Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Fakt ist: Es gibt Frauen, die diesen Beruf freiwillig und selbstbestimmt ausüben, die gut davon leben und jederzeit einen anderen Beruf ausüben können. Fakt ist auch: Es gibt Frauen, die dazu gezwungen werden, sei es aus finanziellen Gründen oder weil sie keine Chance auf eine andere Arbeit haben und sexuell ausgebeutet werden. Ob in feministischen Debatten oder in der gesetzgebenden Gewalt: Schon lange wird darüber diskutiert, ob eine stärkere Regulierung oder eine Liberalisierung von Sexarbeit der bessere Weg ist.
Das Europäische Parlament sprach sich vor kurzem für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten „Nordischen Modell“ aus und forderte einheitliche Regeln für Prostitution in den Mitgliedsstaaten. Ein solches Modell gilt aktuell zum Beispiel in Schweden – und das bereits seit 1999. Dort werden nicht die Sexarbeiter:innen bestraft, sondern die Menschen, die für die Dienste bezahlen. Zudem sollen Ausstiegsprogramme geschaffen werden.
Sowohl die Befürworter:innen des Nordischen Modells als auch die der legalisierten Sexarbeit verfolgen dasselbe Ziel: Beide Parteien wollen die Menschen vor Gewalt, Ausbeutung, Diskriminierung und Stigmatisierung schützen. Ihre Positionen könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Wie argumentieren beide Parteien? Wie ist die Situation in Italien und in Südtirol? Und was sagt eine Sozialarbeiterin, die seit Jahren auf Bozens Straßen gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung vorgeht, zu den Forderungen des EU-Parlaments?
Straffrei, aber nicht geregelt
Bisher gibt es in den europäischen Ländern zwei vorherrschende Modelle, die grob in „Abschaffung“ und „Legalisierung“ unterteilt werden können. Neben Schweden haben sich auch Norwegen, Finnland, Frankreich, Island und Irland dem Abschaffungsmodell angeschlossen. Länder wie Österreich, Deutschland und die Niederlande fallen in das Legalisierungsmodell. Laut Parlamentsbericht fördern die bisher unterschiedlichen Regelungen in den EU-Mitgliedsstaaten den Menschenhandel. In Südtirol ist Sexarbeit, wie in ganz Italien, zwar straffrei, jedoch sind Einrichtungen wie Bordelle und Zuhälterei verboten. Es gibt also keine „geregelte Prostitution“.
Wer sexuelle Diensleistungen in Anspruch nimmt, “kauft” sich die Dienstleistung und nicht die Menschen, die diese Dienstleistung anbieten. Man(n) kauft sich keine Frau und keinen Mann. Das geht auch rechtlich (zum Glück!) nicht. #Sexarbeit”
@sexworkpol, TwitterGegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Italien die sogenannten „Häuser der Toleranz“ eingeführt. Diese ermöglichten es Sexarbeiter:innen, sich mit ihren Kunden in einer Wohnung zu treffen, die gleichzeitig als „Geschäftsraum“ diente. Das änderte sich mit dem Merlin-Gesetz im Jahr 1958: „Abschaffung der Regulierung der Prostitution und Bekämpfung der Ausbeutung der Prostitution anderer“. Der Staat schaffte nicht nur die „Häuser der Toleranz“ ab, auch jede dritte Partei, die weder Sexarbeiter:in noch Kunde ist, aber finanziell von der Dienstleistung profitiert, kann strafrechtlich verfolgt werden.
Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, war das Ziel, den Menschenhandel und die sexuelle Ausbeutung im Land zu unterbinden. Jedoch kritisieren einige Gruppen, bestehend aus Sexwork-Aktivist:innen sowie liberalen Feminist:innen, die aktuelle Gesetzgebung. Sie klagen an, dass Sexarbeiter:innen, seitdem die „geschlossenen Häuser“ abgeschafft wurden, gezwungen sind, auf der Straße zu arbeiten. Außerdem bedeutet das Gesetz auch, dass es schwieriger wird, eine Wohnung zu bekommen. Beispielsweise könnte ein Vermieter, der eine Wohnung an eine Sexarbeiterin vermietet und von ihrer Tätigkeit weiß, zu einer mehrjährigen Haft verurteilt werden. Denn er profitiert als Dritter davon.
