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Kathrin Runggatscher
Veröffentlicht
am 17.10.2024
LabernScience Shorts

Orcas: Schwarz-Weiß-Badasses

Veröffentlicht
am 17.10.2024
Im Sommer greifen Orca-Gruppen Yachten vor Gibraltar an und versenken sie. Warum? Ist das Zufall, üben sie Rache oder wollen sie die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich anprangern? Man könnte ihnen den antikapitalistischen Aktivismus fast zutrauen, denn die Meeressäuger sind begabt, intelligent und kultiviert. Science Shorts taucht in die Tiefen des Ozeans.
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Normalerweise versuche ich, in dieser Wissenschaftskolumne ausgewogen und unparteiisch zu bleiben. Aber beim Thema der heutigen Ausgabe von Science Shorts kann ich meine Begeisterung nicht verstecken. Es geht nämlich um die most badass animals on the planet, um Orcas. 

Orcas, auch Schwertwale oder Killerwale genannt, sind genaugenommen keine Wale, sondern die größte Delfinart, aber ich gebe zu, Killerdelfine geht nicht so leicht von der Zunge. Der abschreckende Name kommt übrigens nicht davon, dass sie viele Menschen auf dem Gewissen haben; bis heute gibt es kein menschliches Orca-Opfer, nur einen Surfer, der 1972 ein bisschen angeknabbert wurde. Vielmehr weist der Begriff Killerwal darauf hin, wie effizient diese Tiere beim Jagen ihrer Beute sind. Es wird vermutet, dass baskische Seeleute Orcas dabei beobachteten, wie sie größere Wale jagten und sie deshalb „Walkiller“ nannten. Bei der Übersetzung in andere Sprachen wurde daraus Killerwal. 

Orcas haben eine ganz eigene Kultur.

Killerwale: eine schrecklich nette Familie
Orcas haben viel mit uns Menschen gemeinsam. Sie leben ungefähr gleich lang wie wir, sind in Familienverbänden organisiert und bleiben ihr Leben lang mit ihrem Nachwuchs verbunden. Sie sind auf der ganzen Welt verbreitet und unter Wasser die wahrscheinlich schlausten Bewohner. Bis ein Orca alle Fähigkeiten gelernt hat, die er zum Überleben braucht, vergehen etwa 15 Jahre. Meistens gibt es eine Kernfamilie, die sich um eine Matriarchin gruppiert und einen größeren Clan, der sich hin und wieder trifft. Es gibt aber auch Einzelgänger:innen, die sich keinem Verband fix anschließen. Interessanterweise haben Schwertwale – so wie wir Menschen und einige andere Walarten – eine Menopause. Die älteren Weibchen verbringen die zweite Hälfte ihres Lebens damit, die Jungen ihrer Kinder und Verwandten zu „erziehen“. Diese „Großmütter“ treffen die Entscheidungen für die gesamte Gruppe, geben ihrer Familie das meiste Futter ab und geben ihre Fähigkeiten an die nächsten Generationen weiter.

Lieblingsspeise: Stachelrochen
Die Familie kooperiert meistens bei der Nahrungssuche, und nach erfolgreicher Jagd teilen sie das Essen an alle Mitglieder auf. Sie scheinen Lieblingsspeisen zu haben, die sich von Gruppe zu Gruppe unterscheiden und die sie mit jeweils speziellen Methoden jagen. Es gibt Gruppen, die sich im offenen Ozean auf große Beute wie Wale, Haie oder Seelöwen spezialisieren. Eine Gruppe vor Südafrika macht sogar auf große weiße Haie Jagd. Es gibt aber auch Gruppen, die sich nicht weit weg von der Küste ausschließlich von Fischen, wie Lachsen, ernähren. Einige folgen den Fischzügen von Heringen in der Nordsee. Sie umkreisen einen Schwarm, wie der Hirte seine Herde, und lähmen die Fische mit Druckwellen, die sie mit ihrer Schwanzflosse erzeugen. In Patagonien gibt es einen Clan, der Robben bis auf den Strand verfolgt, eine Jagdtechnik, die Jahre benötigt, um sie erfolgreich zu meistern. Vor der Küste Neuseelands haben Orcas Geschmack an Stachelrochen gefunden. Sie jagen diese, indem sie sie einfach auf dem Kopf drehen, was sie manövrierunfähig macht. Darauf muss man erst einmal kommen.

1987 begann ein junger Killerwal im Nordpazifik, scheinbar aus purer Lust und Laune, einen toten Lachs auf seinem Kopf zu tragen.

