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Ich habe zwar nicht Politik studiert, aber ich war im Lyzeum fünf Jahre lang in einer reinen Mädchenklasse und bin damit und nach Lektüre des SAD – Skandalbuches von Christoph Franceschini und Artur Oberhofer ausreichend qualifiziert, die Dynamiken der Südtiroler Parteipolitik zu analysieren. Vorneweg zwei Dinge: Erstens, nein, es interessiert uns nicht, wer die Audiofiles an die Medien durchgestochen hat. Bei so viel Illoyalität in der Partei ist ein Maulwurf in euren Reihen zum einen wenig verwunderlich und zum anderen immerhin gewissermaßen loyal der größeren Allgemeinheit gegenüber. Zweitens, eure Niedertracht ist zwar peinlich, aber genau genommen interessiert’s uns ebenso wenig, ob der Christoph den Arno, der Luis den Philipp oder der Thommy den Gert mag. Wir wählen euch ja nicht, damit ihr am Wochenende zusammen Scrabble spielt, sondern damit ihr unter der Woche euren Job erledigt. Aber eben apropos Job, da wären wir jetzt beim eigentlichen Knackpunkt, der ja schon etwas länger Klärungsbedarf hat: Ihr seid nach Verständnis, Eid und legalen Rahmenbedingungen unseres Politsystems noch immer „Volksvertreter:innen“ und keine „Interessenvertreter:innen“.
Aber in Südtirol wie anderswo gilt: Wer zahlt, schafft an. Nun ist Lobbyismus — also Aktivitäten, bei der Interessengruppen versuchen, Politiker:innen in ihrem Sinne zu beeinflussen — ja erstmal normal und auch nützlich für die politische Entscheidungsfindung, weil die Interessengruppen Expertise in ihren Fachgebieten besitzen, die die Politiker:innen nicht haben können. Das Blöde ist aber, dass unsere Politiker:innen offensichtlich gravierende Schwierigkeiten haben, Expertise von Eigeninteresse zu unterscheiden. Sprich: Finanzstarke Wirtschaftsverbände üben mehr Macht auf die Politik aus, als weniger einflussreiche Lobbygruppen wie z.B. Sozialverbände es jemals schaffen werden. Weil die Reichen eben mehr Geld haben, das sie zum Beispiel mit Parteispenden einbringen können, ist es wie damals in der 3A: Lässt du mich die Lateinaufgaben abschreiben, kriegst du das größte Stück von meinem Pausenbrot. Plastisch illustriert hat uns das rezenterweise ja die Pandemie, in der Flughäfen, Kreuzfahrtschiffe und Automobilkonzerne noch in der ersten Welle „gerettet“ wurden, während das Bildungssystem, die Seniorenresidenzen und die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung heute noch drauf warten.
Das wahrlich Schöne an den geleakten Audiodateien ist ja nicht, wie alle im Kreis lästern, sondern wie erbärmlich sich Entscheidungsträger:innen manipulieren lassen und immer noch glauben, sie seien mächtig.
Während also untenrum die Sozialbereiche Reise nach Jerusalem spielen müssen, ist obenrum im großen Monopoly der Partikularinteressen der Übergang von Lobbyismus zu Bestechung fließend, wie das Buch zum SAD-Skandal von Oberhofer und Franceschini aufzeigt. Oder, um es mit den Worten Kingomars zu sagen, als er Gert Lanz aus dem Konkurs „helfen“ wollte, allerdings nur unter der Bedingung, dass dieser sich für eine Ausschreibung des Nahverkehrs starkmacht: „Ich kauf natürlich ihn als politischen Vertreter mit.“ Auch andere kaufen im Supermarkt der Demokratie fleißig mit, bekanntlich erhebt auch der Toni mit seinem Imperium Anspruch auf Politiker:innen. Um es mit seinen Worten zu sagen, die er wiederum von einem ÖVP-Politiker hat, und auf einem Kölner Medienkongress zum Besten gab: „In anderen Ländern halten sich Parteien Zeitungen. In Südtirol hält sich eine Zeitung eine Partei.“ Das wahrlich Schöne an den geleakten Audiodateien ist ja nicht, wie alle im Kreis lästern, sondern wie erbärmlich sich Entscheidungsträger:innen manipulieren lassen und immer noch glauben, sie seien mächtig. Gert Lanz ist damals übrigens im letzten Moment abgesprungen, weil ihm jemand erklärt hat, dass man sowas weniger Businessplan, sondern Bestechung nennt. Beruhigend, dass man das unseren Lokalpolitiker:innen erst noch erklären muss, während sie schon in verantwortungsvollen Posten sitzen! Zuvor hatte sich der SAD-Millionär aber immerhin von einem österreichischen Wahrsager auspendeln lassen, ob er den Gert bestechen soll oder nicht. Wenn das mal nicht beruhigend ist! In Südtirol versuchen Unternehmer, Politiker:innen zu kaufen und lassen sich zuvor von Wahrsagerin sagen, welche sie kaufen sollten. Und ob darüber berichtet wird oder nicht, entscheidet ein Medienmonopolist, der sich den konservativen Flügel der Mehrheitspartei wie ein privates Schoßhündchen hält. Freunde, wir sind in guten Händen!
