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Es ist mir letzthin öfter aufgefallen. Wenn ich den eigenen psychischen Zustand in ein offenes Gespräch einfließen lasse, dann bekomme ich erstens sehr viel Verständnis entgegengebracht, was zeigt, wie viel Menschlichkeit in unserer Gesellschaft noch immer steckt und zweitens – und das ist das eigentlich Interessante, das mich zum Verfassen dieser Zeilen veranlasst – ich bekomme sehr viel Ehrlichkeit und Eingeständnisse zurück. Ein: „Ich kenne das sehr gut, mir geht es nämlich genauso.“ Oder aber ein: „Es geht so vielen gleich wie dir. Erst kürzlich habe ich mit jemandem gesprochen, die dasselbe durchmacht.“
Es geht um diese gesellschaftlichen Tabuthemen – gerade was das Muttersein betrifft und somit sehr viele Frauen. Ein anhaltendes Überfordert-Sein. Eine emotionale Krise oder Krisen innerhalb der Partnerschaft. Eine psychische Krankheit. Eine Kombination sehr vieler dieser Komponenten. Und: die Nutzung von Medikamenten, um all diese Belastungen zu ertragen, die einen Tag für Tag zu Boden drücken. In sehr vielen Gesprächen, die ich in den letzten Monaten geführt habe, bin ich also mit diesem Gedanken rausgegangen: „Krass, wie viele Mütter medikamentöse Unterstützung benötigen, um in diesem System zu überleben.“ Betrifft das nur mein Umfeld? Tut es nicht.
Ernüchternde Studien
Die Überforderung von Frauen mit Kindern hat einen Namen: „Mütter-Burnout“ – ein Begriff, der immer öfter in den sozialen Medien auftaucht und der zusammenfasst, was viele Frauen durchleben, ohne dass es ihnen häufig bewusst ist. Das Phänomen des „Mütter-Burnouts“ wurde durch eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigt. Das Forschungsteam hat dabei die Daten von Krankenkassen zu Müttern bis vier Jahre nach der Geburt eines Kindes ausgewertet. Die Studie zeigt: In diesen vier Jahren verschlechtert sich der physische, vor allem aber der psychische Gesundheitszustand der Frauen deutlich. Nach der Geburt steigen die Verschreibungen von Schmerzmittel, Antidepressiva und die Anzahl von Psychotherapien deutlich an – und das, obwohl die Frauen vor und während der Schwangerschaft eine gute psychische Gesundheit aufwiesen. Zu wenig Schlaf, Sport oder andere Freizeitaktivitäten tragen zusammen mit der Carearbeit und vielen anderen, oft sehr individuellen Belastungen, zur schlechten psychischen Verfassung vieler Mütter bei: Sie sind mental und körperlich stark erschöpft. Wie viele das sind, zeigt eineforsa-Umfrage. Laut dieser fühlen sich aktuell 62 Prozent der Eltern von minderjährigen Kindern häufig oder sehr häufig gestresst. Fast 70 % fühlen sich infolge hoher Belastungen erschöpft oder ausgebrannt, 40 % waren aufgrund dessen schon niedergedrückt oder depressiv. Dabei leiden Frauen häufiger an stressbedingten psychischen Krankheitsbildern – nicht etwa, weil sie seelisch instabiler sind als Männer, sondern einfach viel stärker belastet sind.
Frauen sind zu sehr damit beschäftigt, das Familienrad am Laufen zu halten und merken dabei oft gar nicht, wie sehr sie außer Puste sind.
Burnout und das chronische Erschöpfungssyndrom haben keine einheitlich definierten Symptome, aber Migräne, Kopfschmerzen oder Verspannungen, Verdauungsprobleme, Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, anhaltende Müdigkeit und das immerwährende Gefühl, dass der Kopf niemals Pause hat – diese Symptome kennen sehr viele Mütter. Die Frage lautet: Ist es eine temporäre Belastung oder verbirgt sich eine ernsthaftere psychische Erkrankung dahinter? Wenn ich mich in meinem Umfeld so umschaue, dann merke ich, dass viele der Frauen häufig nicht mal die Zeit und/oder die Kraft haben, sich mit dieser Fragestellung oder gar mit sich selbst und auseinanderzusetzen („Werd schun wieder oanfocher werdn“). Sie sind zu sehr damit beschäftigt, das Familienrad am Laufen zu halten und merken dabei oft gar nicht, wie sehr sie außer Puste sind. Kein Wunder also, wenn Mama nicht mehr will, wenn Mama in der Dusche heimlich weint.
