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Kathrin Runggatscher
Veröffentlicht
am 14.05.2024
LabernScience Shorts

Du Neandertaler!

Veröffentlicht
am 14.05.2024
Wenn ich dich gerade als Neandertaler bezeichnet habe, ist das keineswegs als Beleidigung gemeint. Wir sind nämlich (fast) alle Neandertaler – zumindest zu einem kleinen Teil. Wie unsere Neandertaler-DNA entdeckt wurde und welche Auswirkungen unsere entfernten Ahnen heute noch auf uns haben, erfährst du in der vierten Ausgabe unserer Wissenschaftskolumne.
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Lange glaubte man, dass die Neandertaler, die vor etwa 65.000 bis 40.000 Jahren in Europa und Westasien gelebt haben, so etwas wie unsere minderbemittelten entfernten Verwandten waren; ein Bild, das sich bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung gehalten hat. Archäologische Ausgrabungen zeigen aber, dass Neandertalergar nicht so primitiv waren, wie ursprünglich angenommen. Sie benutzten komplexe Steinwerkzeuge, schnitzten Symbole in Knochen und malten an die Wände ihrer Höhlen. Sie waren den frühen Menschen also gar nicht so unähnlich und vielleicht würde man einen Neandertaler gar nicht als solchen erkennen, wenn er uns in Jeans und Hoodie auf der Straße begegnen würde. Auch der Kontakt zwischen den frühen Menschen und den Neandertalern war viel länger und intensiver, als ursprünglich angenommen.

Wie viel Neandertaler in Ihnen steckt, hängt von Ihrer

Mehr noch: Die meisten von uns haben sogar Neandertaler Ur-Ur-Ur-Ur … Urgroßeltern, was man heute in unseren Genen nachweisen kann. Wie viel Neandertaler in Ihnen steckt, hängt von Ihrer Abstammung ab. Wenn Sie so wie ich europäischen Ursprungs sind, haben Sie in etwa 1–2 % ihrer Gene von Neandertalern geerbt. Kommen Ihre Vorfahren weiter aus dem Osten, aus China, Indien oder sind Ureinwohner Amerikas, tragen Sie zusätzlich zu Ihren Neandertal-Genen auch noch einen geringeren Anteil einer anderen Menschenart, den Denisovans, in sich.Sind alle Ihre Vorfahren aus Afrika, haben Sie weder Erbgut von Neandertalern noch von Denisovans in sich. 

Unsere umtriebigen Vorfahren
Der unterschiedliche DNA-Anteil unserer ausgestorbenen Verwandten in unserem Erbgut ist mit den Wanderbewegungen der frühen Menschen zu erklären. Homo Sapiens, also unsere direkten Vorfahren, entwickelten sich vor 500.000 bis 200.000 Jahren in Afrika. Sie verließen vor 100.000 Jahren den Kontinent, um die ganze Welt zu besiedeln. Vor 45.000 Jahren (manche Wissenschaftler:innen gehen von einem früheren Datum aus) erreichten sie Europa. Sie trafen dort auf Neandertaler, die seit 400.000 Jahren in Europa ansässig waren und lebten einige tausend Jahre gemeinsam mit ihnen auf dem Kontinent. Es ist schwierig zu rekonstruieren, wie genau dieses Zusammenleben ausgesehen hat, aber die beiden Gruppen müssen sich – den genetischen Daten nach – überraschend gut verstanden haben. Die Gene, die von den Neandertalern überliefert sind, schließen nämlich nicht nur auf einen einzigen Neandertaler-Vorfahren, sondern es muss viele Male zu Nachkommen von Homo sapiens und Homo neanderthalensis gekommen sein, wodurch heute ungefähr 40 % des Neanderthal Genoms in modernen Menschen zu finden ist – jede:r trägt einen anderen kleinen Teil davon.

Noch mehr prähistorische Verwandtschaft
In Asien, im heutigen Sibirien, über Südostasien bis nach Indonesien war auch noch eine andere Menschenart verbreitet. Denisova homines haben ihren Namen von einer Höhle im heutigen Russland, wo sie erstmals in Form eines Fingerknochens nachgewiesen wurden. Weil es von dieser Art bis jetzt nur wenige verwertbare Funde gibt, wissen wir sehr wenig über diese Menschenart – etwa wie sie ausgesehen haben. Aber auch mit ihnen hat sich Homo Sapiens ein Stelldichein geliefert, was man heute im Genom von Menschen mit asiatischer Abstammung und bei australischen und indonesischen Ureinwohnern nachvollziehen kann.

Wie ist es möglich, all diese Informationen aus ein paar Knochen herauszubekommen? Der Schlüssel dazu ist das Molekül, in dem das Erbgut aller Lebewesen gespeichert ist: die DNA.

