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Es gibt unheimlich viele Theorien, die sich um das alte Ägypten im Allgemeinen und den Bau der Pyramiden im Besonderen ranken. Es scheint etwas an dieser Kultur zu geben, dass die Menschen an der „offiziellen“ Version der Geschichte zweifeln lässt. In meiner extensiven YouTube-Recherche, die nicht nur meinen Suchalgorithmus zerstört hat, sondern auch die eine oder andere Gehirnzelle, bin ich auf die wildesten Theorien gestoßen. Hier die zwei beliebtesten: Die alten Ägypter konnten mit der damaligen Technologie keine so großen Bauwerke schaffen. Also hatten sie Hilfe, entweder von Wesen eines anderen Planeten oder von einer noch älteren, weit fortgeschrittenen Zivilisation.
Die Aliens/Supermenschen haben geholfen, die Pyramiden zu bauen, die in Wirklichkeit keine Gräber, sondern entweder Maschinen zur Erzeugung von freier Energie oder eine Art kosmische Antenne waren. Nach dem Bau sind sie dann, ohne eine andere Spur zu hinterlassen, verschwunden. Dabei haben alle Videos, die ich angeschaut habe, eines gemeinsam: Sie nutzen Lücken im etablierten Wissen aus, um sie mit fantastischen Theorien zu füllen, die sie weder beweisen können noch wollen. Bevor wir aber dieser notorischen Suche nach einer versteckten Wahrheit auf den Grund gehen, klären wir erstmal, wer denn die Pyramiden wirklich gebaut hat.
Keine Aliens, keine Geistwesen und keine frühere fortschrittliche Kultur, die dann spurlos untergegangen ist (vielleicht ist sie mit den Aliens mitgeflogen).
Wer hat die Pyramiden gebaut?
Die Ägypter. Es waren die Ägypter, die die Pyramiden gebaut haben. Noch mal für alle zum Mitschreiben, d-i-e-Ä-g-y-p-t-e-r. Oder die Maya, Inka, Azteken. Keine Aliens, keine Geistwesen und keine frühere fortschrittliche Kultur, die dann spurlos untergegangen ist (vielleicht ist sie mit den Aliens mitgeflogen). Es gibt keine Faktenbasis für die sogenannte „Pyramidenverschwörung“.
Warum stehen dann überall in der Welt Pyramiden, das kann doch kein Zufall sein?
Versetzt euch in eine antike Zivilisation hinein. Ihr wollt eurem Gottkönig was Gutes tun und ihm ein richtig beeindruckendes Bauwerk schenken. Ihr habt Material und Werkzeuge, könnt ziemlich gut rechnen, habt aber leider das Rad noch nicht erfunden. Was ihr vor allem habt, ist Manpower und Zeit. Beeindruckende Bauwerke sind vor allem eins: hoch. Wie könnt ihr also mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung habt, ein möglichst hohes Bauwerk schaffen? Ganz klar: in Form einer Pyramide, die ist nämlich unten breit (gutes Fundament), und man kann ohne gefinkelte technische Hilfsmittel ziemlich dicke Dinger in die Landschaft setzen.
Ein bisschen Astronomie, Mathematik, ein Fluss und unheimlich viel Arbeit
Versteht mich nicht falsch, der Bau der Pyramiden von Gizeh ist eine Meisterleistung der antiken Zivilisation. Es beginnt schon mit der Ausrichtung des auf den Millimeter genau rechteckigen Fundaments, das exakt nach den vier Himmelsrichtungen ausgelegt wurde. Das setzt nicht nur genaue Kenntnis der Sterne und ihrer Bahnen voraus, sondern erfordert auch abstrakte Mathematik, wie etwa Trigonometrie und Algebra. Die Steinblöcke waren durchschnittlich 2,5 Tonnen schwer, wurden im Steinbruch millimetergenau behauen und mit dem Schiff über einen mittlerweile ausgetrockneten Nebenarm des Nil zum Fuß der Pyramiden gebracht, wie ein Team von Forscher:innen erst dieses Jahr herausgefunden hat. Die Steine wurden mit Schlitten, die von hunderten Arbeitern gezogen wurden, über ein System aus Rampen nach oben transportiert.
