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Die Landwirtschaft in der EU ist mit rund 10 Prozent der CO2-Emissionen die Branche, die nach der Energieerzeugung und dem Verkehr die meisten Emissionen verursacht. In Südtirol beträgt der Anteil an den Gesamtemissionen sogar rund 17 Prozent. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft selbst vom Klimawandel betroffen. Ob im Bereich Klima, Artenschutz oder Tierrechte: Es muss sich einiges ändern. Mit dem Programm „Landwirtschaft 2030“ soll Südtirol nun einen wichtigen Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft gehen. Doch sind die Maßnahmen ausreichend? Und sind die Landwirte bereit für Veränderungen? Agrarlandesrat Arnold Schuler stellt sich den Fragen.
Das Programm „Landwirtschaft 2030“ sieht konkrete Maßnahmen vor, die bis 2030 umgesetzt werden sollen. Was soll erreicht werden?
Es geht um die Weiterentwicklung der Landwirtschaft und darum, wie wir den Herausforderungen der Zeit entgegentreten wollen. Diese Herausforderungen bringen auch die Gelegenheit, uns auf dem Markt besser zu positionieren. In dieser Situation waren wir im Grunde immer schon: Wir können im Wettbewerb nur über Qualität mithalten, das heißt, wir müssen besser sein und wir müssen anders sein. Dafür bieten neue Themen wie Klimaschutz und Artenvielfalt durchaus auch gute Chancen.
Mit welchen Maßnahmen will man Klimaerwärmung und Artenschwund in den Griff kriegen?
Um zielgerichtete Maßnahmen zu setzen, ist es zunächst wichtig, mithilfe der Forschung den Status Quo zu dokumentieren und eine solide Basis von Daten und Fakten zu schaffen. Bislang, so mein Eindruck, wurden internationale Daten einfach eins zu eins auf Südtirol übertragen. Wir brauchen aber eigene Daten, um die Ziele, die wir uns setzen, auch messbar zu machen.
Die Klimaerwärmung genauso wie der Artenschwund sind recht drängende Probleme. Wie lange dauert es, bis die Daten da sind und konkrete Maßnahmen ergriffen werden?
Einige Forschungsprojekte laufen bereits, so das Biodiversitätsmonitoring, das auf fünf Jahre angelegt ist. An verschiedenen Standorten wird die Artenvielfalt in Südtirol dokumentiert. Daraus wird man viel ableiten können, was wir verbessern können und auf welchem Weg. Im Bereich der Artenvielfalt ist außerdem eine Studie der EURAC zur Natürlichkeit der Landschaft in Umsetzung. Anhand dessen können wir konkrete Maßnahmen setzen, um Landschaften natürlicher zu gestalten, und ihren Erfolg messen. Ähnliche Projekte werden in den Bereichen Klimaschutz und Boden- und Wasserqualität durchgeführt. Hier ist also schon in den kommenden Jahren mit ausreichenden Daten und entsprechenden Maßnahmen zu rechnen.
Ein brisantes Thema bleibt die Abdrift von Pestiziden. Erst letzte Woche wurde eine neue Studie veröffentlicht, die auf öffentlichen Plätzen – darunter auch Kinderspielplätze – 32 verschiedene Pestizidstoffe nachwies, viele davon mit hormoneller Wirkung. Wie lange soll das noch so bleiben?
Die Studie stützt sich auf Daten, die vom Sanitätsbetrieb erhoben und von der Provinz Bozen in Auftrag gegeben wurden. Wir sind ja selbst daran interessiert, die Situation weiter zu verbessern, schließlich sind die Landwirte, die mit diesen Stoffen arbeiten, ihnen selbst am meisten ausgesetzt. In der Tat gab es in den letzten Jahren durch bessere Technik und verschiedene Maßnahmen deutliche Verbesserungen. Gleichzeitig muss man sich aber bewusst sein, dass Pflanzenschutzmittel – ob biologisch oder synthetisch – auch in Zukunft notwendig sein werden, um die Produktion in einem bestimmten Ausmaß zu sichern.
Eine konsequente Extensivierung der Landwirtschaft – also eine geringere und dafür nachhaltigere Produktion –, wie sie von manchen Kritikern gefordert wird, lehnen Sie ab. Warum?
Die Weltbevölkerung wächst, gleichzeitig können sich immer mehr Menschen ein Konsumverhalten wie im Westen leisten und leider werden auch immer mehr Lebensmittel weggeworfen. In der Folge braucht es jedes Jahr mehr Lebensmittel. In Europa produzieren wir aber jetzt schon weniger, als wir konsumieren. Auch Italien ist mit einem Selbstversorgungsgrad von unter 80 Prozent – Tendenz sinkend – ein Nettoimportland. Als Konsequenz müssen wir immer mehr importieren, mit längeren Transportwegen und teils aus Ländern, in denen die Menschen diese Lebensmittel selbst dringend brauchen und wo unsere Nachfrage die Preise in die Höhe treibt. Das ist ökologisch und moralisch nicht tragbar. Das Ziel muss es deshalb sein, mehr – und gleichzeitig nachhaltiger – zu produzieren.