Auch Neandertaler und Denisovans haben sich untereinander vermischt. Dafür gibt es sogar einen direkten Nachweis. Ein späterer Fund in der Denisova Höhle stammt von einem Mädchen, das eineNeandertal-Mutter und einen Denisovan-Vater hatte. Je mehr Reste von frühzeitlichen Knochen untersucht werden, umso plausibler erscheint die Theorie, dass die Vermischung zwischen den frühen Homines weit verbreitet war und dass die verschiedenen Menschenarten im Austausch miteinander waren. 

Die DNA – unheimlich stabil 
Wie ist es möglich, all diese Informationen aus ein paar Knochen herauszubekommen? Der Schlüssel dazu ist das Molekül, in dem das Erbgut aller Lebewesen gespeichert ist: die DNA. In meiner letzten Kolumne habe ich bereits erwähnt, dass die DNA, oder Desoxyribonukleinsäure, ein sehr stabiles Molekül ist – das ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie lang und dünn ein DNA-Doppelstrang ist. DNA ist so stabil, dass sie unter den richtigen Bedingungen quasi ewig hält. Die älteste DNA-Probe, die jemals entziffert werden konnte, ist über zwei Millionen Jahre alt. Dagegen sind die Proben von Neandertalern, die etwa 65.000–40.000 Jahre alt sind, relativ jung. Es ist aber trotzdem nicht einfach, alte DNA zu gewinnen. Die Fundstücke müssen unter günstigen Bedingungen überdauert haben – es darf vor allem nicht zu feucht und heiß sein. Außerdem kommt DNA meistens in sehr geringen Mengen und stark fragmentiert in den Knochenproben vor und ist von Fremd-DNA, etwa DNA von Hyänen, die die Knochen ausbuddeln, stark verunreinigt. 

Rund um die Isolierung und Analyse dieser „antiken“ DNA hat sich eine eigene Disziplin gebildet, die Paläogenetik. In diesem Bereich wird übrigens auch in Südtirol geforscht. Paläogenetiker:innen sind meiner Erfahrung nach die Gründlichsten bei der Laborarbeit und das müssen sie auch sein. Beim Arbeiten mit winzigen Mengen von stark fragmentierter DNA, wie sie in den Knochenproben der frühen Menschenarten vorkommt, kann jeder falsche Atemzug die Probe verunreinigen und das wertvolle Material nutzlos machen. Wenn Paläogenetiker:innen im Labor stehen, sehen sie deshalb aus, als würden sie mit hochgefährlichen Viren arbeiten.

Wenn Sie Rückenhaare haben oder Augenbrauen, die zum Zusammenwachsen neigen, können Sie sich bei unseren Neandertaler-Urahnen bedanken.

Die Neandertaler und wir
Paläogenetiker:innen rund um Svante Pääbo, der 2022 für seine Arbeit mit antiker DNA den Nobelpreis erhalten hat, ist es mit diesen Methoden vor 15 Jahren erstmals gelungen, das gesamte Neandertal-Genom zu entschlüsseln. Seitdem verstehen wir immer besser, wie sich Neandertal- und Denisova-Gene auf unser heutiges Leben auswirken. Ein Gen etwa, das von den Denisova-Menschen kommt, erlaubt die bessere Verwertung von Sauerstoff in großer Höhe und war bei der Besiedelung des tibetischen Hochlands ein entscheidender Faktor. Die Neandertaler haben teilweise unsere Hautfarbe und unsere Haarfarbe verändert, wobei es interessanterweise sowohl Varianten für dunklere und hellere Haut und Haare gibt, was darauf schließen lässt, dass auch Neandertaler sowohl blond als auch dunkelhaarig waren. Durch Neandertaler-Gene bekommen manche Menschen heute leichter einen Sonnenbrand, was aber die Vitamin D Aufnahme erhöht und in nördlichen Breiten ein evolutionärer Vorteil ist. Leider wurden uns auch manche Risikofaktoren für Krankheiten, wie eine höhere Anfälligkeit an Typ II Diabetes zu erkranken oder starke Raucher:innen zu werden, mitgegeben. Interessanterweise stammt das Gen, das mit einer höheren Wahrscheinlichkeit schwer an Covid zu erkranken assoziiert wurde (das aber auch vor einer HIV-Infektion und vor Cholera schützt) auch ein Überbleibsel unserer Neandertaler-Vorfahren. Wenn Sie Rückenhaare haben oder Augenbrauen, die zum Zusammenwachsen neigen, können Sie sich auch dafür bei unseren Neandertaler-Urahnen bedanken. 

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