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Miriam Roschatt
Veröffentlicht
am 17.05.2017
LebenDepression

Das einsame Leiden

Veröffentlicht
am 17.05.2017
Depression ist eine weit verbreitete Volkskrankheit, trotzdem wird kaum darüber gesprochen. Jetzt bricht eine Betroffene ihr Schweigen, um der Erkrankung eine Stimme zu geben.
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„Es ist nicht wichtig, wie ich heiße und wie ich aussehe. Ich möchte die Krankheit in den Vordergrund stellen“, sagt Lara. Die junge Frau heißt in Wirklichkeit anders. Sie möchte anonym bleiben. Mit 17 erkrankte sie an starken Depressionen. Das ist jetzt zwei Jahre her. Heute sitzt sie lächelnd in einem Café in Eppan. Dass Lara vor Kurzem noch sehr krank war, sieht man ihr nicht an. Sie bestellt einen Cappuccino, zieht an ihrer Zigarette und senkt den Kopf.

Die Depression kam schleichend. „Am Anfang habe ich die Krankheit nicht so richtig wahrgenommen“, erzählt sie. Monate voller Antriebslosigkeit, Einsamkeit und Scham folgten. Die meiste Zeit verbrachte Lara in gedrückter Stimmung und mit negativen Gedanken in ihrem Bett – dort, wo sich auch ihre innere Leere breit machte. Im Schlaf flüchtete sie vor der Realität und den Menschen. Ein Treffen mit Freunden? Lara wollte für niemanden mehr erreichbar sein. Ihr Umfeld sorgte sich zunehmend. Schließlich konfrontierten Familie und Freunde das Mädchen mit ihren Fragen: Was ist los mit dir? Was hast du heute schon wieder? Warum geht es dir nicht gut? Eine Antwort darauf konnte Lara nicht geben. Niemand konnte sie verstehen. Am allerwenigsten sie selbst.

Bei Lara machte sich eine innere Leere breit.

„Die Krankheit betrifft den Kern des eigenen Ichs“

Depressive Menschen finden schwer Worte für das, was in ihnen vorgeht. „Die Krankheit betrifft den Kern des eigenen Ichs“, betont Renate Ausserbrunner, Vizepräsidentin des Verbandes Ariadne, der seinen Sitz in Bozen hat. Außenstehende mit ihrem klaren, distanzierten Blick würden die Krankheit daher auch eher erkennen. Der Verband Ariadne richtet sich nicht nur an Betroffene, sondern auch an Angehörige und Freunde psychisch Kranker. Einmal im Monat findet in Meran ein trialogisches Treffen statt – ein gemeinsames Treffen von Menschen mit psychischen Problemen, Angehörigen und ärztlichem Fachpersonal. Sie tauschen Erfahrungen aus und zeigen so: Über psychische Erkrankungen darf gesprochen werden. Auch der Verein Lichtung/Girasole mit Sitz in Bruneck fördert die Betreuung und Selbsthilfe psychisch kranker Menschen. Neben den Mitgliedern des Vereins und den Angestellten kümmern sich auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Betroffenen.

Renate Ausserhofer

In Südtirol leiden rund 25.000 Menschen an Depressionen, das sind fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Darunter auch Kinder. In Österreich sind Studien zufolge 400.000 Menschen von der Krankheit betroffen, weltweit sind es schätzungsweise 350 Millionen Menschen. „Viele leiden an Depressionen und wissen es gar nicht“, betont Doktor Helmut Zingerle, Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart in Rodeneck. Die Zahl der betroffenen Südtiroler schätzt er demnach noch höher ein. „Häufig rufen Faktoren wie schwerwiegende Verluste, familiäre Schwierigkeiten oder genetische Dispositive eine Depression hervor“, erklärt er. Allerdings ließe sich die Erkrankung nicht immer auf einen bestimmten Auslöser zurückführen. „Und dieses Nicht-Wissen-warum, das wirkt auf viele Menschen unheimlich und verunsichert sie“, betont er. Auch Lara weiß nicht so genau, warum sie an Depressionen erkrankte. Heute zählt die junge Frau ihr mangelndes Selbstbewusstsein und die vielen Selbstzweifel, die sie täglich quälten, zu möglichen Faktoren. „Vielleicht waren es aber auch die vielen Überstunden in der Arbeit.“ Lara kann nur vermuten.

