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Illustrations by Sarah
Thomas Hanifle
Veröffentlicht
am 14.09.2016
LebenFremdenfeindlichkeit in Südtirol

„Der Graben wird tiefer“

Warum entsteht Fremdenhass? Konfliktexperte Lukas Schwienbacher über die Angst vor Bedrohungen und warum Pegida auch in Südtirol möglich ist.
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Aufschrift auf einer kleinen Hütte am Rande einer Obstwiese in Naturns.

Lukas Schwienbacher mag keine Etikettierungen. Schon gar nicht, wenn es um Jugendliche geht. Als 2009 Jugendliche im Meraner Raum festgenommen wurden und Medien über einen Schlag gegen die Neonazi-Szene berichteten, beleuchtete der Bildungswissenschaftler und Mediator vom Forum Prävention die Vorfälle tiefer. Im Auftrag der Südtiroler Landesregierung ging das Forum Prävention der Frage nach, inwieweit Rechtsextremismus in Südtirol speziell in der Jugendwelt verankert war. Das Resultat: Im Unterschied zu Deutschland gab es keinen großflächig organisierten, strukturierten und an Strukturen gebundenen Rechtsextremismus.
Allerdings gab es kleine Gruppen von Jugendlichen, die immer wieder die Nähe zu extremen Ideologien suchten und das auch weiterhin tun werden. Diese Gruppen geraten dann sofort in den Fokus der Medien. Dabei finden sich nicht nur bei Jugendlichen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Tatsächlich sind diese Phänomene tief in der Erwachsenenwelt verwurzelt und werden an die junge Generation weitergegeben. Bei Erwachsenen beobachtet Schwienbacher vor allem Verdrängung. „Diese denken häufig: Die jungen Rechtsextremen sind unter Kontrolle und Beobachtung, jetzt dürfen wir dem Alltagsrassismus weiterfrönen, um es provokant auszudrücken“, so der Konfliktexperte, der sich seit Jahren mit Extremismus und Gewalt beschäftigt. Es geht dabei nicht nur um körperliche, sondern um alle Facetten von emotionaler Gewalt, bei der Menschen abgelehnt, abgewertet und gedemütigt werden.

„Ihr SCHEISS Ausländer. No Islam“ steht auf der Mauer einer kleinen Hütte am Rand einer Obstwiese in Naturns. Wie interpretieren Sie eine solche Botschaft?
Es gibt hier eine klare Ablehnung und Abwertung gegenüber Ausländern und dem Islam. Ich möchte nichts relativieren, aber es gibt in Südtirol auch Aufschriften, die Ausländer willkommen heißen. Diese beiden Botschaften spiegeln einen gesellschaftlichen Diskurs wider, der derzeit nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Europa geführt wird und der die Gesellschaft in zwei Pole spaltet. Auf der einen Seite werden Menschen, die sich kritisch gegenüber Flüchtlingen äußern, sofort als Rassisten und Fremdenfeinde abgestempelt. Auf der anderen Seite nennt man Menschen, die Flüchtlingen helfen wollen, naive Gutmenschen. Sie würden die Augen vor der Gefahr verschließen, die auf uns zukomme. Der Graben zwischen diesen beiden Seiten wird immer tiefer und birgt die Gefahr, dass Gewalt entsteht.

Wie kann sich diese Gewalt äußern?
Man muss sich nur ansehen, was sich im Zuge der Bundespräsidentschaftswahlen in Österreich abspielt. Dort haben sich zwei Lager gebildet, die sich fast schon als Feindbild betrachten. In den sozialen Netzwerken sieht man die Folgen: Es gibt auf beiden Seiten sehr viel Hass, Hetze und Abwertung. Das ist eine Form von Gewalt, die unter Umständen auch eskalieren kann.

Wäre Pegida in Südtirol möglich?
Ich möchte es nicht mit Pegida gleichsetzen. Aber ich denke schon, dass ein ähnliches Phänomen auch in Südtirol möglich ist. Vor allem dann, wenn sich Menschen mit ihren Meinungen, Bedenken und Ängsten nicht ernst genommen fühlen, besteht die Gefahr, dass sie populistischen Bewegungen in die Arme laufen. Diese bieten einfache Lösungen für Probleme an und geben den Menschen das Gefühl, verstanden zu werden.