Alle Theorien, die mit Aliens, Geistwesen oder anderen übersinnlichen Wesen zu tun haben, haben einen kritischen Schwachpunkt. Sie können nicht bewiesen werden.
Es ist nicht ganz geklärt, wie die Rampen genau angeordnet waren, aber es gibt mehrere Möglichkeiten (hier meine Lieblingstheorie). Ein solcher Bau ist durchaus im Bereich der damaligen technischen Möglichkeiten, ist allerdings für uns schwer vorstellbar aufgrund seines enormen Material- und Arbeitsaufwandes. Man schätzt, dass am Bau der großen Pyramide direkt bis zu 20.000 Menschen auf einmal beteiligt waren. Was mich an diesem Bauvorhaben am meisten fasziniert, ist dabei die Logistik und Organisation, die es benötigt, um eine solche Vielzahl an Arbeiter:innen zu füttern, ihnen ein Dach über den Kopf zu geben, und sie zu motivieren, eine solche Monsteraufgabe gemeinsam zu bewältigen. Es ist also eine erstaunliche Leistung, ein solches Bauwerk zu schaffen, aber es ist nicht übersinnlich.
„Aliens“
Womit wir wieder bei den Aliens wären. Ich könnte euch noch tiefer in das Rabbithole mitnehmen, aber alle Theorien, die mit Aliens, Geistwesen oder anderen übersinnlichen Wesen zu tun haben, haben einen kritischen Schwachpunkt. Sie können nicht bewiesen werden. Es gibt keine Beweise für prähistorischen Kontakt mit Außerirdischen, außer die abstrusen Theorien, die sich in die vorhandenen Wissenslücken hineinfabulieren lassen. In der Wissenschaft wird meistens nach dem Aufstellen einer Theorie nach Beweisen für- oder gegen diese gesucht. Wenn ich etwa die Theorie aufstelle, die alten Ägypter haben sich nur vegetarisch ernährt, dann kann ich schriftliche Quellen nach Kochrezepten oder Einkaufslisten durchstöbern und in Ausgrabungen von antiken Wohngebieten und Müllhalden nach Gemüse suchen.
Wenn ich in den Quellen oder im Feld neben Gemüse aber noch Spuren von abgenagten Tierknochen finde, ist meine Theorie widerlegt und ich muss sie modifizieren. So hangelt sich die Wissenschaft an Theorien und deren Überprüfung entlang. Im Reich der Verschwörungstheorien ist allein die Theorie schon ausreichend. Das Fehlen von Beweisen wird als Verschwörung der „Mainstream-Wissenschaft“gedeutet und bestätigt die Verschwörung. Dabei würden alle Archäolog:innen, die ich kenne, komplett aus dem Häuschen sein, wenn es Beweise für antike Aliens oder eine untergegangene Superzivilisation geben würde. Nur gibt es diese nicht.
Das Verschwörungs-Virus
Warum sich Verschwörungstheorien hartnäckig halten, hat ähnliche Gründe wie die Beliebtheit von Horoskopen. Sie bieten eine Erklärung für ungeklärte oder unaufklärbare Fragen und ein Gefühl von Klarheit in unserer komplizierten Welt. Vor allem vermitteln sie das Gefühl, zu einem exklusiven Kreis Eingeweihter zu gehören, die über einen Wissensvorteil verfügen. Kein Wunder, dass es einen Zusammenhang zwischen Angstzuständen (anxiety), Stress und dem Glauben an Verschwörungstheorien gibt. In unserer zunehmend komplexen Welt sind Verschwörungstheorien oft der einfachere Ausweg, eben weil sie nicht bewiesen werden müssen. Hier liegt auch die große Gefahr dieser Theorien: Wer sich dieses Denkmuster einmal zu eigen gemacht hat und sich unreflektiert auf – an sich harmlose – YouTube- oder Tiktok -Videos über die Pyramidenverschwörung ansieht, wird auch empfänglicher für weitaus gefährlichere Theorien. Dem Algorithmus sei Dank werden diese auch gleich in den Vorschlägen geliefert. Spätestens seit Donald Trump, der immer noch die Verschwörungstheorie von der gestohlenen Wahl 2020 verbreitet, ist es offensichtlich, was solche Theorien in einer explosiven Gemengelage anrichten können.