Die Milieustudie SAD zeigt eindrücklich, dass Volksvertreter:innen zu Vertreter:innen von Partikularinteressen geworden sind. Das ist nichts Neues, das kennt man schon aus seiner Kindheit und das hat man inzwischen schon dermaßen verinnerlicht, dass man sich reflexartig nach jedem Beschluss der Landesregierung skeptisch Cui bono? fragt. Es scheint insgesamt irgendwie zunehmend zu einer Entmachtung der Bürger:innen und damit der liberal-partizipativen Demokratie zu kommen, weil obwohl demokratische Institutionen formal erhalten bleiben, über den großen Teil des Kuchen in Wirklichkeit nur eine kleine Elite entscheidet. (Wobei mit Elite zweifellos nicht eine „Wissenselite“, sondern eine „Wirtschaftselite“ gemeint ist, lässt der Klimawandel an dieser Stelle ausrichten.)
Ein paar Krumen für den Pöbel, die Kranken, die Kindern, die Menschen mit Behinderungen, die Senior:innen und natürlich die Nachhaltigkeit, damit man bei der nächsten Wahl oben bleibt, um oben dann die Großen weiterzufüttern.
Man darf außerdem annehmen, dass zwischen den politischen Machtspielchen, den Parteiklüngeleien und ganzen Intrigen sowieso kaum mehr Zeit übrig bleibt, sich um das Gemeinwohl zu kümmern, selbst wenn einer mal wollte. Tatsächlich scheint die Sozialpolitik selbst inzwischen zum maskierten Opportunismus geworden: Der vordergründige Zweck ökosozialer Investments scheint viel zu oft (analog zu „greenwashing“) ein freundliches „Wahlwashing“ zu sein, wo man symptomatisch halt ab und an ein bisschen was da und dort reinkleckst. Ein paar Krumen für den Pöbel, die Kranken, die Kindern, die Menschen mit Behinderungen, die Senior:innen und natürlich die Nachhaltigkeit, damit man bei der nächsten Wahl oben bleibt, um oben dann die Großen weiterzufüttern. Dabei kommt es zu so irrwitzigen Situationen, dass der Landeshauptmann einerseits auf landesweite „Nachhaltigkeitstour“ geht, andererseits aber den inzwischen von einem Gericht in seiner Vergabe als rechtswidrig eingestuften „Hellergarten“ in Brixen, wo man munter einen öffentlichen Wettbewerb unterwandert und nach wie vor eine Direktvergabe an den österreichischen Millionär versucht, mit mehreren Millionen Landesgeld subventioniert.