Lukas Schwienbacher

Zurück zur Aufschrift in Naturns: Ist diese nun fremdenfeindlich?
Schriftliche Botschaften werden häufig voreilig kategorisiert, ohne sich eingehend mit den Hintergründen auseinanderzusetzen. So sind Personen, die ein Hakenkreuz auf eine Mauer malen, nicht zwingend Rechtsextreme. Noch einmal: Eine Botschaft wie diese legt nahe, dass die Person Ausländer und den Islam ablehnt und abwertet. Das heißt aber nicht zwingend, dass sie durchwegs fremdenfeindlich und rechtsextrem eingestellt ist. Um eine solche Aussage treffen zu können, muss man sich mit dieser Person auseinandersetzen, ohne ihre Tat damit zu rechtfertigen. Rein theoretisch kann diese Person ja auch eine Diskussion zum Thema Zuwanderung und Islam anregen wollen und dafür die Form der Provokation wählen. Etwas anderes sind natürlich klare Gewaltandrohungen und Hetze gegenüber Flüchtlingen.

Diese Person setzt offensichtlich Ausländer mit dem Islam gleich. Warum?
Was ist seit dem 11. September 2001 das Thema schlechthin? Die ganze Flüchtlingskrise wird vorschnell mit dem islamistischen Terror in Verbindung gebracht. Terror, der sogenannte Islamische Staat und Islam werden in einem Atemzug genannt. Und viele Medien tragen nicht dazu bei, ein differenziertes Bild von der Situation zu zeichnen.

Vermischt sich die Angst vor Terror mit Fremdenangst?
Durchaus. Menschen haben eine diffuse oder konkrete Angst vor Gewalt, Aggression und Bedrohung. Sie fürchten sich davor, dass ihnen etwas weggenommen wird: Das können materielle Güter sein, das können Arbeitsplätze sein, aber auch Werte, Sicherheit und die eigene Identität. Wenn populistische Kräfte in diesem Umfeld nun Vorurteile schüren und Menschen nicht mehr zwischen jenen, die Hilfe brauchen und keine Gewalt ausüben, und solchen, die gewalttätig sind, unterscheiden, dann kann es passieren, dass alle Flüchtlinge in einen Topf geworfen werden und in ihren Augen potenzielle Gewalttäter sind.

Warum entstehen solche Vorurteile?
Menschen werden im Alltag mit Informationen konfrontiert, deren Wahrheitsgehalt häufig nicht überprüft wird, aber auch für viele nicht überprüfbar ist. Wiederum andere können häufig auf keine persönlichen Erfahrungen zurückgreifen und sind immun gegenüber Informationen, die nicht in ihr Weltbild passen. Im Gegenteil: Sie wollen nur mehr das sehen und hören, was ihren Werten entspricht.

Wann wird aus dieser Angst vor einer Bedrohung Fremdenfeindlichkeit?
Das ist ein schleichender Prozess. Solange ich diese Angst thematisiere, bin ich nicht fremdenfeindlich. Auch wenn ich lieber in einer ethnisch abgeschlossenen Gesellschaft leben will, und eine pluralistische Gesellschaft ablehne, in der mehrere Kulturen zusammenleben, bin ich noch nicht zwingend fremdenfeindlich. Wenn aber Ängste, Unsicherheiten und Bedenken nicht mehr thematisiert werden, können sich Ablehnung, Hass und Abwertung entwickeln. Und es entstehen Pauschalurteile: Alle Zuwanderer werden zum Beispiel als gefährlich bezeichnet.

Gruppenfoto vor dem Ost West Club in Meran anlässlich der Ankunft von Flüchtlingen, die am Bahnhof in Meran untergebracht wurden.

In einer Presseaussendung der Süd-Tiroler Freiheit heißt es: „Proporz: Ausländer von heute sind die Italiener von morgen“. Die Bewegung zeigt sich alarmiert, dass die nicht endende Zuwanderungswelle die Existenz der deutsch- und ladinischsprachigen Volksgruppe im Staat Italien bedrohe. Was sagen Sie dazu?
Ich möchte parteiübergreifend darauf eingehen. Bedenken zu äußern ist in einer Demokratie wichtig und legitim. Erst dadurch wird in einer Gesellschaft Diskurs möglich und es kann zu Lösungen kommen. Es ist eine Illusion zu denken, dass die globalen Flüchtlingsströme gestoppt werden können und Südtirol damit in Zukunft nicht konfrontiert sein wird. Deshalb müssen Lösungen gefunden werden, die ein Zusammenleben von unterschiedlichen Kulturen und Religionen möglich machen. Die Aufgabe der Politik ist es, gemeinsam und überparteilich einen sachlichen Diskurs zu dieser Problematik zu führen. Dabei sollen alle Bedenken geäußert und ein Konflikt ausgetragen werden, der alle Personen- und Bevölkerungsgruppen miteinbezieht und sie nicht auseinanderdividiert. Der Graben darf nicht noch größer werden. Problematisch wird es, wenn Gruppen oder Parteien in diesem Diskurs ausschließlich das Trennende verfolgen und nur Vorurteile hervorheben.