Und dann gibt es jene Frauen, die merken: „Oha, mir geht es gar nicht gut“ und dann der in der Apotheke stehen und nach Vitaminen fragen, die sie etwas pushen, „weil die Energie ein bisschen fehlt“ oder die nach Beruhigungsmitteln googeln, die den Stress etwas lindern sollen. Und natürlich die Mütter – und das scheint laut genannter Studie letzthin immer öfter der Fall zu sein –, die sich an das ärztliche und psychologische Fachpersonal wenden und nicht nur um therapeutische, sondern auch medikamentöse Hilfe bitten. Für mich verständlich: Weil sie weiterhin funktionieren müssen. Weil Mütter die unbezahlte Carearbeit zum Großteil immer noch alleine leisten, fast immer den gesamten Mental Load alleine tragen und das alles auch noch ganz selbstverständlich und lächelnd ertragen müssen. Laut der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen Eurofound leisten 92 % der Frauen in der EU regelmäßig, also mindestens einige Tage pro Woche, unentgeltliche Sorgearbeit – bei den Männern sind es 68 %. Täglich übernehmen 81 % der Frauen Betreuungsaufgaben, bei den Männern sind es knapp halb so viele. Bei Müttern von Kindern unter 18 Jahren sind es sage und schreibe 88 %, bei Vätern 64 % – unabhängig davon, ob Frauen einem Beruf nachgehen oder nicht.
Da helfen auch kleine Mama-Auszeiten auf Dauer nichts. Denn sobald die Me-Time vorbei ist, wartet das Patriarchat mit erhobenem Zeigefinger.
Das patriarchale System lastet dermaßen auf den Schultern der Mütter, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als die Traurigkeit, die Überforderung und die Erschöpfung hinunterzuschlucken und irgendwie weiterzumachen. Genau diese Tatsache stimmt wütend: Weil frau schlichtweg nichts anderes übrig bleibt. Da helfen auch kleine Mama-Auszeiten auf Dauer nichts. Denn sobald die Me-Time vorbei ist, wartet das Patriarchat mit erhobenem Zeigefinger. Viel zu oft noch hinter der eigenen Haustür. Im Job. In der Politik. In den gesellschaftlichen Erwartungen und im Ideal der bedingungslosen Mutterschaft. Die Realität macht es einer Frau fast unmöglich, eine berufstätige Mutter zu sein, ohne am Rande der kompletten Überforderung zu stehen – Schuldgefühle, familiäre Spannungen, psychische Belastungen und Ängste inklusive. Und nein, das hat nichts mit Jammern zu tun.
Wir sollten zugeben dürfen: „Es ist mir alles zu viel.“
Mütter brauchen keine Blogartikel zur Selbstfürsorge, sondern eine gesellschaftliche Veränderung, die – und das ist zusätzlich bitter – unsere Generation und vermutlich auch unsere Töchter nicht mehr erleben werden: eine gerechte und selbstverständliche Aufteilung der Carearbeit und der Abbau patriarchaler Grundstrukturen sowie etwas weniger Mum-Bashing. Vielleicht können wir ja da mal ansetzen. Denn das einzige, was wir aktiv und unmittelbar ändern können, ist nämlich, offen und vorurteilsfrei über die Themen zu sprechen, die uns belasten. Über die Ängste und Nöte, die Überlastung. Wir sollten zugeben dürfen: „Es ist mir alles zu viel.“ Und wir können anderen Frauen darauf antworten: „Das ist total ok.“ oder: „Ich kenne das. Mir geht es genauso.“ Und dann fühlt man sich in seinem Zustand nicht mehr ganz so alleine. Tabus sind nur so lange Tabus, so lange wir als Gesellschaft nicht über sie sprechen. Warum tun wir das also nicht?
Und wie heißt es immer: Eigentlich sollten nicht die Symptome, sondern immer die Ursache für eine Erkrankung bekämpft werden. Schade also, dass es keine Pille gegen das Patriarchat gibt, das letztlich der Grund dafür ist, dass so viele Mütter sich schnappatmend über Wasser halten müssen.
Deep Dive:
https://eige.europa.eu/sites/default/files/documents/20203246_mh0320445den_pdf.pdf
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