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Veröffentlicht
am 12.04.2021
MeinungGastbeitrag von Maxi Obexer

Als ginge es um Kaser

Veröffentlicht
am 12.04.2021
Die Schriftstellerin Maxi Obexer meldet sich nach dem Aufruhr um ihren Sager zu NC Kaser zu Wort. Ein Text über die Mechanismen von Shitstorms, Cancel Culture und Framing.
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Die Autorin Maxi Obexer


Soll ich das ernstnehmen? Oder vorbeiziehen lassen?

Schweigen und warten, dass es vorbeizieht.

Auch meine Wut, darüber, dass mal wieder nach Herzenslust geframt, eine Bemerkung aus dem Kontext herausgelöst, mit einem fremden Zusammenhang verbunden, und mit dem Vorwurf der „Cancel Culture“ aufgeladen wurde.

„Das ist der bekannte Mechanismus.“

Ich erinnere mich daran, als die AfD für ein Verbot der Inszenierung der „Illegalen Helfer“ mobilisierte. Sie warfen dem Theater vor, es feiere Gesetzesbrecher. Im Stück geht es um Menschen, die die Einhaltung der Menschenrechte verteidigen. Das Publikum war es schließlich, das mit einer halben Stunde Standing Ovations für sein Theater als öffentlichen Verhandlungsraum applaudierte.

„Nicht reagieren. Sie warten nur darauf.“, sagen mir viele.

„Hab ich Feinde? Ich habe keine erklärten Gegner.“

„Nicht du. Aber es gibt immer welche, die meinen, etwas abrechnen zu müssen. Toxische Medien speisen sich aus einem Gebräu böser Gefühle.“

Stillhalten, nicht ernstnehmen, Schweigen sei die beste Reaktion.

Ich erhalte Nachrichten von Frauen, die mir sagen: „Auch sie haben einen Shitstorm über sich ergehen lassen müssen.“

Sie wurden belehrt, herabgewürdigt, auf ihren Platz verwiesen, niedergeredet – und am besten wohl auch noch bestraft. Auch Barbara Plagg erzählt in ihrer Erwiderung davon.

Ist es das, worum es geht? Dass gerichtet wird, und keine Widerrede? Und sicher nicht ein Dialog auf Augenhöhe. Stattdessen „Diffamazione allo stato puro“, wie Cristina Vezzaro schreibt.

Selten geht es um den Inhalt, meist ist der vorgeschoben, oder ein geframter, ein kleingerahmter, der überblendet, worum es der anderen Seite ursprünglich ging.

Ein Grund, warum ich jetzt doch schreibe.

Ein toter Dichter kann sich nicht mehr wehren, nicht gegen seine posthume Heiligsprechung, nicht dagegen, gegen andere ins Feld geführt zu werden.

Manchmal ist das Schweigen falsch. Während sich andere ohne Rücksicht auf Verluste ereifern. Auch das Silencing und der Versuch, jemandes Stimme zum Verstummen zu bringen, spricht dagegen.

Alles spricht dagegen, dass es dem Verfasser der Polemik um N.C. Kaser ging, und vieles dafür, dass Kaser vorgeschoben wurde; dass mit dem Brennglas auf Kaser überschrieben werden soll, worüber Sabine Gruber und ich sprechen.

Ein toter Dichter eignet sich gut dafür, der kann sich nicht mehr wehren, nicht gegen seine posthume Heiligsprechung, nicht dagegen, gegen andere ins Feld geführt zu werden.

Diese Polemik ist der Versuch einer Ausblendung. Und das scheint mir der eigentliche Skandal.

Der Inhalt dieses langen Gesprächs hat die Geschichte weiblicher Autorschaft in Südtirol zum Thema, von seinen Anfängen her bis jetzt. Und so lange ist es nicht her, als sich in der gegründeten Autorenvereinigung noch keine einzige Autorin fand. Vierzig Jahre. Es ist dem Engagement einzelner Frauen zu verdanken, die dafür sorgten, dass ihre Werke entstehen konnten, und dass sie sichtbar wurden. Erzählt wird von den Strukturen, von den Institutionen und von den unsichtbareren Narrativen in den Köpfen. Von einem Denken, in dem die Ungleichheit noch die selbstverständliche Ausgangslage war. Es sind konkrete Schilderungen, sie sollen informieren und beleuchten, und deutlich machen, dass gekämpft wurde, sicher auch mit dem Einverständnis männlicher Autoren. Und dass etwas erreicht wurde, was heute da ist, offene Strukturen, die bereits ich als angehende Autorin beanspruchen konnte. Das muss keinen Mann und auch keine Frau angreifen. Und die meisten sind offen genug, um sich für diese Geschichte zu interessieren. Wenn sie für eine Literatur einstehen, die die Realitäten von Frauen sichtbar macht, ihre Erfahrungen, ihre Geschichte. Und nicht nur der Frauen, sondern aller gesellschaftlicher Gruppen.

