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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 21.05.2015
LebenInterview mit Matthias Gauly

„Es muss sich etwas ändern“

Veröffentlicht
am 21.05.2015
Die konventionelle Tierhaltung ist nicht mehr zukunftsfähig. Matthias Gauly, Tierarzt und Professor an der Uni Bozen, ruft zum radikalen Umdenken auf.
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Qualvolle Schlachtungen, Tod bereits auf dem Transport, Millionen von Küken, die im Schredder landen. Im März 2015 veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des deutschen Landwirtschaftsministeriums ein umfangreiches Gutachten („Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“): Darin wird das erschreckende Bild einer Tierindustrie gezeichnet, deren lebensverachtende Haltungsbedingungen nicht mehr mit unserem Selbstbild einer zivilisierten, fortgeschrittenen Gesellschaft vereinbar sind. Deshalb fordert auch Matthias Gauly, Tierarzt und Professor für Agrarwissenschaften in Bozen, einen radikalen Wandel in den Tierhaltungsbedingungen. Sie sollen sich fortan mehr am Tierwohl und nicht allein am Profit orientieren. Gauly war mit seinen Fachkenntnissen maßgeblich an der Erstellung des umstrittenen Gutachtens beteiligt. Die empörten Reaktionen der Bauernverbände auf das Gutachten ließen nicht lange auf sich warten, eine angeheizte Diskussion war losgetreten. Geht es den Tieren wirklich so schlecht? Wo bleibt die Verantwortung des Verbrauchers? Was soll die Politik jetzt tun, und wie steht es bei der ganzen Geschichte eigentlich um den Südtiroler Landwirt? Ein Gespräch mit Matthias Gauly.

Professor Matthias Gauly von der Uni Bozen

Sie plädieren für eine Haltung, die das Tierleid verringert. Wie wollen Sie das erreichen?
Da stehen wir nun vor zwei Möglichkeiten. Der erste Weg ist der, dass die Fleischproduktion hierzulande zurückgefahren wird. Das bringt aber zwei Nachteile mit sich: Einerseits verliert die eigene Wirtschaft an Kraft, da der landwirtschaftliche Sektor schwächer wird. Andererseits müsste man mehr importieren, und zwar aus Ländern, deren Tierschutzstandards deutlich tiefer liegen als jetzt bei uns. Der zweite Weg ist ein umfassender gesellschaftlicher Wandel, im Zuge dessen nicht nur die Fleischproduktion, sondern auch der Fleischkonsum reduziert wird und der Konsument höhere Preise für ein Fleisch in Kauf nimmt, das unter tiergerechteren Bedingungen erzeugt wurde.

Wie sieht es da mit den Mehrkosten aus?
Aus ökonomischer Sicht ist eine bessere Tierhaltung gar nicht schwierig zu erreichen. Die Ökonomen, die an dem Gutachten beteiligt waren, haben geschätzt, worauf sich die Mehrkosten bei einer faireren Haltung belaufen würden. Diese Berechnungen haben ergeben, dass unsere Forderungen finanziell sehr wohl tragbar sind, etwa durch das geeignete Maß an Subventionen und Preiserhöhungen. Wir rechnen dabei mit Preiserhöhungen für den Konsumenten in der Größenordnung von nur drei bis sechs Prozent.

Da stellt sich die Frage, ob die aktuelle Situation der Tierhaltung in der Gesellschaft tatsächlich nicht mehr akzeptiert wird? Denn eine Sache ist es, als Konsument mehr Tierschutz gut zu finden, aber eine andere ist es, die Konsequenzen daraus zu ziehen und für sein Steak einige Euro mehr zu bezahlen.
Das bringt die Problematik gut auf den Punkt. Letztlich ist es aber auch nicht richtig, immer alles nach dem Verbraucherverhalten zu richten. Wenn er keinen höheren Preis zahlen will, steht es ihm immer noch frei, das billige Fleisch aus China oder Brasilien zu kaufen. Allerdings kann man auch nicht frei entscheiden, ob man in der Innenstadt 100 Stundenkilometer fährt oder nur 50. Das wird dem Bürger vorgegeben, weil es so richtig ist, und das muss er akzeptieren. Genauso sollte es mit dem Tierschutz sein.

Veränderung also durch politische Maßnahmen?
Auch. Der Verbraucher spielt jedoch eine zentrale Rolle. Selbst wenn er einverstanden ist, dass hier die Auflagen und Standards erhöht werden, was zu einem Preisaufschlag führt, wird die Nachfrage nach Fleisch trotzdem bestehen bleiben. Ich gehe davon aus, dass der Verbraucher dann im Supermarkt ziemlich skrupellos nach günstigem Fleisch aus Fernost greifen wird. Deshalb ist es von fundamentaler Wichtigkeit, nicht nur politische Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch den Verbraucher so aufzuklären, dass er die Zusammenhänge versteht.
Die stärksten Einwände kommen aber gar nicht vom Verbraucher, sondern aus der Wirtschaft. Beispielweise gibt es den Einwand, dass Europa Tierprodukte zunehmend exportiert. Da muss man sich am Weltmarktpreis orientieren und Mehrkosten in Höhe von drei bis fünf Prozent sind für die Wettbewerbsfähigkeit untragbar. Auch hier würde ich aber sagen, dass es der Wandel lohnt, Einbußen in Kauf zu nehmen.

In der Tat wehren sich Wirtschaft und Bauernverbände vehement gegen das Gutachten. Wer hat auf die Politik nun mehr Einfluss: die eigenen Wissenschaftler oder die Lobbyisten?
Natürlich die Lobbyisten. Eine Lobby vertritt, wie es beim Bauernverband der Fall ist, aber auch eine Wählerschaft und dadurch ist ihr Einfluss legitim. Eine andere Sache ist es, wenn Lobbyisten mit Geld und mit der Steuerung von Arbeitsplätzen argumentieren. Dass die Punkte des Gutachtens eins zu eins vom Bundesministerium umgesetzt werden, ist ohnehin unrealistisch. Aber dass hier eine Diskussion angestoßen wurde, die auch Folgen haben wird, das darf man sich erwarten. In einzelnen Bundesländern – gerade dort, wo die Nutztierhaltung ein wichtiges Wirtschaftsstandbein ausmacht – gibt es auch schon grüne Minister, die sich sehr aktiv machen, die angesprochenen Dinge zum Besseren zu verändern.

Die wenig tierfreundliche Anbindehaltung: In Südtirol sehr verbreitet

Und wie sehen Sie die Situation in Südtirol? Seit letztem Jahr haben Sie eine Professur an der Universität Bozen und konnten sich bereits ein gutes Bild machen …
Es gibt hier viele Familienbetriebe mit kleinen Viehbeständen. Da ist der Bezug zwischen Bauer und Tier viel näher. Außerdem gibt es einen intensiven Austausch zwischen dem Hof und dem Touristen, dadurch entsteht eine Art von Eigenkontrolle. Nichtsdestotrotz stehen wir, was eine Verbesserung des Tierwohls angeht, vor allem in der Milchwirtschaft noch vor großen Herausforderungen. Das Hauptziel ist dabei der Übergang von der Anbindehaltung, wo das Tier in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt ist, hin zu einer Laufstallhaltung. Auch hier gibt es Lösungen, in der Schweiz zum Beispiel hat man Verordnungen, wonach die Tiere mindestens eine oder mehrere Stunden lang auch frei herumlaufen können. Klar: Die industrielle Tierhaltung ist in Südtirol kaum ein Thema, aber in einigen Bereichen gibt es trotzdem noch deutlichen Aufholbedarf.

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