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Kathrin Runggatscher
Veröffentlicht
am 12.08.2024
LabernScience Shorts

Sterne lügen nicht – oder doch?

Veröffentlicht
am 12.08.2024
Im Sommer beschäftigt sich Science Shorts mit Übersinnlichem – Dingen, die die Wissenschaft nicht erfassen kann. Was ist dran an Horoskopen, Mondkalendern und Human Design? Und wer hat die Pyramiden wirklich gebaut? Für diese Ausgabe hat sich unsere Wissenschaftskolumnistin den Astrologie-Boom genauer angeschaut und dabei viel über das Patriarchat und Kapitalismus gelernt.
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Astrologie erfährt schon seit einiger Zeit wieder ein Comeback. Astrologie ist hipp, queer und feministisch. Vor allem auf TikTok wimmelt es nur so von Astrolog:innen, die uns Millennials und der GenZ erklären, wie unser Leben von den Sternen bestimmt wird. Dabei war Astrologie gefühlt immer schon da und eigentlich nie weg. Schon vor 5.000 Jahren haben Menschen im alten Babylon zu den Sternen geschaut, um ihre Zukunft zu erfahren. Die ersten Sternenkarten gibt es nicht etwa, weil Menschen mehr über das Universum herausfinden wollten, sondern weil sie so möglichst genau ihr Horoskop bestimmen konnten. Bis vor ca. 300 Jahren waren Astronomie und Astrologie ein und dasselbe Fach. An dieser uralten Wissenschaft muss doch also etwas dran sein, oder?

Meine Sterne
Als Erstes habe ich für diese Recherche natürlich mein Geburtshoroskop berechnen lassen und meine Daten in einen Online Rechner eingegeben. Das Ergebnis kommt – KI sei Dank – äußerst schnell und überraschend persönlich. Dass ich Sternzeichen Waage bin, wusste ich schon. Von diesem kommt mein Bedürfnis nach Harmonie und meine Diplomatie. Mein Aszendent (das Sternbild, das genau zum Zeitpunkt meiner Geburt ganz im Osten liegt), ist Jungfrau, was anscheinend meine Liebe zu Daten und Fakten erklärt. Mein Mondzeichen Zwillinge, soll mir Neugierde und Anpassungsfähigkeit verleihen; eigentlich keine schlechten Voraussetzungen für eine Wissenschaftskolumnistin. Eine komplizierte Grafik mit Kreisen und Linien bekomme ich auch angezeigt. Ich will noch mehr über mein Schicksal erfahren und den 46-seitigen (!) Bericht herunterladen. Der kostet aber leider zwölf Dollar und so weit geht meine Zwillings-Neugier dann doch nicht.

Astrologie, eine genaue Wissenschaft?
Horoskope werden genau berechnet, man braucht dazu Sternenkarten, Lineale und ganz schön viel Mathematik. Die genaue Berechnung zu erklären, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, aber wer mehr darüber erfahren will, kann sich dieses Video anschauen. Astrologie ist also genau, aber ist sie auch eine Wissenschaft? Nicht unbedingt, denn nur weil etwas präzise berechnet werden kann, heißt das nicht, dass das Ergebnis am Ende stimmt. Wenn ich in der Grundschule fünf Äpfel und zwei Birnen zusammenzähle, habe ich nicht auf einmal sieben Stück Obst in der Hand, sobald ich das Ergebnis ausgerechnet habe. Ähnlich ist es mit den Berechnungen der Astrologie. Sie sind zwar genau und es stimmt zum Beispiel, dass das östlichste Sternzeichen bei meiner Geburt Zwillinge waren, aber das gibt mir nicht automatisch die Eigenschaften, die dem Ergebnis zugeschrieben werden. Astrologie „leiht“ sich also Methoden aus seriösen Wissenschaften und erscheint so selbst seriös.

