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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 04.04.2024
LebenInterview zur Neuen Autorität

Beziehungsarbeit statt Machtausübung

Veröffentlicht
am 04.04.2024
Die Bindung zwischen Eltern und Kindern zu stärken, ohne auf Strafen oder Belohnungen zurückzugreifen: Psychologin Kathrin Schneider über die Vorteile eines Erziehungskonzepts fernab von Zuckerbrot und Peitsche.
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Mit einem scharfen Knall prallt die Tür des Klassenzimmers gegen die Wand. Ein Schüler stürmt heraus, gefolgt von einer wütenden Lehrperson, die vergeblich versucht, die Situation zu beruhigen. Konflikte wie diese sind an Schulen, aber auch in Familien keine Seltenheit und stellen Lehrpersonen, Eltern und Schüler:innen gleichermaßen vor Herausforderungen. Doch was, wenn es einen anderen Weg gäbe, mit solchen Situationen umzugehen? Die Neue Autorität könnte hierbei eine Antwort bieten.
Kathrin Schneider arbeitet als Psychologin und ist Teil des Netzwerks „Neue Autorität Tirol“ in Österreich. Als Coach für Neue Autorität arbeitet Kathrin Schneider sowohl mit Eltern in herausfordernden Erziehungssituationen als auch mit Schulen und Unternehmen zusammen. BARFUSS hat sich mit der Expertin getroffen, um das Erziehungskonzept genauer unter die Lupe zu nehmen.

Psychologin Kathrin Schneider

BARFUSS:Frau Schneider, woher kommt das Konzept der Neuen Autorität?
Kathrin Schneider:
Das Konzept der Neuen Autorität entstand Ende der 1990er-Jahre in Israel. Der israelische Psychologe Haim Omer stellte sich die Frage, was in Familien geschieht, in denen Kinder gegenüber ihren Eltern gewalttätig sind. Während seiner Forschung erkannte er, dass sich die Eltern oftmals in einer extremen Ohnmachtssituation befanden und viel von ihrer „Präsenz“ eingebüßt hatten. Elterliche Präsenz ist allerdings der zentrale Faktor in der Erziehung und kann auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht werden: emotionale Verfügbarkeit, körperliche Anwesenheit und Interesse am Leben des Kindes. Aufgrund dieser Erkenntnisse entwickelte er das Konzept der „Non-Violent Resistance“, das sich darauf konzentriert, wie Eltern gewaltfrei gegen schädliches Verhalten ihrer Kinder, wie Gewalt, Drogenkonsum und Kriminalität, vorgehen können. Im Laufe der Zeit hat sich dieses Konzept weiterentwickelt und daraus entstand die „Neue Autorität“.

Inwiefern unterscheidet sich die Neue Autorität von traditionellen Erziehungsmethoden?
Die Neue Autorität stellt sich klar gegen die traditionellen Erziehungsmuster, die häufig auf einem älteren Autoritätsverständnis basieren. Diese sind häufig durch Gehorsam, Strenge und Disziplin geprägt und setzen unmittelbare Bestrafung als Mittel zur Erziehung ein. Das Besondere an der Neuen Autorität ist der starke Fokus auf die Beziehungsgestaltung. Es wird primär darauf abgezielt, die Bindung zwischen Eltern und Kindern zu stärken, ohne auf Strafen oder Belohnungen zurückzugreifen. Forschungen aus der Psychologie zeigen, dass solche Maßnahmen keinen langfristigen Erfolg haben und die innere Motivation zur Verhaltensänderung nicht nachhaltig beeinflussen. Die Neue Autorität fordert Eltern auf, ihre eigenen Emotionen zu beachten und Selbstkontrolle auszuüben, um Eskalationen und Streitigkeiten in der Familie zu vermeiden. Daher setzt diese Methode auf ein gewaltfreies Konzept und sensibilisiert Eltern und Führungskräfte für ihre Machtposition, mit dem Ziel, diese nicht missbräuchlich zu nutzen.

Die Neue Autorität ist also keine völlig neue Idee, sondern eine Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen, die uns helfen können, uns in der Familie weiterzuentwickeln.

Kathrin Schneider

Warum ist das Konzept der Neuen Autorität in unserer heutigen Gesellschaft notwendig?
Zum einen hat sich unser Verständnis von Autorität grundlegend verändert. Dies zeigt sich beispielsweise in der Schule. Die Lehrperson wird nicht mehr automatisch als die absolute Autoritätsperson angesehen, wie es früher bei Lehrer:innen, Pfarrern oder Vätern der Fall war. Diese patriarchalisch geprägten Strukturen existieren zwar immer noch, aber wir streben nicht mehr danach, sie zu zeigen, da sie nicht mehr angemessen sind. Diese Veränderung hat historische Gründe, insbesondere durch den Zweiten Weltkrieg, der uns von autoritären Strukturen abgebracht hat. Es gab dann die anti-autoritäre Erziehung, die jedoch auch nicht immer förderlich für Kinder war. Dadurch waren viele Eltern verunsichert und wussten nicht mehr, wie sie handeln sollten. Sie fragten sich, ob die totale Mitbestimmung eine gute Lösung ist. Die Neue Autorität füllt hier eine Lücke aus.