Findet ein solcher sachlicher Diskurs in Südtirol derzeit statt?
Leider noch zu wenig. Es gibt zum einen zu wenige Plattformen, damit ein solcher Diskurs stattfinden kann. Zum anderen braucht es vertrauenswürdige Instanzen. Das können durchaus auch Medien sein, die eine solche sachliche Diskussion fördern und alle Facetten der Problematik aufgreifen. Wenn diese Auseinandersetzung nicht stattfindet, dann kann es passieren, dass sich Menschen ihre Realität selbst zusammenzimmern, die nichts mit der Wahrheit zu tun hat.

Welche Aufgaben kommen darüber hinaus auf die Politik zu?
Die Menschen müssen wieder mehr Vertrauen in die Politik fassen. Wenn Leute kein Vertrauen mehr in Institutionen und Politik haben, öffnet das die Türen für Bewegungen und Strömungen, etwa rechtspopulistischen Parteien wie in Deutschland, die vorgeben, auf alle Fragen eine einfache Antwort zu haben.

Besteht diese Gefahr auch hierzulande?
Die Gefahr gibt es derzeit europaweit, davon ist Südtirol nicht ausgenommen. In Südtirol müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit ein Zusammenleben möglich wird, damit keine Ausgrenzungen stattfinden und keine Parallelwelten mit all jenen Problemen entstehen, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Die Politik kann durchaus Maßnahmen entwickeln, um Fällen von Hass, Hetze und Gewaltaufrufen entgegenzutreten. Es ist dabei wichtig, dass das gleiche Recht für alle gilt. Teile der Bevölkerung dürfen nicht das Gefühl haben, dass sie gegenüber anderen Personengruppen benachteiligt werden.

„Medien sollten sachlich berichten und alle Facetten im Zusammenleben oder in der Zuwanderung aufzeigen, ob nun negativ oder positiv, auch unabhängig von der eigenen Meinung und dem eigenen Weltbild.”

Welche Rolle nehmen Medien in dieser Diskussion ein?
Sie spielen eine tragende Rolle. Es ist auch wichtig, dass es Onlineforen gibt, wo Diskussionen möglich sind. Nur müssen diese betreut werden: Hass und Gewaltaufrufe haben dort nichts zu suchen. Medien sollten sachlich berichten und alle Facetten im Zusammenleben oder in der Zuwanderung aufzeigen, ob nun negativ oder positiv, auch unabhängig von der eigenen Meinung und dem eigenen Weltbild. Das gelingt in Südtirol nicht immer.

Was kann jeder einzelne tun, wenn er im Alltag auf rassistische oder fremdenfeindliche Aussagen trifft?
Nicht jeder exponiert sich und häufig gibt es dafür gute Gründe. Aber wenn man Vorurteile hört, kann jeder für sich den angesprochenen Sachverhalt recherchieren und prüfen, ob die Aussage stimmt oder nicht. Wenn jemand etwa behauptet, dass jeder Flüchtling kriminell ist, dann kann man, wenn man denn will und kann, aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz erzählen, dass das nicht der Fall ist. Es ist wichtig, dass man positive Erfahrungen mitteilt. Es ist schon ein großer Schritt, die eigene Meinung darzulegen und auch die andere Seite zu akzeptieren, ohne den anderen sofort vom Gegenteil überzeugen zu müssen.

Mittlerweile entfernt: „Moslem-raus“-Aufschrift auf der Fassade der Musikschule in Naturns.

Geht das auch im Internet?
Auf jeden Fall, das beobachte ich jeden Tag. Wenn Vorurteile verbreitet werden, bemühen sich viele Menschen sowohl Fakten als auch ihre persönlichen Erfahrung darzulegen. Das ist eine positive Entwicklung, weil sich immer mehr Menschen ihrer persönlichen Verantwortung bewusst sind.

Und wo gibt es noch Aufholbedarf?
Die Menschen müssen kritik- und konfliktfähiger werden. Diese Kompetenz muss unbedingt gefördert werden. Es ist wichtig, dass man sich mit Zugängen und Meinungen von anderen auseinanderzusetzen lernt, ohne dass man das Gegenüber gleich abwertet oder verdammt. Außerdem sind Begegnungen unterschiedlicher Menschen und Kulturen notwendig, um Vorurteile abzubauen. Und es wird eine Wertediskussion geben müssen, bei der Jung und Alt über eine gemeinsame Zukunft nachdenken, die nicht von Gewalt geprägt ist. Nur so kann der Graben zugeschüttet werden.

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