Im Gegensatz dazu sind die Symptome der Krankheit eindeutig bestimmbar. Dazu zählen meist eine scheinbar unbegründete Traurigkeit, eine allgemeine Antriebslosigkeit und Befindensstörungen wie Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und Schlafstörungen. Halten die Symptome über einen längeren Zeitraum an oder treten immer wieder phasenweise auf, leidet der Betroffene an einer Depression. Diese krankhafte Verstimmung und Niedergeschlagenheit kann zu tragischen, oft unvorhersehbaren Reaktionen führen. Dazu gehört auch der Selbstmord. Nach Schätzungen nimmt sich weltweit alle 40 Sekunden ein Mensch das Leben. Deshalb sind Selbstmordankündigungen – auch wenn sie nur „nebenbei“ geäußert werden – in jedem Fall ernst zu nehmen.

„Das Wichtigste ist, nicht stehen zu bleiben, sonst geht dein Leben ohne dich weiter“

Helmut Zingerle

Nach einem ausgiebigen Gespräch mit ihren Eltern entschied sich Lara für eine Therapie im Therapiezentrum Bad Bachgart. Hier werden Menschen unterstützt, die mit Abhängigkeiten, Suchtverhalten oder psychisch-psychosomatischen Störungen zu kämpfen haben. Das Zentrum liegt abseits von Straße und Dorf mitten im Wald. Einen Monat lang war Lara hier Patientin, musste sich gleich nach ihrer Ankunft von ihrem Handy trennen und war nur zu festgesetzten Zeiten über das Heimtelefon erreichbar. Lara störte sich nicht daran. Im Gegenteil. „Die Entfernung von zu Hause, von Familie und Freunden hat mir gut getan“, sagt sie. Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft fühlte sich die junge Frau zum ersten Mal ernst genommen. Einzelgespräche mit Psychologen, Gruppendialoge und kreative Therapieformen wie das Reiten sind im Heim an der Tagesordnung. Laras Alltag war genau geplant. Die Bewegungen in der Tanztherapie wirkten befreiend und halfen ihr, sich der Gruppe zu öffnen. In der Malwerkstatt fertigte sie kleine Kunstwerke an. Und langsam nahm auch ihre Depression Form und Gestalt an. Die Krankheit wurde greifbarer. „Ich war nicht mehr meiner eigenen Langeweile ausgeliefert und lernte, meine freie Zeit zu gestalten.“ Die Erkenntnis, dass auch andere Menschen im Therapiezentrum gegen die Krankheit ankämpften, gab ihr Mut. Mit einigen verbindet Lara heute noch eine tiefe Freundschaft. „Und das Schöne ist, dass es ihnen seit Bad Bachgart gut geht“, sagt sie.

„So ein Rückfall hat auch seine guten Seiten: Er hat mir gezeigt, dass ich nie mehr zurück möchte, zurück in diesen Teufelskreis.“

Lara hat die Depression hinter sich gelassen. Momentan schreibt sie an ihrer Maturaarbeit. „Es geht darin um Kunst und Psychologie“, verrät sie. Nach dem Abschluss will sie raus aus Südtirol und nach Deutschland, „wo man mal niemanden kennt.“ Sie ist optimistisch, wenn sie an ihre Zukunft denkt. „Das Wichtigste ist, nicht stehen zu bleiben, sonst geht dein Leben ohne dich weiter“, sagt sie.

Einen einzigen Rückfall hatte sie seit ihrem Aufenthalt in Bad Bachgart. Der trieb sie an, weiterzukämpfen: „So ein Rückfall hat auch seine guten Seiten: Er hat mir gezeigt, dass ich nie mehr zurück möchte, zurück in diesen Teufelskreis.“

Depression und Suizid sind eng miteinander verbunden. Eine gezielte Therapie kann bei Suizidgedanken eine große Hilfe sein. Jemandem eine Therapie vorzuschlagen, mit ihm einen Psychologen oder Therapeuten zu suchen und einen Termin zu vereinbaren, kann bereits viel bewirken. Falls du eine Person kennst, von der du weißt, dass sie Suizidgedanken hegt: Zögere nicht, sie darauf anzusprechen, zu fragen wie es ihr geht und was du tun kannst. Hilfe und Unterstützung gibt es – auch für dich, wenn dir dein Leben nicht mehr sinnvoll erscheint – rund um die Uhr unter der Grünen Nummer der Caritas. Ansonsten kannst du dich an deinen Hausarzt, die Erste Hilfe oder den Psychiatrischen Dienst deines Krankenhauses wenden.

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