Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Es war Ende August, als die Direktorin der Goethe-Grundschule in Bozen, Christina Holzer, ihr Vorhaben für das kommende Schuljahr publik machte: eine Sprachförderklasse für sechsjährige Kinder, die keine Deutschkenntnisse besitzen. Die Direktorin begründete ihre Entscheidung mit dem Argument, dass es nicht nur darum gehe, Kinder zu unterstützen, die keine Deutschkenntnisse haben, sondern auch das Recht der deutschsprachigen Kinder zu wahren, in der eigenen Muttersprache unterrichtet zu werden – und das auf einem angemessenen Niveau.
Das Vorhaben von Christina Holzer wurde allerdings noch vor dem Schulstart von der Politik verweigert. Eine Sprachförderklasse entspreche nicht dem Landes- und Staatsgesetz, da in Südtirol und Italien auf Inklusion und Ausgewogenheit gesetzt wird. Der Landesrat für Deutsche Bildung und Kultur, Philipp Achammer, erklärte in einem Interview mit RAI Südtirol: „Wir haben eine inklusive Schule, also ausgewogene Verteilungen, also keine Sonderklassen, weder für die Sprache, weder für Beeinträchtigung noch für irgendetwas anderes.“
Deutsch gilt in Italien als Minderheitensprache. Um die deutschsprachige Minderheit in Südtirol zu schützen, garantiert das zweite Autonomiestatut, dass in der Region das Deutsche dem Italienischen gleichgestellt ist. Nicht selten kommt es vor, dass dieser Minderheitenschutz instrumentalisiert wird, der dann mit Abgrenzung, Zweifel und Skepsis gegenüber anderen Sprachen einhergehen kann. Aber wie kann man Minderheitensprachen schützen, ohne sie von anderen Sprachen, im negativen Sinne, abzugrenzen? Wie können verschiedene Sprachen nebeneinander existieren? Und welche Rolle spielt dabei die Schule?
Maria Stopfner forscht an der Universität Innsbruck und an der Eurac in Bozen zu diesen Themen: Migrationslinguistik, Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt in der Schule. BARFUSS hat die Forscherin für ein Interview gewinnen können.
BARFUSS: Frau Stopfner, wie schützt man Minderheitensprachen?
Maria Stopfner: Minderheitensprachen schützt man zunächst vor allem dadurch, dass sie innerhalb der Familien und im engeren sozialen Umfeld aktiv verwendet werden. Gefährlich wird es für Minderheitensprachen, wenn die sprachlichen Kompetenzen von Generation zu Generation abnehmen, also wenn die Großeltern die Sprachen sprechen, die Eltern diese jedoch nur mehr verstehen, aber nicht mehr selbst benutzen, und die Kinder bzw. Enkelkinder die Sprachen schließlich gar nicht mehr oder nur mehr in Bruchstücken beherrschen.
Sprachen sind so lebendig wie die Menschen, die sie nutzen, und sie profitieren davon, wenn sie sich im sozialen Austausch frei entwickeln können.
Welche Rolle spielt dabei die Schule? Kann sie Minderheitensprachen „retten“?
Die Schule spielt hier insofern eine Rolle, weil sie bestimmte Fertigkeiten und sprachliche Register in den Sprachen weiter ausbaut. In der Grundschule ist das etwa die Schriftsprache, die den Schulkindern gezielt vermittelt wird. Dabei ist zu bemerken, dass alle Schülerinnen und Schüler hier auf eine „neue“ Form der Sprache treffen, das heißt, die bildungs- und fachsprachlichen Kompetenzen müssen alle Kinder neu erwerben, auch wenn sie die Sprachen der Schule bereits in der Familie sprechen. Alltagssprachliche Kompetenzen helfen zwar, aber benotet werden die Schülerinnen und Schüler schließlich in Hinblick auf ihr Können in dem Register von Sprache, das in der Schule verlangt wird. Studien zeigen, dass sprachsensibler Unterricht, der für Schülerinnen und Schüler mit anderen Familiensprachen entwickelt wurde, auch jenen Kindern hilft, die mit der jeweiligen Sprache zwar aufgewachsen sind, sich aber mit der Bildungssprache der Schule schwer tun.
Inwiefern kann man Sprachen schützen und sie aber gleichzeitig nicht von anderen Sprachen – im negativen Sinne – abgrenzen?
