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Das Meer, das so krass wunderschön und gewaltig ist, zeigt mir, dass ich mit meinen Nichtigkeiten ganz klein und egal bin.
S. 116Ida will nach dem Tod der Mutter weg. Muss weg. Weg aus der Wohnung. Weg aus der Kleinstadt. Aber wohin? Nach Hamburg, zu ihrer Schwester Tilda, will sie auf keinen Fall. Mit dem Hartschalenkoffer ihrer Mutter, in den sie ein paar ihrer Lieblingsklamotten geschmissen hat, und ihrem MacBook sucht sie am Bahnhof nach einem Zug, der am weitesten wegfährt – sie landet auf der Insel Rügen. Ida wirft sich in die kalte Ostsee, und sie schwimmt. Schwimmt gegen die Kälte und die Wellen. Gegen ihre Trauer, ihren Schmerz und den großen Wutklumpen im Bauch. Sie schwimmt gegen sich selbst. Aber nicht mal das Meer hilft ihr dabei, das alles loszulassen. Die Schuldgefühle, dass sie ihre Mutter nicht retten konnte, sind zu stark. Mit Tilda spricht sie auch nicht mehr und das Geld wird knapp, ihr Konto ist leer. Als sie auf der Strandpromenade eine Kneipe mit dem Namen „Zur Robbe“ entdeckt und den Namen mag, beschließt sie, dort nach einem Job zu fragen. Der Kneipenbesitzer Knut gibt ihr eine Arbeit und kurz darauf nehmen er und seine Frau Marianne Ida bei sich auf. Zu dritt frühstücken sie jeden Morgen Aufbackbrötchen mit Eszet-Schnitten, den Tag verbringt Ida mit Marianne, sie walken gemeinsam oder spielen etwas. Abends geht sie mit Knut in die „Robbe“. Sie lernt Leif kennen, der ähnlich versehrt ist wie sie. Und für kurze Zeit fühlt sich leben wieder etwas leichter an. Doch dieses Gefühl von Unbeschwertheit ist nur von kurzer Dauer, denn schon bald gerät Idas Welt erneut ins Wanken.
Ich kann mir keine Geschichte mehr ausdenken, weil ich immerzu an die Geschichte denke, die mir passiert ist.
S. 78Nach „22 Bahnen“ knüpft Caroline Wahl die Geschichte von Tilda und Ida in ihrem Roman „Windstärke 17“ an. Die Geschichte spielt 10 Jahre später und dieses Mal geht es um Ida. Ida, die nach dem Tod der Mutter nicht weiß wohin mit ihrer Trauer, ihrem Schmerz und vor allem nicht mit ihrer Wut. Sie ist wütend auf sich. Auf Tilda. Auf die Mutter. Auf die Welt. Wut ist einfacher als Traurigkeit und Schuldgefühle, denn diese Gefühle schmerzen viel mehr. Es ist die Geschichte von Ida. Eine Geschichte über Töchter, Schwestern und Mütter. Familie und Beziehungen. Über Loslassen und Neubeginn. Liebe, Einsamkeit und Hoffnung. Über Schuld und Verzeihen – sich selbst und anderen.
Das laute Rauschen der Ostsee und des Windes tun gut, weil das Schweigen dann nicht so dröhnt
S. 190Caroline Wahl hat es wieder geschafft. Mit ihrem unverwechselbaren Sound hat sie sich mit „Windstärke 17“ mitten in mein Herz geschrieben. Mein Herz ist aufgeblüht, zersprungen, es hat geweint, gehofft, geschrien und gelacht. Und am Ende hat es vor allem geliebt: die Geschichte, die Figuren, einfach alles. Der Roman ist ehrlich und leicht. Frei heraus und witzig. Ernst und ironisch. Caroline Wahl besitzt das große Talent, mit ihren Worten, Dialogen und Beschreibungen zu berühren und unterschiedliche Emotionen im fast gleichen Moment zu erzeugen. Sie schreibt kurze Sätze. Prägnant und pointiert. Und löst dabei ganz viel Gefühl aus. Ein Buch, das unvergessen im Herzen bleibt und von dem man möchte, es möge nie enden, denn man weiß: Die Figuren und einfach alles werden fehlen. „Windstärke 17“ ist ein krass-traurig-schöner Roman. Ein ganz großes Lesehighlight.
Viel Liebe für Ida. Das Meer. Leif, Marianne und Knut. Für das Buch und Caroline Wahl.
Es riecht nach Herbst, obwohl es noch nicht Herbst ist, und es weht eine schwache Brise, drei Windstärken schätze ich. Mindestens 17 Windstärken in mir.
S. 252„Windstärke 17“ von Caroline Wahl ist im Dumont Buchverlag erschienen.
Mehr feministische Lesetipps unserer Buchbloggerin Carmen Waldthaler
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