Doch es hilft diesen Menschen nicht, wenn Sexarbeit kriminalisiert und stigmatisiert wird. Wenn zum Beispiel Sexarbeit als „bezahlte Vergewaltigung“ bezeichnet wird, kann es nach dieser Logik keine Vergewaltigung innerhalb der Sexarbeit geben. Das ist extrem gefährlich, denn diese Gewalt passiert ja durchaus.
der_hase_im_pfeffer, Queerfeministischer AccountSexwork is work?
Eine in den sozialen Netzwerken und dort in feministischen Kreisen bekannte Aktivistin ist „6arbeiterin_“. Wer sich hinter dem Instagram-Profil mit über 13.000 Follower:innen verbirgt, ist nicht bekannt. Aus der Biografie geht lediglich hervor, dass die wahrscheinlich selbst als Sexarbeiterin tätige Frau in Hamburg lebt, also in Deutschland, einem Land, wo Sexkauf nach dem Gesetz legal ist. In ihrem Profil finden sich bunte Infografiken rund um das Thema Sexarbeit. In einem der Beiträge geht es auch um das Nordische Modell und ähnliche Modelle, die den Sexkauf verbieten wollen. Unter dem Beitrag steht: „Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Personen noch immer an diesem schädlichen Modell festhalten. (…) Es gibt keine einheitlichen Nachweise dafür, dass das Nordische Modell die Zahlen von Menschenhandel verringern. Stattdessen häufen sich andere, negative Folgen, die durchaus klar belegt sind.“ Als eine Folge nennt sie „Polizeigewalt“: damit sind willkürliche Verhaftungen, Abschiebungen oder auch körperliche Gewalt von Seiten der Exekutive gemeint. Als weitere Folgen listet sie auch „Freiergewalt“. Und begründet dies damit, dass unter einem Verbotsmodell, die Überprüfung der Freier bei deren Auswahl gehetzt ablaufen würde. Denn diese würden sich dann strafbar machen und es wäre mit Polizeieinsatz zu rechnen. Aber sie warnt auch vor Stigmatisierung und Isolation, denn laut den von ihr angeführten Studien würde das Nordische Modell die Abwertung von Sexarbeit begünstigen.
Zu behaupten, es könne keinen Konsens in der Sexarbeit geben und jeglicher Sex sei eine Vergewaltigung, relativiert tatsächliche Übergriffe. Es suggeriert außerdem, dass wir als Sexarbeiter:innen nicht in der Lage seien, zwischen konsensuellen und unkonsensuellen Interaktionen zu unterscheiden.
6arbeiterin_Aber es gibt auch laute Befürworter:innen des Nordischen Modells und des Verbots von Sexkauf. Eine davon ist Huschke Mau, ehemalige Prostituierte und Autorin. In ihrem Buch, im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken spricht sie über ihre Erfahrungen mit Freiern und der Gewalt, die sie erfahren hat. Den Begriff „Sexarbeit“ lehnt sie ab: „Wäre es ein Beruf wie jeder andere, dann würde man Prostitution auch am Arbeitsamt anbieten“. Neben Statistiken zur Prostitution und Begriffserklärungen finden sich auch Instagram-Beiträge mit Zitaten: „Ein Freier ist ein Mann, der nicht sagen kann, ob der Sex, den er hatte, von der Frau gewollt und gewünscht war. Welchen Männern ist das nochmal egal, ob die Frau den Sex auch will? Ach ja, Vergewaltigern.“ Den Vorwurf, dass es unter dem Nordischen Modell gefährlicher für die Frauen werden würde, entkräftet sie damit, dass es keine Zahlen dazu gebe, dass die Gewalttaten in Schweden oder Norwegen zunehmen würden: „Im Gegenteil. In Schweden gehst du als männlicher Freier mit dem Bewusstsein zu einer Prostituierten, dass diese nur einen Anruf bei der Polizei machen muss (…) und die Polizei kommt und der Frau passiert überhaupt nichts (…) Wirst du irgendwas mit dieser schwedischen Frau tun, was sie verärgert?“, fragte sie im August in einem feministischen Podcast das Publikum. Tatsächlich geht eine Studie von M. Farley aus dem Jahr 2004 davon aus, dass nur zehn Prozent aller Frauen wirklich freiwillig Sexdienste anbieten.