Es gibt erwiesenermaßen Verschwörungen, wie etwa die
Wie kann ich Wahrheit von Fiktion unterscheiden?
„Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind“, hat Kurt Cobain schon in den 1990ern gesungen. Es gibt erwiesenermaßen Verschwörungen, wie etwa die Massenüberwachung unserer Mobiltelefone, die sich als wahr herausgestellt haben. Auch die Archäologie und die Wissenschaft im Allgemeinen hat sich oft schon geirrt. Einige wissenschaftliche Fragen werden für immer unbeantwortet bleiben, entweder weil die Beweise dafür oder dagegen fehlen, weil die Untersuchungsmethoden unzureichend sind, oder weil wir uns einfach die falschen Fragen stellen. Wie kann man also als Nicht-Experte Fakt von Fiktion unterscheiden?
Die unbefriedigende Antwort ist, dass wir es in letzter Konsequenz nicht können. Es gibt in der Wissenschaft keine absolute Sicherheit. Es gibt aber ein Prinzip, mit dem man sich helfen kann, die plausibelste Antwort auf eine Frage zu finden: das Rasiermesser von William von Occam oder Occam’s Razor. Der Namensgeber war ein englischer Philosoph und Theologe im 14. Jahrhundert, aber die Maxime, die er formuliert hat, ist schon viel älter. Im Prinzip besagt sie, dass, wenn wir zwei gleichwertige Hypothesen haben, um ein Phänomen zu erklären, wir immer die bevorzugen sollten, die am wenigsten Elemente/Voraussetzungen benötigt. Einfach gesagt: Die simpelste Erklärung ist meistens die Beste. So werden überflüssige Annahmen nach und nach wegrasiert. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Theorie kein allgemeines Gesetz ist. Manchmal sind die komplexeren Erklärungen die richtigen und manchmal kennen wir nicht alle Bedingungen, die zu einem Ergebnis führen. Aber als theoretische Überlegung zum Prüfen von zwei konkurrierenden Theorien, ist dieses Werkzeug äußerst hilfreich.
Wenn ich also wetten müsste, wer die Pyramiden gebaut hat, würde ich mein Geld eher auf die alten Ägypter setzen.
Lassen wir die meisten Verschwörungstheorien über das Rasiermesser springen, wird schnell bewusst, wie schwach sie gegen die „etablierten“ Theorien sind. Unsere Theorie, dass die alten Ägypter die Pyramiden gebaut haben, müssen wir annehmen und zwar, dass sie das mit einfachsten Werkzeugen, viel Einfallsreichtum, in langer Zeit und mit viel Arbeit gemacht haben. Die bis jetzt gefundenen Beweise passen in diese Hypothese, auch wenn es noch einige Unklarheiten gibt, etwa wie genau die Steinblöcke über Rampen nach oben befördert wurden.
Wenn unsere Theorie lautet, Aliens haben beim Bau geholfen, müssen wir annehmen, dass diese hunderte Lichtjahre gereist sind, um uns mit ihrer Technologie zu helfen, dass die Technologie selbst und sonst keine anderen Spuren oder Botschaften erhalten geblieben sind und auch die Ägypter sie nirgends erwähnt haben. Wenn man auch noch an eine Verschwörung der Mainstream-Wissenschaft glaubt, muss man annehmen, dass in mehr als 100 Jahren Ägyptologie kein einziger der Mitverschwörer:innen die Geheimnisse preisgegeben hat. Wenn ich also wetten müsste, wer die Pyramiden gebaut hat, würde ich mein Geld eher auf die alten Ägypter setzen.
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