Aber zurück zum SAD-Skandal, was tun sie jetzt, im Auge des Sturms? Erstatten Anzeigen gegen das Buch, schimpfen rum, wer wohl der Maulwurf war, suchen sich ein Bauernopfer, das sie noch schlachten können, entschuldigen sich halbherzig. Zwischendrin meldet sich Herbert aus Brüssel und erklärt dünnhäutig, dass alle, die kein politisches Mandat haben — also faktisch das ganze Volk — das politische Tagesgeschehen nicht kommentieren sollten und bringt damit das ganze Problem des feudalen SVP-Selbstverständnisses bemerkenswert bündig auf dem Punkt. So macht man jetzt also einerseits alles noch ein bisschen schlimmer und andererseits macht man vor allem nichts: Man richtet es sich in der Opferrolle ein, und harrt dem Skandal, bis das Volk mürbe und müde vergessen hat, worum es jetzt eigentlich nochmal genau ging. Pensionen? Fahrtspesen? Kubaturverschiebungen? Hofburggarten? SEL? SAD? Wo man auch hinschaut, sind jetzt links und rechts der Grabenkämpfe allesamt Opfer einer „unrechtmäßigen Kampagne“, irgendwer wolle einen abservieren, man würde angeschwärzt, es sei alles aus dem Kontext gerissen und insgesamt sei man halt auch nur ein Mensch. Dazwischen natürlich die, die zufällig nicht abgehört wurden und jetzt ihren großen Moment wittern, als moralische Instanz auf der weißen Weste nach oben zu rutschen. Von denen man aber, ehrlicherweise, auch lieber keine Abhörprotokolle und Chatverläufe lesen möchte.
Fakt ist: Dem Kompatscher, der angetreten ist, um den miefigen Filz der SVP zu lüften, ist selbiges noch nicht gelungen.
Mit Michls motivierter Mithilfe darf sich zumindest die konservative rechtsdriftende SVP-Flanke medialer Schützenhilfe erfreuen, bis man dann im nächsten Wahlkampf, der inzwischen ja standardmäßig zum reinsten PR-Spektakel verkommen ist, die „Erneuerung“ der Partei ausrufen wird. Was da immer alles erneuert wird! Neue Kandidat:innen, neue Farben, neuer Wahlspruch, alles neu, nur eben nicht die Methoden und vor allem nicht die Einflüsterer. Und selbst wenn die Lobbyisten den Namen wechseln, wechselt doch ihre Agenda unter dem Deckmantel der Rhetorik der Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs nicht: Profit nämlich. Zwischen den „unverbrauchte Gesichtern“, die endlich „frischen Wind“ in die Partei bringen, werden uns dann die alten, nicht abgehörten und daher moralisch vollkommen integren Sesselwärmer:innen „Stabilität“ mit Verweis auf historische Errungenschaften und historische Familiennamen versprechen. Dabei ist das mit der Stabilität ja von allen politischen running gags der schlechteste, weil er bedeutet nichts anderes, als dass die, die das größte Kuchenstück haben, auch weiterhin das größte behalten wollen. Stabile soziale Seitenlage quasi, die einen stabil oben, die anderen stabil unten. Fakt ist: Dem Kompatscher, der angetreten ist, um den miefigen Filz der SVP zu lüften, ist selbiges noch nicht gelungen.
So schleppen sich die inzwischen größtenteils in politischer Apathie versunkene Bürger:innen, alle fünf Jahre müde zur Urne — jedenfalls sofern am Wahlsonntag das Wetter so schlecht ist, dass man eh nicht auf die Eidechsspitz rauf oder zum Gardasee runter kann. „Von oben“ regelrecht überredet, wählen zu gehen, steht man dann aber regelmäßig ratlos in der Kabine, weil wo das Kreuzchen machen? Bei einer vernünftigen Oppositionspartei, die die Mehrheitspartei dann fünf Jahre auf der langen Bank ausbluten lässt und wenn sie gute Vorschläge einbringt, diese routiniert immer erstmal ablehnt, um sie dann gegebenenfalls selbst einzubringen? Bei den paar Guten in der Mehrheitspartei, wenn man dann aber die ganzen Schlechten mitwählen muss? Das Unausprechliche ist ja in Wirklichkeit, dass das Parteiensystem der Nachkriegszeit in den meisten europäischen Ländern an sein Ende gelangt. Weil, wie der Politologe Colin Crouch sagt, die herkömmlichen Identitäten von Klasse und Religionen selbst an ihr Ende gekommen sind. Und auch wenn uns in Südtirol noch immer ein „gemeinsamer Feind“ und die diffuse Angst vor Kulturverlust eint, birgt der Vertrauensverlust in „unsere“ Volkspartei und das Vakuum an den linken und rechten Rändern der SVP das Potenzial einer nachhaltigen Erosion.
Ihr redlichen und ehrlichen Politiker:innen da draußen, das ist jetzt euer Moment! Ihr MÜSST jetzt aufstehen und was ändern, und bitte verschont uns mit der Ich-distanziere-mich-Floskel.