Erfordern die Herausforderungen und Dynamiken in der heutigen Welt eine „neue“ Form der Erziehung?
Und wie. Das zeigt sich bereits bei der Veränderung der Familie selbst. Wir leben heutzutage oft in Kleinfamilien oder alleinerziehend ohne die Unterstützung von Großeltern oder Mehrgenerationenhaushalten. Dadurch haben Eltern weniger Unterstützung und stehen unter größerem organisatorischem Druck, insbesondere wenn beide Elternteile berufstätig sind. Einige Familien leben sogar weit entfernt voneinander, was die Situation zusätzlich erschwert. Die Neue Autorität setzt hier an und betrachtet die familiären Netzwerke genau. Es gibt diesen Spruch: „Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf“. Die Neue Autorität strebt danach, dieses Prinzip durch Beziehungsarbeit auf vielen Ebenen wiederzubeleben. Sie betont auch die Bedeutung der Verbindung zwischen Eltern und Schule und versucht, Konflikte zu lösen, die oft zwischen ihnen entstehen. Die Neue Autorität ist also keine völlig neue Idee, sondern eine Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen, die uns helfen können, uns in der Familie weiterzuentwickeln.

Für welche Zielgruppen oder Personen ist die Neue Autorität besonders relevant und warum?
In erster Linie konzentriert sich die Arbeit mit der Neuen Autorität auf Elternarbeit, was eine grundlegende Basisarbeit ist. Des Weiteren unterstützen wir vom „Netzwerk Neue Autorität“ Eltern in schwierigen Erziehungssituationen, indem wir eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammenarbeiten. In solchen Fällen sind die Eltern oft bei uns in Begleitung – wir haben Zugang zu einem breiten professionellen Netzwerk, das auch die Kinder- und Jugendhilfe, Kinder-Wohngemeinschaften und Schulen umfasst. Die Zusammenarbeit in einem solchen Team ist entscheidend. In Schulen ermöglicht das Konzept eine positive Herangehensweise im Umgang mit Eltern, wenn es Probleme gibt. Die Neue Autorität ist aber nicht nur im sozialen Bereich weit verbreitet, sondern auch in anderen Kontexten wie der Arbeitswelt, beispielsweise in der Unternehmensführung.

Es besteht oft eine Lücke zwischen dem, wie Eltern ihre Kinder in der Schule sehen, und dem, wie Lehrkräfte die Situation wahrnehmen.

Kathrin Schneider

Wie greift das Konzept beispielsweise, wenn es in der Schule einen Schüler gibt, der durch störendes Verhalten auffällt?         
Die Neue Autorität setzt bereits vor dem geschilderten Szenario an, indem die gesamte Schule und alle Lehrer:innen mit diesem Konzept präventiv vertraut gemacht werden. Das erste Ziel besteht darin, als Schulteam eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, die sich von der Bestrafungsmentalität und dem isolierten Verantwortungsgefühl einzelner Lehrkräfte abwendet. Es geht darum, „schwierige“ Schüler:innen als Angelegenheit der gesamten Schule zu betrachten.
Wenn in einer Klasse eine herausfordernde Situation auftritt, können Kolleg:innen hinzugezogen werden, um die Erwachsenenpräsenz zu erhöhen. Statt mit Drohungen zu arbeiten, wie beispielsweise mit der Androhung von Strafen oder dem Einbeziehen der Schulleitung oder der Eltern, geht es darum, eine offene Kommunikation zu fördern. Die Lehrkräfte informieren die Eltern proaktiv über Probleme, die in der Schule auftreten, nicht als Drohgebärde, sondern als Ankündigung ihres Handelns.

Inwiefern?
Die Lehrperson droht beispielsweise nicht mit: „Wenn du nicht aufhörst, dich so zu benehmen, hol ich deine Eltern!“, sondern erklärt: „Es ist meine dienstliche Pflicht, deine Eltern zu informieren, wenn das nicht klappt.“         
Eine Schule, die nach den Prinzipien der Neuen Autorität arbeitet, schult zuerst das Kollegium, informiert die Eltern über das Konzept und legt einen besonderen Fokus darauf, wie Eltern und Schule miteinander kommunizieren. Es besteht oft eine Lücke zwischen dem, wie Eltern ihre Kinder in der Schule sehen, und dem, wie Lehrkräfte die Situation wahrnehmen. Die Stärkung der Beziehung zwischen den Erwachsenen trägt dazu bei, dass Kinder verstehen, dass ihr Verhalten nicht unbemerkt bleibt und dass Konsequenzen nicht als Bestrafung, sondern als Chance zur Unterstützung angesehen werden.

Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich von einer verstärkten Anwendung der Neuen Autorität?
Das ursprüngliche Ziel der Neuen Autorität war es, eine gewaltfreie Erziehung zu fördern, um sicherzustellen, dass sich die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs niemals wiederholen. Dieser Ansatz ist heute relevanter denn je, da die Bedeutung einer gewaltfreien Erziehung für eine friedliche Gesellschaft nicht zu unterschätzen ist.

Demnächst bietet Kathrin Schneider gemeinsam mit Sabine Cagol,  Leiterin des Instituts IARTS, Seminare zur Führungskompetenz mit Neuer Autorität auch in Südtirol an.

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