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Sie könnten, wenn sie wollten, Worte finden, für die Ohnmacht und die Wut, für den Schmerz und die Verzweiflung, für das gewaltige, gigantische, alles verschlingende Meer an Müdigkeit.
S. 200Sie liegen da. Auf dem Boden. Auf der Straße. Die Frauen. So viele Frauen. Sie liegen einfach da. Reglos. Still. Sie sagen nichts. Kein Wort. Was geschieht hier? Was passiert, wenn die Frauen einfach ihre Arbeit niederlegen? Nicht mehr das tun, was sie immer getan haben? Nicht mehr das tun, was von ihnen erwartet wird?
Nichts hat sich verändert. Hinter allen Arten des Unrechts steckt dasselbe Problem, dass wir nicht gehört, nicht gesehen, nicht geachtet werden.
S. 173Die Welt verliert ihre gewohnte Ordnung. Scheint aus dem Takt geraten zu sein. An einem Sonntag im Juni liegen Frauen plötzlich auf der Straße. Ganz ruhig liegen sie da im stillen Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Ruth, Elin und Nuri. Ruth ist Mitte fünfzig und arbeitet als Pflegefachkraft im Krankenhaus. Ihr Pflichtgefühl anderen gegenüber scheint unerschöpflich zu sein. Sie ist müde von den vielen Stunden, die sie im Krankenhaus arbeitet und doch erscheint sie immer wieder zum Dienst, springt für andere ein. Sie ist da. Elin, Anfang zwanzig, ist eine erfolgreiche Influencerin. Sie kämpft nicht nur täglich mit Anfeindungen im Netz, sondern auch mit dem, was ihr passiert ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri hat die Schule abgebrochen und versucht sich mit seinen neunzehn Jahren als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Das System und die patriarchalen Strukturen bekommen Risse. Beginnen zu bröckeln ohne die Frauen. Ruth, Elin und Nuri haben die Chance auf Veränderung, denn es ist der Beginn einer Revolte.
Die Frauen liegen da wie hingeworfen, ihre Körper scheinen keinem Muster zu folgen. Sie sehen aus wie etwas Zerschmettertes. Aber verletzt sind sie nicht.
S. 96In dem neuen Roman von Mareike Fallwickl „Und alle so still“ geht es um die Kraft der Verweigerung und darum, was passiert, wenn Frauen ihre Arbeit niederlegen. Es geht um die Frage der Machtverteilung, um Pflegenotstand im Gesundheitswesen und um prekäre Lebens- und Arbeitssituationen. Die Autorin erzählt nicht nur abwechselnd aus der Perspektive ihrer drei Figuren, man hört auch andere Stimmen – drei ganz besondere Stimmen: die Pistole. Die Gebärmutter. Und die Berichterstattung.
Mareike Fallwickl schreibt radikal und mitreißend über Ohnmacht und Wut. Widerstand und Mut. Über weiblichen Zusammenhalt und Solidarität unter Frauen. Und was das auslösen kann. Welche Macht das haben könnte. Dieses Buch öffnet neue Räume und Wege für mehr Wertschätzung, Ehrlichkeit und Veränderung. Dieses Buch ist ein Weckruf. Ein lauter und zugleich stummer Aufschrei. Es ist Provokation und Rebellion. Es ist Heilung. Es ist die Befreiung aus der Unterdrückung des Patriarchats. Ein Plädoyer für Zwischenmenschlichkeit. Es ist female Empowerment. Und vor allem ist es kraftvolle literarische Radikalität.
Die Stille ist steinern und massiv, sie haben sich hier abgelegt und sind in Wahrheit längst wo anders.
S. 102„Und alle so still“ ist ein feministischer Gesellschaftsroman, der uns allen vor Augen führt, was sein könnte. Was sein könnte, wenn wir Frauen* uns verbünden, uns nicht mehr als Feindinnen* und Konkurrentinnen* sehen würden. Denn „das Grundgefühl unter Frauen ist Liebe“ (aus: „Die Wut, die bleibt“). Was wäre, wenn wir Frauen* uns verweigern würden? Nicht mehr das tun, was Männer wollen und von uns erwarten? Wenn wir nicht mehr unbezahlte und unterbezahlte Care-Arbeit leisten?
Es gibt dafür keine Worte, die müssen wir erst erfinden.
S. 205Das Gefühl, das dieses Buch beim Lesen in mir ausgelöst hat, lässt sich nicht in Worte fassen. Die Geschichte ist wunderschön und schmerzhaft. Eindringlich und spannend. Berührend und scharf. Mareike Fallwickl drückt nicht nur den Finger in die Wunde, sie bohrt sich tief rein. Sie ist laut. Unbequem. Und kompromisslos. Dieser Roman ist eine Anklage an das Patriarchat und sein System. Es ist genug. Wir spielen nicht mehr mit. Nicht mehr nach euren Regeln.
Wenn es noch eine Zukunft gibt, müssen sie einander verzeihen. Wenn es noch eine Zukunft gibt, dann nur durch Gemeinsamkeit. Denn es ist wahr, und es führt kein Weg daran vorbei. Menschen brauchen Menschen.
S. 293Lest dieses Buch! Es ist Zeit für Veränderung. Für Selbstermächtigung und Gerechtigkeit. Und wenn alle still sind, dann sind wir laut.
„Und alle so still“ von Mareike Fallwickl ist im Rowohlt Verlag erschienen.
Dieser Moment könnte das Ende sein oder ein Anfang.
S. 308Mehr feministische Lesetipps unserer Buchbloggerin Carmen Waldthaler
gibt es auf ihrem Instagram-Channel c_booksblog! #frauenlesen
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