Und das funktioniert?
Das muss funktionieren. Lebensmittel zu importieren, ist keine nachhaltige Alternative. Dessen müssen sich auch die Verbraucher bewusst sein.
Es ist aber eine Tatsache, dass die intensive Landwirtschaft nicht nur mehr produziert, sondern auch mehr verbraucht. Ein Beispiel: Ungefähr ein Viertel der weltweiten Ernten wird derzeit als Tierfutter verwendet. Damit könnte man vier Milliarden Menschen ernähren. Ein Hof mit weniger Tieren, aber mit hofeigenem Futter, würde dieses Problem lösen.
Das ist eben das Problem am Ganzen. Theoretisch geht die Rechnung auf, aber wer produziert die Lebensmittel? (überlegt) Der Grundsatz muss sein, ob am Ende der Bedarf gedeckt ist. Den heutigen Bedarf mit einer extensiven Landwirtschaft wie vor hundert Jahren zu decken, halte ich für eine Utopie.
“Beide stehen in der Verantwortung, der Produzent und der Konsument.“
In Deutschland ist seit dem Traktoren-Aufmarsch in Berlin 2019 von einem regelrechten Bauernaufstand die Rede. Die Landwirte fühlen sich durch Tier- und Umweltschützer, strengere Gesetze und zahlungsunwillige Handelsketten drangsaliert. Wie ist die Stimmung unter Südtiroler Landwirten? Ist man bereit für Veränderungen oder fühlt man sich in die Ecke gedrängt?
Beides. Deswegen braucht es jetzt mehr denn je eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage, was man sich von der Landwirtschaft erwartet und was die Landwirtschaft leisten soll. Die erste Aufgabe der Landwirtschaft ist es, die Menschen zu ernähren. Danach kommt die Frage, wie sie das auf nachhaltigere Weise machen kann und ob auch die Verbraucher bereit sind, weniger wegzuwerfen und mehr für ein Produkt zu zahlen. Es stehen beide in der Verantwortung, der Produzent und der Konsument. Ich wünsche mir daher einen konstruktiven Dialog zwischen den beiden Gruppen und nicht, dass man nur mit dem Finger aufeinander zeigt.
Bauern begreifen sich als die Ernährer der Gesellschaft, viele von ihnen beklagen aber, in dieser Rolle nicht genügend Wertschätzung zu erfahren. Sie sehen sich als Sündenböcke für alles, was gerade falsch läuft.
Es wird in der Tat oft so getan, als wären die Landwirte für alles Unheil verantwortlich. Da kann ich es gut verstehen, wenn manchen Landwirten der Kragen platzt. Es hat ja niemand das Interesse, den künftigen Generationen die Existenzgrundlage zu entziehen. Die Lebensmittel, die wir konsumieren, muss aber jemand produzieren und braucht dafür die nötigen Rahmenbedingungen. Die Artenvielfalt war am größten, wenn die Menschen noch Hunger litten. Auch das kann nicht das Ziel sein.
Es gibt andererseits Bauern, die die Zukunft aktiv mitbestimmen wollen. Sie versuchen zu verstehen, in welche globalen Zusammenhänge sie verstrickt sind. Sie wettern nicht gegen Tier- und Umweltschützer, sondern versuchen, ihre Abhängigkeit von Banken und Nahrungsmittelindustrie zu durchbrechen, zum Teil mit großem Erfolg. Was tun Sie, um solche Bauern zu unterstützen?
Wir haben in Südtirol eine ganze Reihe von tollen Projekten. Dahinter stehen Leute, die ihren eigenen Weg gehen und in der Regel keine große Unterstützung brauchen, weil sie imstande sind, bestimmte Konsumenten anzusprechen, die auch bereit sind, einen bestimmten Preis zu zahlen. Das ist eine Nische, die gut funktioniert, aber es bleibt eine Nische, weil vergleichsweise nur wenige Konsumenten bereit sind, diesen Weg mitzugehen und mehr für ihre Nahrungsmittel zu bezahlen. Im großen Stil funktionieren solche Lösungen nicht.
Anstatt zu warten, bis alle Verbraucher zu einem kritischen und umfassenden Konsumbewusstsein finden, könnte der Gesetzesgeber auch regulativ eingreifen. In Westeuropa geben die Menschen heute im Schnitt nur noch maximal 10 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es fast die Hälfte des Einkommens. Höhere Preise für hochwertigere Lebensmittel – mit allen Umverteilungsfragen, die sich daraus ergeben – wären also durchaus zumutbar?
