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Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 03.04.2023
LabernKommentar zu Schönheitsfiltern auf Social Media

Schön mit einem Wisch

Veröffentlicht
am 03.04.2023
Ist dir schon mal aufgefallen, dass sich viele Menschen, vor allem Frauen, in den sozialen Medien ähnlich sehen? Nein, die sind nicht miteinander verwandt, sondern verwenden alle „Schönheitsfilter”. Unsere Autorin hat das Phänomen genauer unter die Lupe genommen und sich gefragt, wie gefährlich Filter für unsere Jugendlichen sein können.
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Unsere Autorin Sarah Meraner verwendet den gehypten “Beautyfilter” von Social Media

Wir sind ihm im Laufe unseres Lebens alle schon mal begegnet, dem ständigen Druck, schön zu sein. Perfekt. Dem einen Ideal zu entsprechen: Was in meinen Teenie-Zeiten noch die MTV- und VIVA-Stars waren, die mit ihrem „perfekten” Gesicht und den „perfekten” Körpern aus den Magazinen lächelten, sind heute Influencer:innen, YouTube- und TikTok-Stars, die vom Smartphone aus neue Schönheitstrends setzen. Und diese Stars müssen sich gar nicht erst aufwändig zurecht photoshoppen – dafür gibt’s heutzutage easy-cheesy Filter. Ein Wisch mit dem Finger – zack, ist man schön! Hohe Wangenknochen, aufgehellte Zähne, vergrößerte Augen, verlängerte Haare, eine makellose Haut und ganz ohne Hyaluron aufgebesserte Lippen mit perfektem Schwung.

Doch: Ist das noch schön? Was ist überhaupt schön? Und warum haben Facefilter einen so hohen Stellenwert im Leben von Jugendlichen?

Wer bin ich?
Ich treffe die 14-jährigen Teenager Sophie, Magdalena und Tobias (Namen von der Redaktion geändert), um mich mit ihnen über Social Media und die darin allseits beliebten Facefilter zu unterhalten – und einige davon auszuprobieren. Alle drei nutzen als Kanal hauptsächlich Snapchat, um sich gegenseitig Fotos hin- und herzuschicken. Dabei verwenden sie in erster Linie sogenannte AR-Facefilter (Augmented Reality-Facefilter), die eine bestimmte Stimmung der User:innen unterstreicht oder sie in neue Identitäten schlüpfen lassen. So verzerren diese AR-Filter einem zum Beispiel das Gesicht oder legen die berühmten Hundeohren oder aber kleine Teufelchen als Sommersprossen übers Gesicht . Was zunächst nicht auffällt, ist, dass beispielsweise der Teufelchen-Sommersprossen-Filter auch das Gesicht selbst verändert: Die Haut wird rosiger und ebener. Unauffällige Optimierung sozusagen.

Keiner der drei nutzt TikTok oder Instagram, um von sich selbst Bilder zu posten – „höchstens mal ne Story.“ Es geht ihnen mehr um den Konsum. Doch in Anbetracht dessen, wie stark Fotos der anderen User:innen bearbeitet sind, frage ich mich, ob das weniger bedenklich ist. Wenn man ständig optimierte Bilder anschaut, wie nahe ist man der Realität dann noch wirklich? 

Jugendliche verwenden Facefilter dazu, um sich zu präsentieren und neue Identitäten auszuprobieren – auf diese Weise treten sie in Kommunikation mit anderen.

Wenn man sich die Kim Kardashians und Kyle Jenners dieser Welt so anschaut, hat man doch das Gefühl, sie müssten alle miteinander verwandt sein – so sehr ähneln sie sich. Kein Wunder, denn die Facefilter machen uns alle gleich. Ist das der psychologische Knackpunkt, warum Facefilter so beliebt sind? Weil sie User:innen das – zumindest vorübergehende – Gefühl geben, auf einer Ebene mit Stars und Sternchen zu sein? 

