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Günter Bischof ist gebürtiger Vorarlberger, hat an der Harvard Universität in amerikanischer Geschichte promoviert und lehrt seit 30 Jahren als Professor für internationale Zeitgeschichte an der Universität von New Orleans. Schwerpunkt seiner Arbeiten ist die diplomatische Geschichte der USA und Europa im 20. Jahrhundert und vor allem während des Kalten Krieges. Als frisch eingebürgerter Amerikaner, hat Bischof heuer zum ersten Mal an einer US-Wahl teilgenommen. Wie viele andere Amerikaner, die wie er aus einem urbanen und gebildeten Milieu stammen, hat er Biden seine Stimme gegeben. Doch was ist mit seinen Nachbarn in New Orleans, die für Trump gestimmt haben? Werden sie eine Wahlniederlage akzeptieren?
In Ihren Arbeiten schreiben sie, das „amerikanische Jahrhundert“ sei zu Ende. Was steckt hinter diesem Begriff?
Der Begriff geht zurück auf Henry Luce, den mächtigen Herausgeber des „TIME“ und „LIFE Magazins“, der 1941 erklärte, das 20. Jahrhundert würde als amerikanisches Jahrhundert in die Geschichte eingehen. Damit trug Luce der Tatsache Rechnung, dass die USA zur größten wirtschaftlichen und militärischen Macht geworden war. 1945 entfiel die Hälfte der weltweiten industriellen Produktion allein auf die USA. Luce forderte, dass Amerika seine daraus entstehende Führungsrolle in der Welt stärker wahrnahm. In den darauffolgenden Jahrzehnten sollte Luce recht behalten: Die USA wurden zu dem, was wir heute manchmal abfällig „Weltpolizisten“ nennen.
Damit ist es aber inzwischen vorbei?
Die USA verlieren im globalen Vergleich zunehmend an militärischem und ökonomischem Einfluss. Das Land leidet aber vor allem an einem Prestige-Verlust. Die Werte von Freiheit und Demokratie, für die es lange Zeit stand, werden von Trump regelmäßig torpediert.
Erst von Trump?
Was Trump jetzt beschleunigt, hat 2001 mit den Anschlägen des 11. Septembers begonnen. Die darauffolgenden Kriege der Bush-Administration haben das Land ökonomisch geschwächt und sein Image im Ausland schwer beschädigt. Seitdem sind die USA auf dem Rückzug von der internationalen Bühne und speziell von der NATO. Dieser Rückzug war schon unter Obama zu beobachten.
Dennoch: Wahlen in den USA werden noch immer so spannungsvoll mitverfolgt, als würden sie das Schicksal der Welt mitentscheiden. Woran liegt das?
Das sind die Nachwirkungen der alten Vormachtstellung. Die USA sind in vielen Teilen des Globus noch immer als Weltpolizist bekannt und berüchtigt, insbesondere im Nahen Osten oder Osteuropa. Diese Wahl wird aber auch deshalb besonders aufmerksam verfolgt, weil viele Menschen in der Welt einfach nicht glauben können, dass die Amerikaner so unklug sind und noch einmal Trump wählen. Man kann es sich kaum vorstellen, wie das nach all diesen Skandalen und Misserfolgen noch möglich ist.
Trump ist es wieder gelungen, mit seinen Rallyes in letzter Minute noch viele Wähler auf seine Seite zu ziehen.
Geradezu zermürbend war auch die lange Wartezeit auf ein Ergebnis. Warum hat es dieses Jahr so lange gedauert?
Zunächst führte Joe Biden wegen der Frühwähler. Meine Frau und ich haben, wie 100 Millionen andere Amerikaner auch, schon vor zwei Wochen unsere Stimme abgegeben. Dann kamen diejenigen, die am Dienstag ihre Stimme abgegeben haben und das Blatt zugunsten Trump gewendet haben. Von den 100 Millionen Frühwählern haben aber 65 Millionen ihre Stimme nicht physisch, sondern – hauptsächlich wegen der Pandemie – per Briefwahl abgegeben. Diese Briefwähler werden noch immer ausgezählt, in Pennsylvania dürfen sie bis drei Tage nach der Wahl ausgezählt werden.
Es schaut so aus, dass Biden als Wahlsieger hervorgeht. Trump schneidet aber wieder deutlich besser ab als vorhergesagt. Warum liegen die Meinungsforscher jedes Mal so daneben?
Das hat offenbar mehrere Gründe. Wahrscheinlich werden vor allem jüngere Trump-Wähler von diesen Umfragen nicht erfasst, andere Befragte bekennen sich möglicherweise nicht offen zu Trump, wählen ihn aber doch. Und dann ist es Trump wieder sehr gut gelungen, mit seinen zahlreichen Rallyes in letzter Minute noch viele Wähler auf seine Seite zu ziehen.
