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Einen Tag vor meinem 29. Geburtstag postete ich ein Selfie in meine Instagram-Story und fragte meine Follower:innen: „Ist ein bisschen Botox in der Zornesfalte schon antifeministisch? Ich frage für einen Kumpel.“ Die Frage war nur spontan geäußert, locker dahingesagt. Ich rechnete nicht wirklich mit Antworten. Doch nur zwei Minuten später meldete sich mein Handy mit einem „Bling“ und die ersten Reaktionen – die meisten von Frauen – tauchten in meinen Nachrichten auf: „Ja, ist es. Aber wir können und müssen nicht immer und bei jedem Thema feministisch sein.“ Bling. „Nein, auf keinen Fall. Wenn Frauen selbst und frei entscheiden, was sie mit ihrem Körper machen, dann ist das feministisch.“ Bling. Bling. Bling.
Ist das Private immer politisch?
Während sich vor allem Feminist:innen der jüngeren Generation meist neutral zu Schönheitseingriffen äußern, selbst öffentlich über eigene Behandlungen sprechen oder gar als Ermächtigung der Frau feiern, sehen es wieder andere als einen „Akt der Unterwerfung.“ Schließlich ist das Private immer auch politisch. Das Argument „ich mache das nur für mich“ zählt für die Vertreter:innen dieser Linie nicht. Frauen kommen auf die Welt und werden spätestens ab der Pubertät dazu erzogen, dem „männlichen Blick“ zu entsprechen. Dabei handelt es sich um ein Konzept aus der Filmtheorie, welches kritisiert, dass solche Darstellungen Geschlechterstereotype verstärken und Frauen auf ihre äußeren Merkmale reduzieren. Im Grunde gehe es bei den Eingriffen darum, Männern zu gefallen, so die Botschaft. Die Fronten scheinen verhärtet und ich kann die Argumente beider Lager irgendwie verstehen. Zwei Fragen, die ich mir aber stelle: Ist es okay, sich selbst die Haare zu färben, Piercings und Tattoos zu stechen und gleichzeitig andere Frauen zu verurteilen, weil sie ihren Körper „mehr“ verändern? Nein, ich denke nicht. Und ist es okay zu sagen, dass es dennoch irgendwo einen Unterschied gibt zwischen blond gefärbten Haaren oder rotem Lippenstift und einem potenziell lebensgefährlichen BBL (Anm. d. Red.: Brazilian Buttlift: Dabei handelt es sich um eine Hinternvergrößerung mit Eigenfett). Keine Ahnung, wahrscheinlich schon. Aber wo ziehen wir die Grenze und ab wann ist etwas „feministisch“ oder nicht?
In der Mittagspause schnell die Nasolabialfalte auffüllen, ein paar Krähenfüßchen glätten – keine große Sache, sondern Routine.
Ein bisschen Botox in der Mittagspause
Pro Jahr werden weltweit in etwa 30,4 Millionen Schönheitseingriffe durchgeführt. Nicht-invasive Behandlungen wie Botox- oder Filler-Behandlungen machen einen großen Teil aus, während die beliebtesten chirurgischen Verfahren Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen und Nasenkorrekturen sind. Obwohl auch immer mehr Männer Eingriffe durchführen lassen, sind die Kund:innen zu fast 90 Prozent weiblich. In den vergangenen Jahren wuchs der Trend hin zur Selbstoptimierung mithilfe von Schönheitsbehandlungen – vor allem bei den nicht-invasiven Eingriffen mit Hyaluronsäure oder Botox. Letztere sind allein zwischen den Jahren 2018 und 2022 um ein ganzes Drittel gestiegen. Die Termine lassen sich binnen Sekunden bequem online vereinbaren und auch die Eingriffe selbst dauern meist weniger als 20 bis 30 Minuten. Die Kosten ähneln zum Teil dem eines Friseurbesuches und genauso werden die Besuche beim sogenannten „Beautydoc“ auch von vielen Kund:innen wahrgenommen. In der Mittagspause schnell die Nasolabialfalte auffüllen, ein paar Krähenfüßchen glätten – keine große Sache, sondern Routine.