Jugendliche verwenden Facefilter dazu, um sich zu präsentieren und neue Identitäten auszuprobieren – auf diese Weise treten sie in Kommunikation mit anderen. Das ist auch eine Art Loslösung vom Elternhaus und erweitert die Möglichkeit zur eigenen Identitätsfindung. Zudem scheint es den Nutzer:innen eine Art Zufriedenheit zu geben, wenn sie sich durch die gefilterte Kamera sehen. Auch der Spaßfaktor dürfte ein ausschlaggebender Grund für die Nutzung der Filter sein. „Wir benutzen eigentlich immer die Filter, die auch die anderen benutzt haben. Dann schicken wir unser Bild denjenigen zurück, das ist ganz witzig“, bestätigt mir auch Tobias.

Eine Erfolgsgeschichte mit bitterem Beigeschmack
Bereits 2013 beginnt die Geschichte des sogenannten Instagram-Faces – da kommt die berühmt-berüchtigte App „Facetune“ auf den Markt, mit der man das eigene Gesicht bis zur regelrechten Unerkennbarkeit retuschieren kann. Snapchat macht es Nutzer:innen zwei Jahre später allerdings um einiges leichter und bringt die ersten AR-Filter auf den Markt. Und plötzlich gibt es Pickel und Falten nur noch, wenn man in den Spiegel schaut. Das Spiegelbild wollen die meisten jedoch nicht posten. Dass man das aber durchaus sollte, zeigt beispielsweise Dana Mercer. Die Instagram-Influencerin ist eine Antiheldin, was die gefakte Social-Media-Welt anbelangt. Sie präsentiert auf ihrem Kanal die ungeschminkte Wahrheit über die Bilder von Insta-Stars und zeigt, wie diese Bilder bearbeitet und gestellt sind – und das am eigenen Instagram vs. Reality-Vergleich.

Ich zeige Tobias, Magdalena und Marie die Amerikanerin mit immerhin über zwei Millionen Follower:innen und frage sie, was sie von ihr halten. „Ich finde es total wichtig, dass es auch solche Frauen gibt. Aber selbst würde ich mich das nie trauen“, meint Magdalena. „Wir wissen natürlich, dass so gut wie alle Bilder, die wir uns  auf Social Media anschauen, gefaked sind.“ Trotzdem, so sind sich die drei einig, finden sie bearbeitete Bilder besser. Auch Tobias gibt zu, dass er sich lieber bearbeitete Bilder von Mädchen ansieht, als unbearbeitete, „obwohl er natürliche Mädchen eigentlich viel lieber mag.” Die Mädchen räumen ein, wie doof sie das finden: „Jungs behaupten immer, dass sie natürlich aussehende Mädchen mögen und in Wirklichkeit stehen sie dann auf solche Girls, die sich total zukleistern oder Filter verwenden. Das ärgert uns voll und übt extrem Druck aus.“

Magdalena zeigt mir ihr Lieblingsfoto von sich: „Auf dem Bild mag ich mein Outfit und auch meine Pose finde ich schön. Und mein Gesicht sieht nicht so schlimm aus.“ Diese Aussage lässt mich nachdenklich zurück und verdeutlicht: Jugendliche sind mit ihrem Körper selten zufrieden. Große Unsicherheiten und Zweifel begleiten sie – und ich komme zum Schluss, dass ihnen allgemein gültige Ideale vielleicht diese Art von Sicherheit schenken: „Wenn ich auch so aussehe, dann bin ich schön.“ Eine vermeintliche Sicherheit mit fatalen Folgen.

Der Druck, schön zu sein
Schon immer waren Laufstegmodels, Models auf Plakaten oder Magazinstars zum Teil falsche Vorbilder und Auslöser:innen für so manche Essstörung. Auch wenn die Stars heute völlig andere sind, der Druck bleibt – und ist zum Teil noch größer. Warum? Weil man durch Social Media „bewertet“ wird und natürlich auch die Quantität des Konsums zugenommen hat. Blätterte man früher vielleicht einmal in der Woche in der „Bravo“, sind Teenies heute mehrmals täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs. Es gibt also eine Dauerberieselung verzerrter Schönheitsideale – und die lösen extreme Unsicherheiten und auch psychische Erkrankungen aus.