Aus westeuropäischer Sicht denken sich viele, dass ja nur ein ultrakonservativer Rassist Trump wählt. Tatsächlich hat er in Staaten wie Florida auch dank der Latino-Wähler gewonnen.
Florida ist ein besonderer Fall. Trump war hier in den letzten Wochen sehr präsent und hat es offenbar geschafft, mit der Strategie, Biden und die Demokraten als sozialistische bzw. kommunistische Bedrohung zu diffamieren, auch viele Hispanics von sich zu überzeugen.
Welche rationalen Motive hatten Trump-Wähler sonst noch?
Für ländliche Wähler ist er ein attraktiver Kandidat, weil er sich gezielt an sie richtet. Seine Ablehnung von Immigration hat auch wieder eine wichtige Rolle gespielt, auch wenn das Thema dieses Mal im Wahlkampf nicht mehr so präsent war. Außenpolitisch konnte Trump vor allem mit seiner herausfordernden Haltung China gegenüber punkten.
Viele Amerikaner leben in völlig unterschiedlichen Welten.
Welche Rolle spielten Verschwörungstheorien?
In manchen Segmenten der Trump-Wählerschaft, insbesondere in stark christlich geprägten Kreisen und bei besonders rechten Gruppen im Süden, die sich vor einem farbigen Amerika fürchten, kommen bestimmte Theorien, etwa die Vorstellung, dass Biden ein Pädophiler sei, gut an. Quantitativ lässt sich das aber schwer einschätzen.
Donald Trump wäre nicht der erste Regierungsanwärter einer demokratischen Industrienation, der nach einer knappen Wahlniederlage das Ergebnis nicht anerkennen will. Auch Silvio Berlusconi erhob bei den Parlamentswahlen in Italien 2006 Vorwürfe des Wahlbetrugs, als sein Konkurrent Romano Prodi um nur 25.000 Stimmen Vorsprung die Wahl gewann. Nach einer Prüfung und der Entscheidung des Obersten Kassationsgerichts musste Berlusconi das Ergebnis akzeptieren. Doch gibt es in den USA noch eine solche Autorität, die von allen akzeptiert wird? Staatliche Institutionen werden unter vielen Trump-Anhängern als „deep state“ und „mafiöse Strukturen“ diskreditiert. Was die amerikanische Gesellschaft heute spaltet, sind nicht mehr verschiedene Meinungen, sondern das Festhalten an verschiedenen Fakten.
Hat sich die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft seit der letzten Wahl verschärft?
Ja. Trump hat diese Gespaltenheit immer wieder befeuert, auch jetzt im Wahlkampf, wenn er seinen Opponenten als Sozialisten diffamiert und als Feind darstellt. Die Spaltung verläuft entlang verschiedener Bruchlinien, rural versus urban, weiß versus farbig, Volk versus Elite. Viele Amerikaner leben in völlig unterschiedlichen Welten.
Diese Bruchlinien gibt es auch in anderen Ländern. Warum ist die Spaltung ausgerechnet in den USA so tief?
Es hat sehr viel mit unterschiedlichen Bildungsgraden zu tun. Ich lebe in New Orleans in Louisiana, einem ländlich geprägten Staat. Viele meiner Nachbarn haben in diesen Tagen Trump-Flaggen vor ihren Häusern angebracht. Sie haben keinen College-Abschluss, den man sich in Amerika übrigens noch viel mehr als in Europa erst einmal leisten können muss. Während meine Söhne das College besuchen, gehen die Kinder der Nachbarn nach der Schule gleich in die Öl-Industrie, wo man auch ohne Studium gut verdienen kann. Die Bildungsschere erzeugt eine große Spannung. Das gibt es bis zu einem gewissen Grad auch bei uns, wo man auf dem Land auf die „Studierten“ in der Stadt herabschaut. Mir hingegen ist absolut unverständlich, wie man hinter Trump stehen kann, wenn er so unverhohlen jede wissenschaftliche Evidenz missachtet: Die Leugnung des Klimawandels und die Ablehnung von Mund-Nasenschutz sind nur zwei Beispiele.
Die Folge der Polarisierung sind in den USA zunehmend handfeste Ausschreitungen. Social Media und Identitätspolitik vertiefen die Spaltungen. Sind die USA nur ein Menetekel dafür, was bald auch in Europa blüht?
Die europäischen Gesellschaften sind homogener, das Potential, dass sich Spannungen wie in den USA entlang ethnischer Trennlinien entladen, ist daher geringer. Auch die politische Kultur ist eine andere: In den meisten europäischen Ländern gibt es Mehrparteiensysteme, in denen die zwei traditionellen Volksparteien zunehmend von anderen Parteien ersetzt werden. Im traditionellen Bipolarismus der USA ist die Spaltung der Gesellschaft schon angelegt.
Auch Joe Biden will sich nicht mehr als Weltpolizist aufspielen.
