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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 03.05.2021
LeuteInterview mit Verena-Elisabeth Turin

“Ich bin normal, weil ich mich so fühle”

Schiefe Blicke, Hemmungen und Vorurteile: Verena Turin über das Leben mit dem Down-Syndrom und über die Bedeutung von „Normalität“.
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Verena Turin 2
Verena Turin schrieb schon immer gerne und phantasierte herum. Jetzt hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht.

Verena Elisabeth Turin ist 41 Jahre alt, lebt mit ihren Eltern in Sterzing und hat das Down Syndrom. Ihr Buch „Superheldin 21“ wurde bereits in zwei Sprachen übersetzt und handelt vom Leben mit Down Syndrom. Beim Schreiben wird Verena immer wieder aufs Neue mit der Frage nach dem „Normal-Sein“ konfrontiert: Was ist normal in unserer Gesellschaft und was nicht? Wo befinden sich die Hürden von Menschen mit Trisomie 21? Welche Barrieren haben strukturellen, welche individuellen Ursprung? Viele Fragen, auf die wir wohl nie eindeutige Antworten finden werden. Eines weiß Verena aber ganz gewiss: Verena ist normal, weil sich Normalität nicht über die Gesellschaft, sondern über die eigenen Gefühle definiert: „Ich fühle mich normal, also bin ich es auch!“

Wolltest du immer schon Autorin werden?

Nein. Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal ein Buch zu schreiben. Die Idee kam vom Team des Rowohlt Verlages. Sie wollten, dass ich aus meiner Perspektive – als Frau mit Down Syndrom – eine Geschichte erzähle. Ich habe schon immer sehr gerne geschrieben und viel rumphantasiert. Dadurch ist mein Buch „Superheldin 21“ entstanden.

Verena Turin

Wieso „Superheldin 21“?

Hinter dem Titel versteckt sich vieles. Zum Einen handelt das Buch von einer Frau mit Down Syndrom. Das was sie und wir alle Betroffenen im Alltag meistern, macht uns zu Superhelden. Zum Anderen ist die Figur der Superheldin meine eigene Wunschvorstellung. Gerne wäre ich so heldenhaft, wunderschön und mutig, wie die Superheldin in meinem Buch. Die Zahl 21 steht für die Trisomie des 21. Chromosoms bei Menschen mit dem Down Syndrom. In dieser Zahl steckt so vieles. Dieses eine Chromosom, das wir im Vergleich zu den anderen Menschen mehr haben, ist der Grund, weshalb wir nicht als „normal“ angesehen werden.

Was bedeutet es für dich, normal zu sein?

Normalsein bedeutet so wie ich zu sein. Auch wenn ich eine Frau mit Down Syndrom bin, fühle ich mich ganz normal. Ich bin einfach so geboren. Ich erkenne meine Lernschwierigkeiten nicht wirklich, weil ich das Leben nur so kenne und es daher auch als normal empfinde. Das einzige wo ich meine Schwierigkeiten erkenne, sind Geldgeschäfte. Daher besitzt mein Vater die Vollmacht über meine Finanzen. Natürlich bemerke ich, dass mich besonders Kinder und Jugendlichen manchmal komisch mustern, weil ich in ihren Augen nicht der „Norm“ entspreche. Mittlerweile habe ich gelernt, in solchen Situationen einfach wegzuschauen, weil ich nicht immer Lust habe, erklären zu müssen, dass ich normal bin.

Welche Vorurteile gegenüber Menschen mit Down-Syndrom würdest du gerne aus der Welt schaffen?

Am liebsten würde ich nicht nur die Vorurteile gegen Menschen wie mich – mit Trisomie 21 –, sondern gegenüber allen Behinderten aufheben. Ich möchte, dass Menschen nicht länger behaupten, dass wir dumm seien, nicht reden können oder uns gar verbieten wollen, zur Schule zugehen. Zudem sollte man aufhören, unsere Arbeitsfähigkeit oder andere alltägliche Kompetenzen, wie das alleine mit dem Bus fahren, ständig anzuzweifeln.

Auch wenn ich eine Frau mit Down Syndrom bin, fühle ich mich ganz normal. Ich erkenne meine Lernschwierigkeiten nicht wirklich, weil ich das Leben nur so kenne und es daher auch als normal empfinde.

Was möchtest du jenen Menschen sagen, die Hemmungen haben, auf Menschen wie dich zuzugehen?

Es gibt vieles, das ich diesen Menschen sagen möchte. Als Allererstes, es braucht niemand Hemmungen oder gar Angst vor mir zu haben. Ich beiße keine Menschen, sondern nur Wurstbrote (lacht). Wir sind ganz normale Menschen. Kommt einfach auf mich zu und ich erkläre euch die Welt aus meiner Sicht. Ich will nur, dass ihr dabei mit mir normal sprecht und umgeht, weil ich normal bin.

Gibt es andere Dinge, die dich im Alltag nerven?

Ja mich nerven so viele Dinge. Ich hasse Rauchen, meine Brille und blöde Blicke. Es gibt Menschen, die mich absichtlich dumm anschauen. Meistens kann ich darüber hinweg schauen, auch wenn ich mir innerlich die Frage stelle, wie dumm und „unnormal“ sie gerade selbst sind. Ich mag auch keine alten Männer, die sich kindisch verhalten. Das passt einfach nicht zusammen und macht mich wütend. Manchmal nervt mich auch meine Schwiegermutter, wie sie meinen Freund behandelt. Womit ich gar nicht klarkomme, sind Gewalt und Aggressionen. Wenn Menschen fluchen, schimpfen, schreien oder schlagen, muss ich mir immer die Ohren zu halten.

Wie sieht dein Alltag aus?

Ich arbeite vormittags im Pulverhof von Mareit. Dort fahre ich alleine mit dem Bus hin und wieder zurück. Früher war der Pulverhof ein Hotel. Heute ist es ein Altenheim. Dort habe ich ganz verschiedene Aufgaben zu erledigen. Normalerweise bereite ich die Tische vor, bediene die alten Menschen, räume auf und putze ein bisschen.

Was machst du in deiner Freizeit?

Ich verbringe sehr viel Zeit in meinem Zimmer. Ich besitze sehr viele Bücher, ein Keyboard, DVDs, Filme, CDs, Kassetten, Puppen und einen Eisbären. In meiner Freizeit schreibe ich sehr gerne Briefe, singe, tanze und nasche unglaublich gerne Ungesundes wie Milchschokolade und Cola. Manchmal gehe ich auch alleine einkaufen oder telefoniere mit meinen Freunden. Hin und wieder gehe ich mit einer Freundin ins Schwimmbad oder zum Pizza-oder Eis-Essen.

Wenn du einen Tag lang eine Superheldin sein könntest. Was würdest du machen?

Als Superheldin möchte ich sehr gerne zaubern können. Als erstes würde ich hexen, um meine eigene Wohnung sauber zu machen (lacht). Ich würde ganz viel verreisen; in verschiedene Länder und Städte. Meine Superkraft wäre dabei das Klavierspielen und das Tanzen.

Was hältst du vom umstrittenen Praena Test, der das Downs Syndrom beim Ungeborenen feststellen kann?

Ich stehe dem Bluttest sehr skeptisch gegenüber. Ich finde es nicht schön, wenn man einem Baby die Chance aufs Leben nimmt, nur weil es das Down Syndrom hat. Ich bin sehr gerne auf die Welt gekommen und bin froh hier zu sein, ganz egal, ob mich Leute normal finden oder nicht. Ich lebe sehr gerne mit meinen Eltern zusammen und sie sind froh, mich zu haben.

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