Die Dysmorphophobie ist eine psychische Erkrankung, die häufig von einer Depression begleitet wird und bei der sich Betroffene aufgrund vermeintlicher Makel als hässlich oder entstellt wahrnehmen.

Laut einer Studie des UT Southwestern Medical Center verändern bearbeitete Selfies nachweislich die Selbstwahrnehmung (die Nase wird um vier bis sechs Prozent größer wahrgenommen, das Kinn um zwölf Prozent) – und führen zu einer größeren Nachfrage an Schönheits-OPs. Der britische Schönheitschirurg Tijon Esho bestätigt, dass vermehrt junge Menschen mit einem gefilterten Foto von sich selbst in die Praxis kommen und dementsprechend aussehen möchten. Aus diesem Phänomen entstand der Begriff „Selfie Dysmorphia“. Die Dysmorphophobie ist eine psychische Erkrankung, die häufig von einer Depression begleitet wird und bei der sich Betroffene aufgrund vermeintlicher Makel als hässlich oder entstellt wahrnehmen.

Gemeinsam mit den Jugendlichen probiere ich einige der beliebtesten Beauty-Facefilter aus. Ein Filter der sogenannten „Faceapp“ verändert mein Gesicht komplett – ich finde, ich sehe aus wie eine skurrile Comicfigur. Die Stirn wird höher, die Haut komplett makellos retuschiert, die Wangen werden super-rosig, meine Augen größer und meine Augenbrauen definierter. Ach, und meine roten Haare scheint der Filter auch nicht zu mögen, die sind nämlich plötzlich dunkelbraun. Während meine Reaktion dementsprechend geschockt ausfällt, reagieren die Mädchen auf ihr gefiltertes Ich völlig anders: „Oh krass, du siehst voll hübsch aus, wie so ein Filmstar“, lautet Magdalenas Reaktion auf Sophies Bild. Die sagt: „Ich finde, das sieht total echt aus. Wenn man mich nicht kennen würde und nicht wüsste, wie ich in Echt aussehe, könnte man meinen, das ist ein natürliches Foto.“

Echt sein – glücklich sein
Offene Gespräche und Wertevermittlung im Elternhaus sind die Grundlagen, damit Jugendliche mit dem immensen Schönheitsdruck irgendwann hoffentlich zurechtkommen. Aber auch an den Schulen sollte unbedingt eine bestimmte Medienkompetenz vermittelt werden: Ganz abgesehen vom verantwortungsbewussten und bewussten Umgang mit (sozialen) Medien muss unter anderem auch die Quellenrecherche und das kritische Hinterfragen von Inhalten ein Schwerpunkt sein – und dazu gehört das Analysieren und Diskutieren vermeintlicher Schönheitsideale.

Und vergessen wir neben der wichtigen Thematik Body Positivity nicht die Message, dass das Aussehen eigentlich nicht das Wichtigste ist und ein Mensch doch aus mehr besteht, als seiner Optik: Gesundheit, Gefühle, besondere Eigenschaften, Talente, soziale Kompetenzen usw. Es braucht Selbstakzeptanz und Selbstliebe auf allen Ebenen.

In einigen Ländern wie Norwegen, Israel und Frankreich ist die Kennzeichnung von bearbeiteten Bildern mittlerweile Pflicht, Deutschland hat ein Gesetz letztes Jahr zumindest angekündigt. Ein – meines Erachtens – Tropfen auf dem heißen Stein, der Jugendlichen wie Magdalena, Tobias und Sophie aber kaum eine bessere Message vermittelt. Sie sind sich der gefakten Welt bereits sehr wohl bewusst – trotzdem ändert das nichts an ihrem Gefühl, nicht dem Ideal zu entsprechen. Am Ende unseres Gesprächs äußert Magdalena immerhin noch einen Satz, der Hoffnung macht: „Ich mag auch viele Fotos von mir, auf denen ich nicht unbedingt ‘perfekt’ aussehe. Sie zeigen schöne Momente, in denen ich einfach glücklich war.“

Gott sei Dank, denke ich. Denn diese Momente waren tatsächlich komplett … ungefiltert.

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