Dabei haben wir uns ja schon an einiges gewöhnt, dass wir es inzwischen als „normal“ wahrnehmen. Dass man nach unliebsamen Artikeln WhatsApp-Nachrichten von Politiker:innen auf seinem Handy findet (freu mich schon!). Dass man während unliebsamen Forschungsprojekten kompromittierende Facebooknachrichten von ranghohen Politikerinnen ohne jegliche wissenschaftliche Expertise über sich lesen muss. Dass der SVP-Ortsobmann jahrelang der Chefredakteur der „unabhängigen Brixner Monatszeitschrift“ war. Ach, die Liste ist zu lang und das Popcorn reicht nicht für alles, was da mal wieder angespült wird – aber natürlich gibt es auch integre Volksvertreter:innen, die sehr gute Entscheidungen treffen! Ihr redlichen und ehrlichen Politiker:innen da draußen, das ist jetzt euer Moment! Ihr MÜSST jetzt aufstehen und was ändern, und bitte verschont uns mit der Ich-distanziere-mich-Floskel. Das reicht nicht! Sich von irgendwelchen Aussagen und Menschen, aber nicht von Methoden zu distanzieren, funktioniert schon deswegen nicht, weil ihr sonst ja so bemüht als ein Organismus auftretet, der einen Wertekanon teilt. Wenn’s ein Erfolg ist, ist’s ein Erfolg für die ganze Partei, wenn’s ein Skandal ist, ist es immer nur das Verhalten Einzelner. Läuft nicht mehr! Ihr müsst euch nicht mögen, Freunde.
Wegen uns müsst ihr euch noch nicht mal in der Öffentlichkeit gegenseitig so bemüht die Eier kraueln, wie ihr es immer tut, aber ihr müsst ein Mindestmaß an Loyalität gegenüber der Gesellschaft haben und zwar der ganzen Gesellschaft gegenüber, die gerade mit der Pandemie und Klimakrise kämpft, während gleich ums Eck der Krieg tobt. Also bitte! Floskeln reichen nicht mehr, wir brauchen jetzt Maßnahmen, die die Dominanz der ökonomischen Eliten begrenzen und den weniger privilegierten Gruppen Handlungsmöglichkeiten geben, wir brauchen eine Stärkung des bürgerschaftlichen Engagement auf kommunaler Ebene, wir brauchen eine Rückgewinnung des öffentlichen Raums (hell yeah!), wir brauchen neue politische Wertekonstrukte und Identitäten und weil wir auch dringend eine kritische Gegenöffentlichkeit brauchen, sollten wir alle gemeinsam Mutter Dolo vordergründig zum Auslegen der Böden beim Weißeln, und nicht als einzige, meinungsbildende Instanz verwenden.
Weil wir auch dringend eine kritische Gegenöffentlichkeit brauchen, sollten wir alle gemeinsam Mutter Dolo vordergründig zum Auslegen der Böden beim Weißeln, und nicht als einzige, meinungsbildende Instanz verwenden.
Also, sitzt das nicht aus und denkt dran: Ihr seid nur die obersten Sachbearbeiter:innen der Allgemeinheit. Die Handlanger:innen der Volkes, deren Interessen, Bedürfnisse und Möglichkeiten unterschiedlich sind und es ist eure Aufgabe, eine ausgewogene Vertretung des Gemeinwohls für alle Schichten und eine zukunftsorientierte Bewahrung unserer Lebenswelt zu garantieren. Das ist nicht die Kür, sondern eure Pflicht, auf die ihr einen Eid geschworen habt. Ihr seid alle austauschbar, ihr seid jederzeit ersetzbar. Habt Demut in dieser Viertelstunde in der Geschichte Südtirols, in der ihr in irgendeinem Posten sitzt! Und habt bitteschön viel zu viel Ehrgefühl, euch von Unternehmer:innen, Medienmonopolen und Lobbyisten benutzen zu lassen. Eure Entscheidungen von heute sind eure Fehler von morgen und wenn ihr nicht nur als die gierigen Lästerschwestern vom Kabinett Kompatscher II in die Geschichte eingehen wollt, dann reißt das Ruder rum und haltet euch an den Rat, den der Lateinlehrer uns damals gab: Iaz reißt enk gefälligst amol zom, Gitschn!
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