe ein. Gleichzeitig könnte sie zum ersten Mal einen italienischen Meraner Bürgermeister ermöglichen, indem sich einige SVP-Leute hinter Dal Medico gestellt haben. Was war da los?
Aus der Sicht zumindest einiger SVP-Vertreter steht offenbar nicht so sehr das Ethnische im Vordergrund, sondern das Anliegen, den jetzigen Bürgermeister loszuwerden.
Wie ist dieser Schritt einzuordnen?
Die SVP vertritt nach wie vor die deutschen und ladinischen Bevölkerungsteile, aber das heißt nicht, dass sie nicht auch mit italienischen Parteien kooperiert. Insofern sehe ich da keinen Tabubruch.
Es gab von anderen SVP-Vertretern trotzdem harte Kritik.
Die Kritik hat zwei verschiedene Stoßrichtungen. Es gibt die einen, die aus volkstums- und autonomiepolitischer Sicht argumentieren, dass die Unterstützung italienischer nationalistischer Gruppierungen einen Tabubruch darstelle, und die anderen, die die christlich-sozialen Grundwerte der SVP verraten sehen.
Der Bedeutungsverlust ethnischer Zugehörigkeiten geht vor allem zugunsten rationaler oder gar opportunistischer Überlegungen.
Wie ist das bei den Wähler*innen? Treffen Südtiroler*innen ihre Wahl heute weniger nach ethnischen Kriterien als früher?
Ja, man kann sagen, dass das ethnische Lagerdenken bröckelt, sowohl auf Parteiebene als auch bei den Wähler*innen.
Nach welchen Motiven wird sonst noch gewählt?
Ich habe den Eindruck, dass der Bedeutungsverlust ethnischer Zugehörigkeiten vor allem zugunsten rationaler oder gar opportunistischer Überlegungen geht: Von wem kann ich mir am ehesten eine Steuersenkung erwarten? Oder eine Senkung des Pensionsalters? Auch linke oder rechte Grundwerte wie Offenheit und Toleranz versus Nationalismus und Ausgrenzung spielen eine Rolle, sind aber für die Mehrheit wohl nicht ausschlaggebend.
Wie wählen junge Menschen bei dieser Stichwahl?
Bei jüngeren Menschen muss man sich eher die Frage stellen, ob sie überhaupt wählen gehen. Vor allem bei Gemeindewahlen ist die Beteiligung der Jungen niedrig, teils aus Desinteresse, teils, weil viele gar nicht vor Ort sind. Ansonsten ist bei jungen Menschen eine Polarisierung festzustellen: die einen gehen in Richtung grün-alternativ-links, die anderen in Richtung nationalistisch-patriotisch-rechts.
Bozen und Meran haben eine alternde Bevölkerung, fast ein Viertel der Einwohner ist 65 und älter. Wie erreicht man diese Menschen in einem Wahlkampf? Oder wird da einfach aus Gewohnheit gewählt?
Das ist ein Charakteristikum älterer Menschen, dass sie nach Gewohnheit, Tradition und Überzeugung wählen. Die Wahlbeteiligung ist in dieser Altersschicht aber auch höher. Schwierig wird es, wenn man ihnen etwas Neues nahebringen will. Insofern lohnen sich strategische Wahlempfehlungen und Wahlkampfmühen hier weniger.
Mit welchen Chancen dürfen die beiden Herausforderer in Bozen und Meran rechnen?
Die besseren Chancen liegen bei den beiden Amtsinhabern, in Meran übrigens noch stärker als in Bozen. Es ist aber alles offen. „Bessere Chancen“ bedeutet, dass die weniger wahrscheinliche Variante auch möglich ist.
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