Ich persönlich habe keine einzige Prostituierte kennengelernt, die keine sexuelle Gewaltgeschichte hat.
huschkemau, Ex-ProstituierteGegen Menschenhandel
Sie hilft Menschen, die sexuell ausgebeutet werden: Gina Quiroz vom Kontaktteam „Alba“ des Gruppo Volontarius. Seit nun acht Jahren ist sie beim Anti-Menschenhandelsprojekt für Trentino-Südtirol für den „Emergenzbereich“ in Südtirol zuständig. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet die Sozialarbeiterin hauptsächlich auf der Straße, „meist im Bozner Bahnhofsviertel“, wie sie erzählt. Ihre Mitarbeiterinnen durchsuchen aber auch regelmäßig das Internet auf Kontaktanzeigen und treffen die Menschen auch in Wohnungen. Auf die Frage, wie sie die Forderung des Europäischen Parlaments und das Nordische Modell finde, antwortet Quiroz so: „Wir als Projekt haben nie wirklich eine umfassende Diskussion über diese Modelle geführt. Es gibt sicher Vor- und Nachteile. Wir versuchen uns eher auf Verbrechen versus Nicht-Verbrechen zu konzentrieren.“ Dabei berufe man sich auf das Palermo-Protokoll vom Jahr 2000. Menschenhandel wird dort als eine „Rekrutierung durch Nötigung zum Zweck aus Ausbeutung“ definiert, so steht es im Artikel 3. Neben Zwangsarbeit, Sklaverei und Organhandel wird darin auch Prostitution aufgelistet. Die Straßenprostitution in Südtirol konzentriert sich auf die Landeshauptstadt. In den anderen größeren Städten wie Meran, Brixen und Bruneck gibt es dieses Phänomen nicht, obwohl ihr Auftrag landesweit ist, erklärt Quiroz. In einer Nacht treffen sie in Bozen etwa 20-30 Personen an, vorwiegend Frauen. Davon ein kleiner Prozentsatz trans Frauen, aber auch zwei Männer. „Unsere Arbeit besteht darin, Vertrauen und eine Beziehung zu den Personen aufzubauen. Wir interagieren mit den Menschen und versuchen in ihr Leben einzutauchen, insofern das möglich ist und die Person das auch will.“ Quiroz betont auch, dass es dabei nicht darum ginge, die Personen zu überwachen. Die meisten Personen kommen aus Osteuropa, aber es gebe auch einige Nigerianer:innen und Südamerikaner:innen. Ein anderes Phänomen in Südtirol ist die Indoor-Prostitution. Diese gibt es auch in den anderen Städten des Landes. Quiroz verweist auf zwei Schwerpunkte: Sexkauf über Online-Kontaktanzeigen oder aber in chinesischen Massagestudios. Bei den Studios gebe es sogar ein doppeltes Potenzial für Ausbeutung, erklärt Quiroz. Zum einen sexuelle, aber auch Arbeitsausbeutung: „Oft arbeiten die Frauen in diesen chinesischen Salons von morgens acht Uhr bis Mitternacht und sind dort quasi eingeschlossen.“
Es kam vor, dass ich geweint habe. Und wir erwarten doch eigentlich von einem Mann, dass er dann sagt: „Die will das nicht, ich breche ab.“ Aber der Spruch, der dann kam, war: Bezahlt ist bezahlt.
huschkemauNach der Kontaktaufnahme mit den Personen muss das Alba-Team versuchen, aufgrund einiger Indikatoren herauszufinden, wie die Situation ist und ob es Hinweise auf Menschenhandel gibt. “Wir versuchen beispielsweise zu erkennen, ob eine Person die Arbeitszeiten und die Arbeitsweise selbst wählen sowie ihr Geld allein verwalten kann.“ Zum Einkommen der betroffenen Personen in Südtirol gibt es keine genauen Daten. Laut Quiroz wurde in der Vergangenheit berichtet, dass die Preise für sexuelle Dienstleistungen zwischen 50 und 70 Euro und bei der Indoor-Prostitution meist zwischen 100 und 150 Euro pro Dienstleistung liegen. „Oft haben die Personen finanzielle Verpflichtungen, die sie erfüllen müssen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie langfristig aus der Prostitution aussteigen können. Dies erfordert Unterstützung, Schulung und gezielte Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Integration“, sagt Quiroz. Ein Punkt, der ihr besonders wichtig ist und den sie immer wieder betont: „Menschen in der Prostitution werden oft stigmatisiert und diskriminiert. Wir müssen ihnen mit Würde und Respekt begegnen.“
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support