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Lenz Koppelstätter
Veröffentlicht
am 31.01.2014
Meinung865 Kilometer

Zwischen den Heimaten

Veröffentlicht
am 31.01.2014
Viele Kilometer Autobahn, Zeit zum Nachdenken über die Frage: Wo ist daheim?
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Wo hört Heimat auf? Abschied nach ein paar Tagen bei den Eltern. Ich fahre aus dem Dorf raus, meinem Heimatdorf, da wo ich aufgewachsen bin, wohin ich zurückkehren werde, wenn ich irgendwann zurückkehren sollte. Ich fahre auf die Autobahn auf, an der Auffahrt, die Teil meiner Kindheitserinnerungen ist, auf die wir damals mit unserem Familienauto, einem weißen Ford Fiesta, schon aufgefahren sind, an jenen endlos langen Kindersommertagen als wir ans Meer gefahren sind. Punta Sabbioni. Campingplatz. Die Autobahnauffahrt bedeutete Urlaubsabenteuer. Die Autobahn runter Richtung Meer, ein letzter Blick aufs Heimatdorf, bald hörten die Berge auf, bald konnte man es nicht mehr erwarten: „Tati, wia long fohrn mr nou?“

Jetzt geht es auf der Autobahn in Richtung Norden. 865 Kilometer. Ich fahre an Bozen vorbei, meiner Heimatstadt, ich fahre durchs Eisacktal. Ist das noch Heimat? Wo ist die Grenze von Heimat? Der Brenner? Aber ich bin ja immer noch in Tirol. Kufstein? Aber da sind ja immer noch die Berge. Die Alpen, das ist doch Heimat. München? Auch noch ein kleines bisschen Heimat. Das war doch immer die Stadt, in die man gefahren ist, wenn man mal raus wollte aus Südtirol. Wenn man mal was Größeres sehen wollte als Bozen. An der Allianz-Arena vorbei, München hinter sich lassen. Bald empfängt man Ö3 nicht mehr. Da muss jetzt irgendwo diese innere Grenze liegen, ab der das Heimatgefühl plötzlich ganz verschwunden ist. Ich glaube, ab München bin ich ganz weg von dem, was man Heimat nennt.

Ewig lange fahre ich durch dieses ewig große Bayern, man muss da mal ganz durchfahren, um zu merken, wie groß das ist, um zu kapieren, warum die so ein Selbstvertrauen haben, die großen Bayern. Mein Mietwagen vollbepackt. Früher dachte ich immer, wenn ich mal ein eigenes Auto habe, dann bin ich erwachsen. Jetzt bin ich über 30 und fahre immer noch mit einem Mietwagen. Wann werde ich mir mein eigenes Auto kaufen? Wenn ich mal wieder zurück in die Provinz ziehe?

Als Student bin ich immer mit dem Zug gefahren. Den ganzen Tag im Zug von Berlin nach Südtirol und umgekehrt. Den ganzen Tag, was für eine Strapaze. Jetzt Mietwagen. Zwei Red Bull gegen die Müdigkeit. Das hilft tatsächlich. Auf der Autobahnraststätte vor dem Brenner noch einen letzten Kaffee getrunken und einmal Gratta-e-vinci gespielt. Fünf Euro Einsatz, 20 Euro gewonnen. Ab dem Brenner lieber Red Bull als Kaffee (aber das Thema hatten wir ja schon). Red Bull schmeckt nach Jugend. Nach Après Ski, Sonntagnachmittag auf der Ganischger Alm.

Das Auto, wie gesagt, vollbepackt: Weinkartons, Spumante, Speck, Kaminwurzen, Schüttelbrot, Olivenöl, Kaffee, Fonzies, Parmesan, Crodino, eingelegte Tomaten, eingelegte Zucchini, eingelegte Melanzane (oder Aubergine, wie die Deutschen sagen), Gel von L'Oréal Volume 10 (in Deutschland gibt es nur die unteren Stufen), Fiesta-Brioche, Lattella, Grissini, Spuma, Cynar, Montenegro, Thunfisch, Barilla-Nudeln, Barilla-Sughi. Einiges davon gibt es auch in Berlin, aber es ist ein schönes Gefühl, es dorthin mitzubringen.

Immer noch Bayern, Bayern zieht sich. Dann die ehemalige innerdeutsche Grenze. Man sieht sie immer noch. Die perfekt geteerte Straße wird zur Rüttelrampe. Aber mir bedeutet die Grenze nichts. Beide Seiten sind mir fremd. Als in Berlin die Mauer fiel, da war ich neun. Da oben in Deutschland da feiern die Leute, da ist irgendetwas passiert, das habe ich mitbekommen damals, mehr nicht. Meine ersten Kindheitserinnerungen: Italia 90. Das war ganz nah. Da haben wir die Pannini-Bilder gesammelt. Ich war für Italien. Aber auch für Deutschland, weil ich Interista war und bin. Bei Inter haben Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann gespielt. Die sind dann Weltmeister geworden.

Durch die Wälder vor den Toren Berlins. Langsam kommt es wieder: das Heimatgefühl. Nicht so wie in meinem Heimatdorf. Anders. Das Gefühl bald dort zu sein, wo ich jetzt daheim bin. Das angenehme Gefühl, jetzt bald wieder in meiner Wohnung zu sein. Ich sage mittlerweile „Wohnung meiner Eltern“, wenn ich die Wohnung meine, in der ich aufgewachsen bin, in der meine Eltern immer noch leben, in der ich früher wie selbstverständlich den Kühlschrank geöffnet habe, weil es ja auch mein Kühlschrank war. Heute frage ich, bevor ich ihn öffne. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, in dem meine Eltern sind, das ist Heimat, dort werde ich immer daheim sein, aber ich bin jetzt auch irgendwo anders daheim, auf eine andere Art.

Angekommen in meiner Wohnung. Kühlschrank auf, Tiefkühlfach auf. Mitbringsel rein. Und was bringt man so mit nach Hause vom Urlaub daheim?

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