Es geht nicht nur um eine Berufsgruppe, sondern um eine Literatur, die nie geschriebene, nie gesehene, nie wahrgenommene Wirklichkeiten bedeutsam macht.

Viele haben auf eine Literatur gewartet, die bestehende Narrative hinterfragt und neue beschreibt, und die so eine enorme Erweiterung literarischer Formen entstehen ließ. Auch darum geht es: um den mutigen Vorstoß ins Reale und ins Experiment, nicht nur, aber eben auch von Autorinnen. Nur so ließen und lassen sich Muster aufbrechen und bahnbrechende neue Erzählungen entstehen.

Wie mit einer Lupe wird alles auf Kaser beschränkt. Als wäre die Grenze dieser Lupe alles – und der Rest nichts. Worum geht’s nochmal? Um Cancel Culture?

Einzelne bekämpfen noch heute die Mitsprache anderer darüber, was bedeutsam ist und wer. Die Deutungshoheit darüber ist vermutlich der hartnäckigste Kampf. Die Mitbestimmung in der Politik der Aufmerksamkeit.

All das und noch einiges mehr in einer Analyse, in einem Dialog. Und irgendwo eine Replik über das Befremden über den Hype von N.C. Kaser. Dem eine andere Replik folgt, die meiner widerspricht. Sabine Gruber hebt dessen damalige Bedeutung in der Südtiroler Literaturszene hervor. Die ist damit gesetzt. Rede und Gegenrede in einem Dialog, der genuine Start für eine Meinungsvielfalt. Neben dem gesamten Inhalt des Gesprächs, wird auch dieser Einspruch ausgeblendet. Scheint nicht von Interesse, oder soll nicht?

Wie mit einer Lupe wird alles auf Kaser beschränkt. Als wäre die Grenze dieser Lupe alles – und der Rest nichts. Worum geht’s nochmal? Um Cancel Culture?

Der Vorwurf wird zuletzt häufig einer linken „Identitätskultur“ gemacht. Dabei war es schon immer der wie selbstverständliche Mechanismus patriarchalen Herrschaftsdenkens, kulturelle und gesellschaftliche „Minderheiten“ und deren Anspruch auf die gleichen Rechte abzutun und zu verweigern.

Die „heiligen Kühe“. Wie schön, dass in Südtirol so oft auf sie verwiesen wird.

Es war eine Kuh, die von Zeuß vergewaltigt, und von seiner Frau Hera mit einer Mücke verfolgt wurde; gestochen und angestachelt, floh sie von Asien bis nach Europa. Europa trägt den Namen dieser Kuh. Es gibt in Südtirol eine besondere Emanzipationsgeschichte der Frauen; sie folgen den Kühen über die Bergkämme zu den Städten. Sie waren in Bewegung, und sie blieben es.

Vor einiger Zeit, kaum ein Jahr nach dem „Frosch-Skandal“, hielt ich in Franzensfeste eine Rede zu Kasers „Brixener Rede“. Für seine Kritik, seine Wut und seine Verzweiflung am Geist der kulturellen Hoheitsträger, wurde er damals orchestriert vernichtet. Und gnadenlos gerichtet wurde auch Corinne Diserens, die Direktorin des Museions, für einen kleinen Frosch am Eingang des Museions. Es war ein Trauma für das Land, auch für mich. Ich verband diese beiden Prozesse, den gegen Kaser und den gegen Diserens, und fragte, was dabei verhindert, was zerstört wurde, was gerade dabei war, sich zu öffnen.

„Ihr Hass, ihre Unbedingtheit, ihre Unversöhnlichkeit lehrte mich das Fürchten. (…)

Als ob der Verlust nicht gespürt würde. Als ob es normal sei, dass etwas bricht, das gerade geschaffen war.“ Franzensfeste, 27.08.2009

Sämtliche Artikel, und es waren sehr viele, studierte ich danach, ob einer von ihnen auf das Kunstwerk selbst einging. Ich fand keinen einzigen.

Gibt es vielleicht die Möglichkeit von Argumenten, die sich stehen lassen? Und mit ihnen die, die sie vorbringen? Ich kann den Bürgermeister fragen, ob es nicht, gleich jetzt, nach Ostern, nach der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn, sinnvoll wäre, die Andreas-Hofer-Statue mit der von N.C. Kaser zu ersetzen? Aber führt dies nicht dazu, dass wir an ihm und an etwas, das in Stein, oder in Bronze gemeißelt ist, endgültig vorbeischauen?

Maxi Obexer, Schriftstellerin und Theaterautorin, aufgewachsen in Südtirol, lebt in Berlin, derzeit Gastprofessorin am Dartmouth College, Usa;
Mitglied im Pen-Internaitonal. Sie führte bis vor kurzem den Vorsitz der Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinnigung, Saav.

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