Solange wir in einer freien Marktwirtschaft leben und der Preis aus Angebot und Nachfrage entsteht, bleiben solche Eingriffe sehr schwierig. Der geringe Preisunterschied zwischen Milch oder Mineralwasser ist im Grunde ein Skandal. Aber wer würde von höheren Preisen profitieren? Das sind dann möglicherweise wieder die Handelsketten, während der Bauer wieder nur seine 50 Cent pro Liter Milch bekommt.
Es hat ein Auseinanderdriften von Gesellschaft und Landwirtschaft gegeben.
Die Handelsketten haben eine enorme Marktmacht, deshalb diktieren sie den Preis, den sie an die Landwirte zahlen wollen. So bleiben auch die Kosten für neue Umweltauflagen und Maßnahmen oft bei den Bauern hängen. Was unternimmt die Politik dagegen?
Die Möglichkeit, Preise zu regulieren, wie gesagt, ist sehr begrenzt. Da ist zu schauen, ob man auf europäischer Ebene Druck auf die Handelsketten üben kann, letztendlich liegt es aber auch am Konsumenten, ob er bereit ist, für ein Produkt, das unter bestimmten Bedingungen produziert wurde, mehr zu zahlen.
Ich bin selbst am Land und unter Landwirten aufgewachsen. Vom Küchenfenster hatte ich freie Sicht auf eine Wiese mit einem alten Wetterkreuz. Der Bauer, der sie bewirtschaftet, hat diese Wiese nun mit Apfelreihen zugedeckt, inklusive Betonständer und Hagelnetze aus Polyethylen. Als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er mir erklärt, er habe keine Wahl gehabt. Um sein Einkommen zu sichern, habe er die Mengenproduktion erhöhen müssen – auf Kosten einer jahrhundertealten Südtiroler Kulturlandschaft. Was würden Sie so einem Bauern raten?
Das ist der nächste Trugschluss: Wir reden oft von jahrhundertealter Kulturlandschaft und das stimmt zum Teil, aber diese Kulturflächen haben sich vor allem in den Talböden laufend verändert. Obervinschgau war geprägt von riesigen Kornfeldern, die es heute alle nicht mehr gibt, weil man nicht mehr davon leben kann. Aufgrund der kleinflächigen Betriebe ist die Südtiroler Landwirtschaft nun einmal dazu verdammt, auf Kulturen und Sorten zu setzen, die eine höhere Wertschöpfung pro Hektar erzielen.
Südtirol produziert auch kaum Fleisch, konsumiert aber viel. Gleichzeitig werden Jungrinder zur Mast und zum Schlachten nach Oberitalien transportiert. Wie kann sich das ändern?
Daran arbeiten wir. Fleischproduktion hat in Südtirol keine Tradition, weil man immer schon auf Zweinutzungsrassen gesetzt hat, zunächst im Sinne der Selbstversorgung der Höfe und in einem zweiten Moment wegen der Milchproduktion. In diesem Bereich gibt es heute aber großes Potential.
Bis vor kurzem landete Ihr Ressort mit defensiven Aktionen wie gerichtlichen Klagen gegen Kritiker in den Schlagzeilen. Jetzt wollen Sie auf Dialog setzen und laden Kritiker zu Diskussionsrunden. Woher dieses Umdenken?
Probleme haben sich noch nie nachhaltig über Krieg und auch nicht über Klagen lösen lassen. Vor Gericht zu gehen, bleibt eine ultima ratio. Landwirte haben aber, wie alle anderen auch, das Recht, gewisse Grenzen zu setzen und zu sagen: Es reicht, das ist beleidigend und das lasse ich mir nicht gefallen. Dieses Recht sollte man nutzen dürfen, ohne dass einem dann nachgesagt wird, man wolle Kritiker mundtot machen.
Es ist aber doch ein Unterschied, ob die Landwirte dieses Recht nutzen oder ein Vertreter der Landesregierung.
Ich bin zum einen selbst Bauer und als Landesrat für Landwirtschaft habe ich auch die Aufgabe, mich vor die Bauern zu stellen. Ich habe das aus Überzeugung getan. Kritik ist willkommen, sie sollte aber auf Augenhöhe und mit Respekt vorgebracht werden. Diesen Respekt haben sich die Bauern verdient. Langfristig lösen wir die aktuellen Herausforderungen aber nur über Dialog. In den letzten Jahren hat es ein Auseinanderdriften von Gesellschaft und Landwirtschaft gegeben. Es ist im Interesse beider, diese Lücke wieder zu schließen.
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