Dass immer mehr Frauen den Wunsch verspüren, sich verschönern zu lassen, überrascht mich kein bisschen. Auch in meinem Bekannten- und Freundeskreis gibt es Frauen, die regelmäßig „etwas machen lassen“. Zudem beschäftige ich mich mit Popkultur und werde tagtäglich auf TikTok und Instagram mit Videos von Nasenkorrekturen und Russian-Lips mit Hyaluron zugeballert. Und ich gebe zu, dass ich die Videos nicht nur bis zum Ende anschaue, sondern auch immer wieder mal gedacht habe: „Ja, schaut schon ziemlich gut aus jetzt.“ Ich habe auch bemerkt, wie normal ich es mittlerweile finde, Gesichter von jungen Frauen mit dicken Lippen, Stupsnasen und strahlend weißen Zähnen zu sehen. Noch vor einigen Jahren habe ich das noch als weitaus befremdlicher empfunden. Ich habe mich auf der Straße sogar nach den sichtlich „gemachten“ Frauen umgedreht, weil ich es so außergewöhnlich fand. Gleichzeitig fällt mir immer wieder auf, wie ich in Reality-Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ oder auf TikTok jemanden mit schmaleren Lippen und natürlichem Look sehe und denke: Wie erfrischend und stark es doch sei, in dieser Branche und Gesellschaft so aufzutreten. Nur um mich kurz darauf über mich selbst zu ärgern: Es ist kein mutiger Akt, Falten zu haben – das ist einfach der natürliche Alterungsprozess einer Frau in ihren Dreißigern.
Nur weil ich viel auf TikTok bin, muss ich noch lange nicht sofort zur Schönheitschirurgin rennen und mein Gesicht dem neuesten Beautyfilter anpassen lassen.
Gefilterte, optimierte Versionen unserer Gesichter
Auch Kulturwissenschaftlerin und Autorin Elisabeth Lechner ist sich sicher, dass Social Media und neue Technologien zur Verbreitung und Entstigmatisierung von Schönheitseingriffen beitragen. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sie sich viel mit Feminismus, Body Positivity und Body Shaming. „Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten, Bilder von uns selbst zu machen, sie nachzubearbeiten, mit anderen zu teilen“, sagt Lechner. Aber auch in Live-Videos können wir gefilterte, optimierte Versionen unserer Gesichter zeigen. Auch dies führe, laut der Wissenschaftlerin, zu einer veränderten Wahrnehmung dessen, was wir als „gesunde, schöne, normale“ Haut lesen. Dennoch seien wir diesen Entwicklungen nicht hilflos ausgeliefert, wie Lechner betont: „Einer aktiven, kritischen, kompetenten Mediennutzung entsprechend können wir uns diesen Inhalten gegenüber auch widerständig positionieren und vermeintlich nötige Optimierungsschritte ablehnen.“ Oder überspitzt formuliert: Nur weil ich viel auf TikTok bin, muss ich noch lange nicht sofort zur Schönheitschirurgin rennen und mein Gesicht dem neuesten Beautyfilter anpassen lassen. „Zusammenhänge sehen wir aber trotzdem, und die gilt es ernst zu nehmen – gerade, wenn junge Frauen von einem Riesendruck berichten, dass sie ihre Gesichter als falsch und hässlich wahrnehmen“, sagt Lechner.
Eine, die öffentlich über ihre Schönheitseingriffe spricht, ist Autorin, Moderatorin und Feministin Sophie Passmann. In den Sozialen Medien wurde sie von einigen Frauen für ihre Offenheit gelobt und von anderen wiederum für ihre Behandlungen kritisiert. In ihrem autobiografischen Buch „Pick me Girls“ widmet sie sich dem Thema: „Ich glaube, dass Frauen von einer ganzen Industrie, die mit ihren Selbstzweifeln Geld verdient, eingeredet bekommen haben, dass sie anders als andere Frauen sind. Damit sie glauben, dass sie ihr eigenes Aussehen hassen können, ohne gleichzeitig das Aussehen ihrer Freundinnen, Schwestern und Mütter hassen zu müssen.“ Für sie gebe es gefühlt zwei Lager, sie selbst stehe irgendwo dazwischen, wie sie in einem Podcast von Model und Influencerin Stefanie Giesinger erklärte: „In ihrer Logik sind alle anderen Frauen okay, aber die eigenen Makel viel schlimmer.“ Diese Logik führe dazu, dass Frauen gar nicht mehr von der Industrie eingeredet bekommen müssen, dass sie diese Eingriffe brauchen. Im Gegenteil, Kund:innen kommen und wissen bereits: „Ich brauche noch mehr.“ Bei anderen Produkten wie zum Beispiel Autos sei das nicht so. Da müssen die erklären, wieso man ein neues Auto braucht“, sagt Passmann. Und weiter: „Man hat gar nicht die Notwendigkeit, der Frau zu erklären, wieso es ein Makel sein könnte. Jeder vermeintliche Makel, der in der Gesellschaft existiert, über den hat die Frau schon selbst nachgedacht.“