Von Dialekt bis zu komischen Hüten: die kultivierten Killer 
Diese deutlichen Unterschiede, die erlernt und nicht angeboren sind, weisen darauf hin, dass Orcas eine ganz eigene Kultur haben. Zuerst wurde die Orcakultur anhand ihrer Sprache erforscht. Orcas kommunizieren – so wie die meisten Wale und Delfine – hauptsächlich über ihre Stimme, die unter Wasser relativ zu hören ist. Weil Orcas auf der ganzen Welt verbreitet sind, haben sich regionale „Sprachen“ ausgebildet und zwischen den einzelnen Clans sogar regionale Dialekte. Während die fischfressenden Küstenorcas geschwätzig und relativ laut sind, sind die Orcas, die im offenen Wasser nach großer Beute jagen, eher still. Ob ein Orca aus Neuseeland sich mit einem Orca aus dem Nordatlantik unterhalten könnte, ist leider schwer zu untersuchen, wie generell alles, was mit diesen mobilen Meeresbewohnern zu tun hat.

Auch die verschiedenen Vorlieben beim Essen kann man als kulturelle Eigenheiten verstehen. Orcas könnten einen Vielzahl von Beutetieren essen; sie bevorzugen aber meistens eine Art von Futter. Doch ihre Kultur geht noch weiter. Es scheint so, als ob sie eine Art Trauerritual durchführen, wenn ein Familienmitglied stirbt. Manchmal treffen sich auch größere Clans nach dem Tod eines wichtigen Mitglieds. 

Junge Schwertwale scheinen außerdem sehr trendbewusst zu sein. 1987 begann ein junger Killerwal im Nordpazifik, scheinbar aus purer Lust und Laune, einen toten Lachs auf seinem Kopf zu tragen (bei Weitem nicht das schlimmste modische Verbrechen der 1980er Jahre). Diese neue „Mode“ gefiel seinen Familienmitgliedern so sehr, dass sich der Trend nur wenige Wochen später auf mehrere Familiengruppen ausgebreitet hat und dann in der nächsten Saison plötzlich wieder verschwand.

Ein Lausbubenstreich?
Ein solcher „Trend“ ist auch die wahrscheinlichste Erklärung für die versenkten Segelyachten. Eine eilig einberufene Konferenz von Orcaexperten kam diesen Sommer zum Schluss, dass das Versenken der Yachten nicht auf Aggressionen beruht, sondern eher auf Neugier. Die Jungtiere einer Orcafamilie scheinen es als Spiel zu sehen, Schiffen das Ruder zu entreißen. Dabei versenken sie manchmal „versehentlich“ das ganze Schiff. Zusätzliche Faktoren könnten sein, dass sie vom Lärm, der nach der stillen Covid-Zeit wieder in der Meerenge von Gibraltar herrscht, einfach genervt sind oder dass sie wegen der neuen Fischereiverbote im Gebiet wieder mehr Futter haben und weniger Zeit mit der Jagd verbringen müssen. Ihnen ist also einfach langweilig. Was aber der genaue Grund ist, konnten die Wissenschaftler:innen bisher nicht mit Sicherheit sagen. 

Wale haben verschiedene Wörter, die sie aneinanderreihen, verschieden schnell und mit variierenden Rhythmen artikulieren.

„Spriiichst dwooo waaahliiisch?“
Vielleicht können wir die Orcas ja bald selbst fragen. Forschende versuchen seit einiger Zeit, die verschiedenen Sprachen der Wale mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu entschlüsseln und es uns so zu ermöglichen, mit den Orcas und ihren Verwandten auf „walisch“ zu sprechen. Orcas sind nicht die einzigen Wale, die eine Vielzahl von verschiedenen Lauten beherrschen.Forscher:innen haben diesen Sommer mit Hilfe von AI in den Gesängen von Pottwalen komplexe Muster erkannt, die unserer Sprache ähneln. Wale haben verschiedene „Wörter“, die sie aneinanderreihen, verschieden schnell und mit variierenden Rhythmen artikulieren. Künstliche Intelligenz kann diese Muster gut erkennen, wir können sie nur noch nicht zuordnen. Mit leistungsfähigerer KI und mehr Forschung ist das aber in Zukunft vielleicht möglich.

Was die Wale uns Menschen wohl zu sagen hätten? Wollen sie überhaupt mit uns sprechen? Sie hätten viele gute Gründe uns mit Misstrauen zu begegnen. Angesichts der fortschreitenden Zerstörung ihres Lebensraums und der Tatsache, dass wir immer noch Orcas und andere Wale zu unserer Belustigung in Gefangenschaft halten, wäre es angebracht, wenn wir ihnen als Erstes sagen würden: „Es tut uns leid.“ 

Deep Dive:

  • In diesem Podcast (auf Englisch) von National Geographic erzählt der Unterwasserfotograf Brian Skerry über seine außergewöhnlichen Begegnungen mit Orcas auf der ganzen Welt
  • Wer die Orcas in Action bei der Jagd sehen will, kann sich dieses Video ansehen (Achtung, es geht nicht gut aus für die Robbe)

Auch Orcas sind von der Klimakatastrophe und vor allem von der Überfischung der Meere bedroht. Hier kann man für die NGO Sea Shepherd oder hier für das Whale Sanctuary Project, das in Gefangenschaft lebenden Orcas ein geschütztes Refugium im Meer bietet, spenden.

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