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Lenz Koppelstätter
Veröffentlicht
am 21.02.2014
Meinung865 Kilometer

Stadt statt Land

Veröffentlicht
am 21.02.2014
Wer in der Großstadt lebt, muss auf Natur verzichten. Oder etwa nicht?
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Eine gute Freundin von mir geht zum Schwangeren-Pilates. Das macht man so in Berlin, wenn man schwanger ist. Das ist total angesagt. In ihrem Kurs, das hat sie letztens erzählt, sitzt auch Yvonne Catterfeld – oder zumindest eine junge Frau, die der Catterfeld sehr, sehr ähnlich sieht. Letztens sei die mit dem Fahrrad gekommen. Es hat geschneit und gestürmt und es war eisig kalt. Es gibt Fahrradfahrer in Berlin, die fahren bei jeder Wetterlage. Die steigen in keinen Bus und in keine U-Bahn. Aus Prinzip nicht.

Letztens im Bio-Laden: Ich stehe wieder vor der Kräutertheke. Mein iPhone in der Hand. Ich google Estragon. Meine Freundin will irgendetwas mit Estragon machen. Ist das jetzt Salbei oder Estragon? „Von Natur haben die Jungen heute wohl überhaupt keine Ahnung mehr“, sagt der Blick der Frau hinter mir. Sie steht da und trägt ihre Wollmütze unter ihrem Fahrradhelm und dazu so ein Ganzkörperfunktionsding, das man sich über die Kleidung zieht, damit man auch im Winter, bei Schnee, Sturm und Eiseskälte, das Fahrrad nehmen kann.

Von Natur keine Ahnung? Und wenn schon. Ich lebe in der Stadt. Da sind andere Dinge wichtiger als der Unterschied zwischen Estragon und Salbei. Zum Beispiel, wohin die U2 fährt, wo man von der U1 in die U8 umsteigt und an welchen Ecken man am besten ein Taxi kriegt. Solche Sachen. Dachte ich. Aber das ist längst nicht mehr so.

Wer in der Stadt lebt, entfremdet sich von der Natur. Er bewegt sich zwischen Häuserschluchten, holt sich einen Döner an der Ecke, fährt U-Bahn, mit wildfremden Menschen in ein Abteil gepfercht. Es rattert, es blinkt, es raucht und es stinkt. Das ist der Puls der Großstadt, Mann! Das ist einfach so. Das gehört dazu. Deshalb lebe ich hier. Ich liebe das.

Andere sehen das nicht so. Sie wollen beides haben. Stadt und Natur. Und am besten beides zu hundert Prozent. Aber beides geht nicht. Beides geht fast nie im Leben. Sie wollen es trotzdem. Sie ziehen an den Stadtrand. Sie bauen Gemüse in hippen Stadtgärten an. Sie fahren Fahrrad, selbst im Winter. Sie kaufen nur noch im Bio-Laden ein. Sie sind dabei sehr, sehr dogmatisch. Sie werden zu verbissenen Überzeugungstätern.

Im Bio-Laden merkt man das besonders. Ich habe nichts gegen Bio-Läden. Bio-Läden sind super. Das Gemüse schmeckt viel besser als das aus dem normalen Supermarkt – und sicher auch viel besser als das aus dem hippen Stadtgarten an der großen Kreuzung, wo sich der Verkehr immer staut. Seit ein paar Wochen bin ich sogar Besitzer einer Bio-Laden-Mitgliedskarte. Weil ich die Blicke nicht mehr ertragen konnte. Die Blicke der Menschen in der Schlange hinter mir. Sehr, sehr skeptische Blicke, oberlehrerhafte, tadelnde Blicke. Warum hat der denn keine Mitgliedskarte? Kauft der etwa ab und an auch woanders ein? Solche Blicke.

Letztens habe ich ein Interview mit Tobias Moretti gelesen. Moretti lebt auf einem Bauernhof in Tirol. Moretti sagt: „Für mich persönlich gibt es eine große Übereinstimmung zwischen dem urbanen Leben in der Großstadt und meinem Leben in den Bergen. Beides ist intensiv. Was ich nicht aushalten würde: eine Existenz irgendwo dazwischen, so eine Vorort-Existenz, da würde ich unglaubliche Beklemmungen kriegen.“ Ich sehe das genauso. Ich habe nichts gegen ein bisschen Grün in der Stadt. Aber ich liebe die Großstadt, so wie sie ist. Wenn ich das alles irgendwann nicht mehr mag, dann ziehe ich aufs Land. Dann bleibe ich ganz sicher nicht in Berlin, um hier im Winter mit Fahrradhelm auf dem Kopf durch Bioläden zu laufen.

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