Medien in Europa haben sich mit Lob für Trump immer schwergetan. Zumindest außenpolitisch muss man ihm eines zugestehen: Er war der erste amerikanische Präsident seit Jahrzehnten, der keinen neuen Krieg begonnen hat.
Dafür kann man ihm durchaus Anerkennung entgegenbringen. Ich hatte erwartet, dass er, um in letzter Minute das Ruder herumzureißen, noch irgendetwas mit dem Iran vom Zaun brechen würde. Außenpolitische Krisen sind ein probates Mittel, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und sich als starke Führung zu profilieren. Das hat Trump aber nicht gemacht. Nun müsste man sich anschauen, was an dieser Tatsache ihm persönlich und was den Umständen zu verdanken ist. Clinton wollte auch keine neuen Kriege, aber die Europäer haben ihn quasi nach Bosnien hineingedrängt. Bei Bush hingegen war die Sache anders, die Kriege in seiner Amtszeit gingen allein auf seine Rechnung.
Der Trumpismus ist etwas, das, wie viele fürchten, sich nicht nach einer Amtszeit verabschieden wird. Was wird Biden von seinem Amtsvorgänger fortführen?
Ich glaube, dass Joe Biden als Präsident doch einiges anders machen wird, vor allem in Hinblick auf die Klimakrise, das Coronavirus – Biden will eine Maskenpflicht erlassen –, die Migration oder den Stil diplomatischer Beziehungen. Er wird wohl auch versuchen, die Deregulierung der Wirtschaft partiell rückgängig zu machen. Manches aber wird bleiben. Die herausfordernde China-Politik von Trump ist in den USA relativ populär und auch Biden wird hier ähnliche Töne anschlagen. Außerdem schaut es so aus, als würden die Republikaner den Senat gewinnen, dann gäbe es eine geteilte Regierung und der Senat würde dem Präsidenten das Leben sehr schwer machen.
Werden die USA sich weiter von der Weltbühne zurückziehen?
Die USA sind immer noch stärkste Militärkraft auf der Welt. Jeder Präsident ist dann auch geneigt, dieses Militär einzusetzen. Trump hat das Budget des US-Militärs sogar noch erhöht. Da wird Biden wohl zurückfahren, weil er ambitionierte soziale Programme, vor allem im Gesundheitsbereich, vorhat. Auch Joe Biden will sich nicht als Weltpolizist aufspielen, da wird sich der Trend seit Obama also fortsetzen.
Die Zeiten, in denen sich Europa auf Unterstützung aus Übersee verlassen kann, sind vorbei.
Stichwort soziale Programme: Die kommen doch ausgerechnet denen zugute, die tendenziell Trump gewählt haben.
Das gibt es immer wieder, dass Wähler gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Wie kommt es dazu? Da ist ein Mangel an Orientierung und Information, zu einem großen Teil auch auf Trumps geschickte Gehirnwäsche zurückzuführen. Es ist ihm gelungen, durch Wiederholung von Unwahrheiten viele Wähler zu überzeugen, dass Biden den Sozialismus und mit ihm die Zerstörung der USA bringen würde. Die Verteufelung des Sozialismus – und damit ist in den USA meistens der Kommunismus gemeint – ist etwas, was für Europäer, die auf eine Tradition des demokratischen Sozialismus zurückblicken, schwer zu verstehen ist.
Die USA ziehen sich nun also zurück, China ist noch nicht stark genug, als Hegemon aufzutreten. Und Europa?
Fareed Zakaria, ein profilierter außenpolitischer Experte für „CNN“ , hat 2009 ein Buch mit dem Titel „The Post-American World“ vorgelegt, in dem er eine multilaterale Welt entwirft, wo die USA, der ehemalige Hegemon, Konkurrenz von vielen verschiedenen Playern bekommen: das sind die EU, Russland, China, aber auch andere aufstrebende Staaten wie Indien, Brasilien oder Nigeria. Die EU ist hauptsächlich eine Wirtschaftsmacht, die noch nicht bereit ist, eine weltpolitische Rolle zu spielen. Diese Bereitschaft findet man eher bei China. Bislang haben sich die Europäer immer auf Amerika verlassen, das eigene Geld gab man lieber für den Sozialstaat aus als für ein starkes Militär.
Braucht die Welt diesen übermächtigen Leviathan überhaupt, der ins Weltgeschehen eingreift und die Geschichte lenkt? Kritiker verweisen auf die vielen gescheiterten Interventionen, mit denen die USA manche Weltgegenden auch ins Chaos gestürzt haben…
Vor allem aus Europa hört man oft die Klage darüber, dass die USA ihre Rolle als Weltpolizei aufgegeben hat. In Syrien hätte eine Intervention vielleicht weitere Flüchtlingsströme verhindern können. Gerade bei solchen Konflikten, die in der eigenen Interessenssphäre liegen, sollte Europa in Zukunft entschlossener auftreten. Die Zeiten, in denen man sich ständig auf Unterstützung aus Übersee verlassen kann, sind vorbei.
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