Wie bereits erwähnt, werden Sprachen vor allem im engeren Umfeld erhalten und geschützt. Sprachen wie zum Beispiel das Irische zeigen, dass, wenn die Sprache von den Menschen im Alltag nicht mehr verwendet wird, die Schule als Institution allein diese zwar als Fach konservieren, aber nicht zum Leben erwecken kann. Sprachen sind so lebendig wie die Menschen, die sie nutzen, und sie profitieren davon, wenn sie sich im sozialen Austausch frei entwickeln können. Verschiedene Sprachen profitieren voneinander, indem sie zum Beispiel bei Verstehensschwierigkeiten alternierend zur Erklärung eingesetzt werden können. Kinder und Jugendliche sind absolut kreativ, was den Sprachgebrauch anbelangt und sie schaffen neue Sprachgebrauchsformen, mit denen sie sich und ihre Ansichten und Gefühle über Sprachen hinweg ausdrücken. Motivation ist generell ein zentraler Aspekt, der in der Forschung in den letzten Jahren in Hinblick auf die Sprachentwicklung besonders hervorgehoben wurde. Sprachverbote und Zwang sind hier meist wenig förderlich.
Sprachen werden leider oft dazu genutzt, um Menschen voneinander zu trennen.
Wie kann man ein gutes beziehungsweise sinnvolles Miteinander der Sprachen ermöglichen? Ist es sinnvoll, Kinder in der Schule nach Sprachen zu trennen?
Die Europäischen Union sieht Vielfalt als ein wesentliches Merkmal des Zusammenlebens an. Schaut man auf die Geschichte unseres Kontinents und blickt gleichzeitig auf die Probleme und Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, so ist klar, dass wir nur miteinander eine friedliche und gute Zukunft für uns alle gestalten können. Sprachen werden leider oft dazu genutzt, um Menschen voneinander zu trennen. In den bildungspolitischen Dokumenten der EU wird daher die Rolle von Mediator:innen besonders hervorgehoben. Diese sorgen vermittelnd über Sprachen hinweg, aber auch in derselben Sprache dafür, dass Menschen sich verstehen und Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Schule soll hier aus Sicht der EU Kinder und Jugendliche darauf vorbereiten, diese Rolle zu übernehmen und Brücken zwischen verschiedenen Ansichten, Positionen und Kulturen zu schlagen, um gemeinsam neue Ansätze und die besten Lösungen zu finden. Klassen und Schulen, deren Lehrkräfte, Kinder und Eltern, die diese Vielfalt bereits mitbringen, sind hier besonders wertvoll, da sie die entsprechenden Kompetenzen im Schulalltag ganz natürlich erwerben und erleben können. Alte Unterrichtsmethoden, die nur eine Sprache zulassen, können diese Kompetenzen nur bedingt fördern. Dazu müssen neue didaktische Konzepte in den Schulen eingebracht werden, die mehrsprachige Kompetenzen aktiv in den Unterricht einbinden. Viele Lehrpersonen setzen diese neuen Methoden bereits ein, für manche sind sie jedoch noch Neuland.
Welche Maßnahmen müssen zum Schutz der Sprachen bereits in der Schule getroffen werden?
Kinder müssen sich im Umfeld der Schule mit ihren Sprachen aufgehoben und wertgeschätzt fühlen, damit sie daraufhin ihren eigenen, aber auch anderen Sprachen positiv begegnen und diese weiterentwickeln können. Alle Sprachen sind ein kultureller Schatz, der es wert ist, geschützt und gefördert zu werden. Die verschiedenen Bildungsdirektionen in Südtirol, aber auch die Universitäten oder das Institut für Angewandte Sprachforschung der Eurac bieten bereits seit mehreren Jahren entsprechende Kurse, Fortbildungen, Workshops und Unterrichtsmaterialien an, die zeigen, wie alle Sprachen sinnvoll und zielführend in den Klassen thematisiert und verwendet werden können, ich denke zum Beispiel an das Projekt „Sprachenvielfalt macht Schule“. Was es jedoch auch braucht, sind entsprechende Ressourcen, damit Lehrpersonen in heterogenen Klassen den Schulalltag für sich und die Kinder und Jugendlichen optimal gestalten können.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support