Über Lookismus und „Pretty Privilege“
Wer als schön gilt, hat Vorteile im Leben. Laut der Studie „Does it pay to be beautiful?“ (zu Deutsch: „Zahlt es sich aus, schön zu sein?“) verdienen attraktivere Menschen rund 15 Prozent mehr als durchschnittlich aussehende Menschen. Der Gehaltsunterschied zwischen diesen Gruppen ist damit sogar noch größer als der „Gender Pay Gap“, der die Einkommensdifferenz zwischen Männern und Frauen beschreibt. Das beginnt bereits in der Schule und zieht sich durch bis hin zu Gerichtsverhandlungen. Fakt ist: Schöne Menschen bekommen überall einen Bonus dafür, wie sie aussehen. Die Vorteile derjenigen, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen und deshalb beruflich, aber auch privat bevorzugt behandelt werden, wird als Pretty Privilege bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden Menschen, die diesem Ideal nicht entsprechen, abgewertet und sogar diskriminiert. Vorurteile, die auf körperlichen Merkmalen wie Gesicht, Figur, Kleidung und Stil basieren, werden als Lookismus bezeichnet. Allein deshalb scheint es irgendwo verständlich, weshalb so viele Frauen ihre Zeit und Geld in Schönheitsarbeit investieren. Ein Luxus, den sich jedoch längst nicht jede Frau leisten kann. Für Wohlhabende ist es einfacher, den gängigen Schönheitsnormen zu entsprechen und ihre bereits vorhandenen Privilegien um das Pretty Privilege zu erweitern. Ein Teufelskreis, der Ungleichheiten weiter verfestigt.
Eingriffe, die den Körper einem Ideal näher bringen, bei dem es vor allem um die Kontrolle von Frauenkörpern und das Profit-Machen mit Unsicherheiten geht, können im Kern nie befreiend, nie feministisch sein.
Elisabeth Lechner„My body – my choice“?
Vielleicht sollten wir uns auch viel öfters selbst reflektieren und uns fragen, was wir eigentlich als „schön“ empfinden – und vor allem weshalb. Bis zu einem gewissen Grad ist es sicher eine sogenannte „Geschmackssache“. Dennoch leben wir nun mal nicht in einer Welt, die abgeschottet von gesellschaftlichen Einflüssen existiert. Und ob wir wollen oder nicht, wir werden so sozialisiert, dass wir gewisse Menschen – zumindest unterbewusst – als schön oder als nicht so schön empfinden. Einfach so zu tun, als gebe es keine Schönheitsideale und infolgedessen keinen Lookismus, halte ich für realitätsfremd. Die Frage, ob Schönheitsarbeit ermächtigend sein kann – my body, my choice! – oder ob sie immer als antifeministisch gelesen werden muss, wird nicht nur viel diskutiert, sondern ist auch eine schwer zu beantwortende. Laut Lechner liegt die Wahrheit wohl irgendwo zwischen: „Mir persönlich gefällt es besser so. Ich mache das für mich!“, „Mit einer kleineren Stupsnase werde ich weniger gehänselt.“, „Ich habe in einem von Diskriminierungsstrukturen und Herrschaftsverhältnissen bestimmten System gelernt, was als schön gilt – weiß, jung, haar-, fett- und faltenfrei – und kann meine eigene Wahrnehmung wohl, wenn ich ehrlich bin, auch nicht wirklich davon trennen.“ bis hin zu „Es bringt mir Vorteile, wenn ich mich dem aktuellen Ideal anpasse.“
Laut der Wissenschaftlerin ist jeder Widerstand gegen gängige Schönheitsnormen in einer von Lookismus dominierten Welt ein radikaler Akt. Sie ergänzt: „Eingriffe, die den Körper einem Ideal näher bringen, bei dem es vor allem um die Kontrolle von Frauenkörpern und das Profit-Machen mit Unsicherheiten geht, können im Kern nie befreiend, nie feministisch sein.“ Dafür müssten wir uns schon aus der Vereinzelung befreien, zusammentun und gemeinsam die Strukturen beseitigen, die uns erst in diese vertrackte Lage gebracht haben, sagt Lechner.Vielleicht können wir uns bei drei simplen Punkten einig werden: Erstens, Frauen können in den Augen der Gesellschaft gefühlt eh niemals richtig handeln, egal was sie tun. Zweitens, es können auch mehrere Wahrheiten nebeneinander existieren. Drittens, Schönheitsideale und Lookismus gilt es zu bekämpfen und nicht die Frauen, die sich Botox spritzen oder die Lippen vergrößern lassen.
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