Wie soll das funktionieren?
Man kann rechnen, so lange man will: Sternzeichen bestimmen weder die Persönlichkeit noch die Zukunft, was in zahlreichen Studien mit tausenden Teilnehmenden bestätigt wurde. Wenn Astrologie stimmen würde, wäre das auch aberwitzig. Die Sterne, die unsere Sternbilder bilden, sind irgendwann vor ca. 4.000 Jahren von den Sumerern willkürlich zusammengestellt worden (pattern recognitionlässt grüßen) und sind hunderte Lichtjahre von uns und voneinander entfernt. Wie sollen so weit entfernte und zufällig ausgewählte Objekte einen Einfluss ausüben? Zusätzlich haben sich alle Tierkreiszeichen seit der Antike verschoben, weil sich die Neigung der Erdachse leicht geändert hat. Das heißt, die Sonne war bei meiner Geburt nicht mehr in der Waage, sondern im Skorpion (was mich auf einmal streitlustig und zäh machen würde). Weil die Astrologie aber immer noch die antiken Sternenkarten für ihre Berechnungen verwendet, haben sie diesen Shift einfach ignoriert. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass es sich bei der Astrologie um keine Wissenschaft handelt. Neue Informationen werden in der seriösen Wissenschaft nach genauer Prüfung in das bisherige System aufgenommen und – sollten sie dem System widersprechen – wird nicht das Wissen ignoriert, sondern das System geändert.

Das Sternzeichen Waage. Die Hauptsterne sind zwischen 120 und 70 Lichtjahre von der Erde entfernt.

A little Something for Everybody
Wir glauben immer noch an Astrologie, weil Horoskope unser Bedürfnis nach Halt und Sicherheit befriedigen und dabei einige psychologische Tricks anwenden. In der letzten Ausgabe von Science Shorts habe ich schon einige dieser Tricks beschrieben. Der Confirmation Bias schlägt auch beim Horoskop voll zu und wir werden uns zutreffende Dinge, die uns das Horoskop vorhersagt, eher merken, als gegenteilige Beispiele. 

Was aber bei Horoskopen noch dazu kommt, ist der Barnum Effekt. Der ist nach dem amerikanischen Erfinder des Showbusiness PT Barnum benannt, der Ende letzten Jahrhunderts ein – nach heutigen Standards äußerst problematisches – Kuriositätenkabinett betrieb. Sein Motto „A little Something for Everybody“ („Etwas ist für jeden dabei“) beschreibt genau die Wirkungsweise von Horoskopen. Allgemeine und vage Aussagen über die eigene Persönlichkeit werden von uns als zutreffend und speziell auf uns zugeschnitten wahrgenommen. Wenn mein Geburtshoroskop mir sagt, ich sei „diplomatisch, neugierig und anpassungsfähig“, trifft das auf mich zu. Aber es trifft auch auf die meisten anderen zu, denn niemand würde von sich behaupten, streitlustig, gleichgültig und unflexibel zu sein. 

Astrologie ist harmlos, oder?
Durch die positive Bestärkung finden Menschen in diesen Aussagen Halt und Selbstvertrauen – vor allem in unsicheren Zeiten. Es ist also nicht verwunderlich, dass junge Generationen und vor allem junge Frauen* in unserer patriarchalen und krisengebeutelten Welt in die Astrologie flüchten. Die Beschäftigung mit dem Schicksal, das in den Sternen steht, suggeriert ihnen Kontrolle, eine Art Wissensvorteil, und hilft bei der Identitätsfindung.

Wenn also Menschen durch Horoskope Kontrolle und Selbstvertrauen gewinnen, auch wenn die Basis dafür Unfug ist, haben Horoskope auch ihre Daseinsberechtigung, oder? Ich persönlich bin bei dieser Frage zwiegespalten. Einerseits ist Astrologie harmlos und Horoskope können – wie Mondkalender – auch ohne wissenschaftliche Basis kleine Alltagshelfer sein. Außerdem ist ein Großteil des Astrologie-Contents auf Tiktok eher humorvoll und mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Zum Horoskop gehört für die meisten Leser:innen dazu, dass man es nicht so ernst nimmt. Wenn Menschen daraus positive Emotionen ziehen oder es für ihr Selbstvertrauen hilft, will ich das natürlich nicht schlechtreden. Andererseits frage ich mich oft, welchen Nutzen ich aus der – absichtlich – allgemeinen Beschreibung meines Innenlebens ziehen kann. Wird man wirklich nachhaltig empowered, nur weil man ein Astrologie-Video auf TikTok gesehen hat? Fördern die willkürlichen Klassifizierungen zwischenmenschliche Beziehungen oder dienen sie zur Ausgrenzung? Und füttert die ständige Selbstbeobachtung nicht eher unseren – eh schon durch social media ausgeprägten – Narzissmus?

It’s a girl money thing
Vor allem beim neuen Astrologie-Hype auf Tiktok und Instagram ist die Abzocke meistens nicht weit. Von Horoskopen kommen die Astro-Influencer:innen schnell zu Sternzeichen-Geburtssteinen, die es zufälligerweise mit dem Rabattcode unter dem Link um minus zehn Prozent gibt und schon landet man bei anderen nutzlosen Kram, wie etwa persönlichen Austroguides oder Orgonakkumulatoren. Durch das vermeintliche Empowerment wird am Ende meistens versucht, unnützes Zeug für viel Geld zu verkaufen.  

Und da ist dann noch die Sache mit dem Feminismus. Vor allem auf TikTok ist Astrologie vor allem feministisch und queer, was genau den Zeitgeist trifft. Was wir heute als Astrologie kennen, wurde seit etwa hundert Jahren von Frauenzeitschriften geprägt, die wiederholbaren und leichten Content suchten, um leere Seiten auszufüllen. Die Inhalte wurden dabei immer schon dem angepasst, was Frauen* beschäftigt und was ihnen Sorgen macht. Inzwischen wird nicht wie früher die große Liebe oder die berufliche Erfüllung gesucht, sondern vor allem Selbstverwirklichung und Heilung. Astrologie war schon immer gut darin, sich wie am Zeitgeist festzusaugen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die aktuelle Astrologie für uns überforderte Millennials und orientierungslose GenZ-Personen im feministischen, aktivistischen und queeren Kleid daherkommt. 

Ist Astrologie feministisch?
Genau diese Vermischung von Astrologie, Feminismus und queeren Themen stößt mir als Feministin etwas sauer auf. Kritik wird von Vertreter:innen der neuen feministischen Astrologie auch als antifeministisch abgetan. Sie argumentieren, dass Praktiken, in denen die Verbindung zum eigenen Ich und zur eigenen Gefühlswelt automatisch von Männern* als unlogisch und als Pseudowissenschaft abgetan werden, während ebenso pseudowissenschaftliche Dinge, mit denen sich vornehmlich Männer* beschäftigen – wie Keto-Diäten oder dieses ganze Alpha-Beta-Sigma-Male-Gedöns – nicht so viel Hass abkriegen. Das stimmt, aber die Antwort darauf kann doch nicht sein, Astrologie nur zu praktizieren, weil man Feminist:in ist. Astrologie ist und bleibt eine Pseudowissenschaft und ich brauche keinen Mann*, der mir das sagt.

Lassen wir uns also bitte nicht einlullen. Wir haben es in unserer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft eh schon schwer genug. Das, was Horoskope nämlich wirklich gefährlich macht, ist nicht der Inhalt oder die Tatsache, dass sie keine richtige Wissenschaft sind, sondern die Weltanschauung dahinter. Der Glaube an vorbestimmte Eigenschaften und an ein Schicksal heißt gleichzeitig, dass wir nicht über unser Leben bestimmen und dass wir es auch nicht ändern können. Das ist das Gegenteil von Empowerment. Die ständige Konfrontation mit Astrologie, auch wenn man nicht dogmatisch an sie glaubt, kann zu Schicksalsergebenheit und Passivität führen. Wenn ich zu wenig Geld auf meinem Konto habe, ist das nicht die Schuld vom rückläufigen Merkur, sondern weil es immer noch einen Gender-Pay-Gap gibt und ich als Frau* mehr Zeit mit Care-Arbeit verbringe. Nicht der Saturn stresst mich, sondern die ganzen Mails, die ich noch um zehn Uhr abends beantworten muss. Im Endeffekt werden also auch durch queere und feministische Horoskope patriarchale Strukturen zementiert, indem sie von der darunterliegenden Ungerechtigkeit ablenken. Das Horoskop „lehrt die Menschen, auf ihr Interesse zugunsten ihrer Interessen zu verzichten“ (Adorno). Nehmt also euer Schicksal selbst in die Hand, denn die Sterne bestimmen es nicht.

Deep Dive:

  • Theodor W. Adorno hat in den 50ern in einer Reihe von Essays Horoskope in amerikanischen Magazinen untersucht und dadurch die kapitalistische Gesellschaft und die Herrschaftsverhältnisse analysiert.
  • Wer keine Zeit und Lust auf Adorno hat, kann sich diesen guten Überblick durchlesen
  • Im ZDF Magazin Royale widmet sich auch Jan Böhmermann dem Astro-Hype

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